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Aus der Dauermürrischkeit gerissen: Vera Eckhoff (Iris Berben) kann der Altmänner-Zärtlichkeit ihres Hausnachbarn Hinni Lührs (Peter Kurth) auf Dauer nicht widerstehen.

© ZDF und Boris Laewen

ZDF-Zweiteiler „Altes Land“: Graswurzeln unter Obstbäumen

Der TV-Zweiteiler „Altes Land“ wagt sich mit Iris Berben und Peter Kurth durch ein Generationenlabyrinth. Der Erzählwut des Romans hat die Verfilmung nicht geschadet.

„Lütt beten Platt“. Sorry. Aber so steht es seit einer Ewigkeit auf dem Querbalken des Obsthofes der Eckhoffs: „Dit Huus is mien und doch nich mien, de no mi kummt, nennt’ t ook noch sien.“ Goethe hatte im „Faust“ (in der Zueignung) einen ähnlichen Einfall von der überwältigenden Gegenwart der Vergänglichkeit: „Was ich besitze, seh ich wie im Weiten, Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.“

Doch: Fürchtet euch nicht. Kein Ohnesorg, kaum „Faust“, stattdessen Dörte Hansen, 56. Die promovierte Soziolinguistin (Thema: Platt und Hochsprache – Hansen wuchs zweisprachig auf), durchwandert mit ihrem Erstlingsüberraschungserfolg von 2015 das Kraftfeld der Anziehung und Abstoßung von Gegenwart und Vergangenheit. Sie traf einen Nerv. Mal leidend, mal sanft, mal spöttisch, meist raukomisch schildert sie die weibliche Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit, an deren Enttäuschtwerden nicht nur Männer schuld sind. Es gilt auch: femina feminae lupa.

[„Altes Land“, ZDF, Sonntag und Montag, 20 Uhr 15]

Hansens Frauen sind stur, machtbewusst, mal lächerlich, mal Engel, immer stolz und angriffslustig. Das Buch liest sich wie eine Parade weiblicher Kraft und Eigenwilligkeit. Die zweiteilige Verfilmung der Drehbuchautorin und Regisseurin, Sherry Hormann (60), einer Regisseurin mit amerikanischen Wurzeln, mindert nicht diese Erzählwut einer modernen Weibergeschichte und springt wie die Vorlage entschlossen durch die Zeiten.

Der Film lässt sich mehr Zeit als der Roman

Der Anfang zeigt das Jahr 1945, historischen Kriegsende-Darwinismus unter Frauen. Der Roman zieht gleich in den Kampf, die Verfilmung lässt sich etwas mehr Zeit. Hildegard von Kamcke (Birte Schnöink) steht mit Töchterchen Vera vor der Altländer Bauersfrau Ida Eckhoff (Karoline Eichhorn, das Verliererschicksal hinter Grimm versteckt). Die Obstbauernwitwe will kein Flüchtlingspack, kein Pollackenkind. Ihr Sohn Karl (als jüngerer Mann: Kilian Land, später: Milan Peschel, beide großartig) ist noch im Krieg.

Was die Haushüterin nicht wahrhaben will, der Zuschauer aber gleich erkennt: Hier baut sich eine zu allem entschlossene Flüchtlingsfrau auf. Die hat den Kinderwagen mit dem Säuglingssohn auf dem Treck von Ostpreußen her am Straßenrand stehen gelassen oder (lassen müssen?) und so wissentlich dem Erfrierungstod überantwortet. Mit Tochter Vera zog sie weiter. In Eis und Schnee ist ihr Inneres vollends erstarrt. Kälter als Hildegards Schmerz und der Schuldgefühle kompensierende Adelsdünkel kann kein Eis sein.

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Die platt pöbelnde Zerbera muss nachgeben. Die ostpreußische Madame hat einen Einweisungsschein. Ida flucht, Adel vernichtet. Hildegard erobert das alte Bauernhaus und rächt sich an dessen Besitzerin. Den aus dem Krieg heimkehrenden und innerlich zerstörten Sohn Karl entfremdet Hildegard der Mutter mit hochmütiger Verachtung der bäuerlichen Welt und macht ihn sich per Heirat untertan.

Das Ausmalen von Schicksalsschwere ist gleichwohl nicht das Ziel von „Altes Land“, weder als Roman noch als Film. Auch nicht der wortreiche Soziologendiskurs über Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Auf psychologische Erklärung von merkwürdigen Wiederholungszwängen wird ebenfalls verzichtet. Es geht nämlich nicht ums Allgemeine, sondern um das Besondere der Lebenswege. Um Graswurzeln unter Obstbäumen.

Vergangenheit wächst in diesem literarischen und filmischen Irrgarten, wo und wann sie will: in unvermitteltem Wechsel von historischen Szenen und Gegenwart. Im Zeigen von wortkarger bäuerlicher Welt als Kontrast zum geschwätzigen alternativen Leben von Vollwerteltern in Hamburg-Ottensen. Wunden und unbewusste Wiederholungszwänge, so zeigen Buch und Verfilmung, gibt es in beiden Sphären. Innerer Frieden ist ein frommer Wunsch von unfrommen Menschen.

Nicht unterzukriegen: Der Adel

Adel vernichtet, Adel verschwindet, Adel kommt wieder. Nachdem Hildegard ihre Blaublütigkeit unter Obstbäumen ausgelebt hat, verschwindet sie vom armen Karl weg zu einem neuen Mann und beschert der auf dem Land zurückgelassenen Vera (als jüngere Frau: Maria Ehrich) die neue Halbschwester Marlene (Nina Kunzendorf). Marlenes Tochter Anne (Svenja Liesau), im Elbvorortleben gescheitert, sucht später im Altländer-Eckhoff-Hof mit ihrem Sohn Leon (Marian Dilger) bei ihrer „Halbtante“ Vera (in mittleren und alten Jahren gespielt von Iris Berben) Asyl.

Das einstige Flüchtlingskind Vera hat sich von den Übergriffen der fluchttraumatisierten Mutter freigemacht und das nach dem Kinderwagentrauma auf der Flucht mit Kinderlosigkeit bezahlt. Sie hat den kriegstraumatisierten Karl in Pflege genommen und sie begleitet ihn als liebende Stieftochter in den Tod.

Das Hauptthema des weniger sprunghaften zweiten Teils: Vera lernt den peniblen Hausnachbarn (Peter Kurth) zu tolerieren und auf ihre verschlossene Art sogar zu lieben. Kurth – der gerissene „Berlin-Babylon“-Kommissar – offenbart unter norddeutschem Schildkrötenpanzer eine nie vermutete Altmänner-Zärtlichkeit, der eine per Rolle zur Dauermürrischkeit verdonnerte Iris Berben auf Dauer nicht widerstehen kann. Berben weiß das voller präsenter Würde darzustellen.

Philemon und Baucis unter Apfelbäumen, ein vorsichtiger Abtanz vor „Halbnichte“ Anne, so schließen sich Heimatwunden in dieser gelungenen filmischen Heimatkundelektion.

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