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Medien: „Hartz IV hat uns kalt erwischt“

„Lindenstraßen“-Vater Hans W. Geißendörfer gibt zu: Die Serie tut sich schwer in Ostdeutschland

Am 5. September hat der Autor Wolfgang Menge in einem Interview mit dem Tagesspiegel festgestellt, dass den Ostdeutschen eine Fernsehfigur zur Identifikation fehlt. Sie könnte „Ossi“ heißen. Kommen ostdeutsche Befindlichkeiten im Fernsehen zu selten vor? Anlässlich der beiden Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg ein Gespräch mit Hans W. Geißendörfer, Autor und Produzent der ARDSerie „Lindenstraße“.

Bundespräsident Köhler hat mit seiner Äußerung, dass man die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland einfach auch mal anerkennen müsse, eine heftige Debatte angestoßen. Hat da nicht einer ehrlich die Wahrheit gesagt?

Herr Köhler hat sicher gemeint, dass man den jetzigen Stand der unterschiedlichen Lebensverhältnisse in Ost und West realistisch sehen und anerkennen muss, ohne immer wieder in wenig hilfreiches Klagen zu verfallen. Er hat sicher nicht gemeint, dass der Unterschied ewig so bleiben soll und dass man mit dem Status 2004 doch bitteschön auch in naher und ferner Zukunft zufrieden sein soll.

Sondern?

Gleiche Chancen müssen geschaffen werden, und diese werden eines Tages auch zu gleichen Lebensverhältnissen führen - dies um so schneller, je mehr die Menschen in den neuen Bundesländern die gegebenen Chancen nutzen und nicht zahlreich in den Westen wandern, der ja nun wirklich alles andere als nur golden ist.

In der „Lindenstraße“ haben Sie aber vor kurzem zwei Frauen aus den neuen Bundesländern, von Dresden nach München ziehen lassen, weil es dort auch Arbeit gibt.

Unsere beiden Frauen, Nina und Suzanne, gehen aus Beziehungsgründen nach München, nicht der besseren Arbeitschancen wegen. Beide hatten gute Stellen in Dresden. Wir werden demnächst eine Figur voraussichtlich nach Leipzig schicken, weil für sie dort der bessere und besser bezahlte Job winkt.

Also gegen den Trend.

Für mich war immer klar, dass es eine Weile dauern wird, bis Ost und West zusammenwachsen. Dass beide ungeheueren Reichtum an Eigenheiten und Besonderheiten einander schenken und viel von einander lernen können, sollte die Ungeduld miteinander ausgleichen. Wir sind das Volk.

Dennoch: Stichwort Sozialreformen. Die „Lindenstraße“ wollte immer ein Stück Aktualität und soziale Realität widerspiegeln, auch Kritik üben. Fangen Sie diese deutsche Stimmung derzeit richtig auf?

Die Entwicklung der Unruhe und der zahlreichen Unzufriedenheiten in unserem Volk zu Hartz IV hat meine Autoren und mich leider kalt erwischt. Wir haben mit einer so starken Ablehnung der Sozialreform nicht gerechnet und sie deswegen auch nicht in die großen Geschichten der „Lindenstraße“ einarbeiten können, was nicht heißt, dass wir das Thema überhaupt nicht „packen“. In unseren Aktualisierungen kommt die Stimmung zu Hartz IV mehrfach vor.

Noch mal zu dieser Dresdner Frauen-WG in der „Lindenstraße“. Warum hat das nicht funktioniert?

Einen „Lindenstraßen“-Ableger von München nach Dresden zu verlegen, hat sich nicht bewährt. „Hüben und drüben“ entsprachen die Reaktionen nicht unseren Hoffnungen. Da es ziemlich umständlicher dramaturgischer Kniffe bedurfte, die Dresdner WG inhaltlich zu führen, habe ich die wieder aufgelöst. Dies bedeutet, dass wir die Probleme der Bürger in den neuen Bundesländern aus der Perspektive der Münchner „Lindenstraße“-Bewohner zeigen können.

Mögen die Ostdeutschen die „Lindenstraße“ nicht oder die „Lindenstraße“ nicht die Ostdeutschen?

Die „Lindenstraße“ liebt die Ostdeutschen und hofft, dass eines Tages auch die Ostdeutschen die „Lindenstraße“ richtig lieb gewinnen.

Müssten dann nicht doch wieder mehr ostdeutsche Themen oder Autoren ins Team?

Wir haben aus dem ganzen Bundesgebiet Autoren, auch aus dem Osten.

Wann waren Sie das letzte Mal in Ostdeutschland?

Vergangene Woche.

Haben Sie Kontakt zum Kanzler oder anderen Politikern? Sagen Sie Gerhard Schröder, was Sie von Hartz IV halten?

Wenn der Kanzler mich fragt, sage ich ihm natürlich meine Meinung.

Und…

…da er sehr viel beschäftigt ist, stellt er mir trotz freundschaftlichem Kontakt selten solche Fragen. Unabhängig davon dürfen wir in der „Lindenstraße“ sagen, was wir denken, auch wenn es Kritik am Kanzler ist, vorausgesetzt, es passt in die Dramaturgie. Vergessen Sie nicht: Die „Lindenstraße“ ist zuallererst eine fiktive Welt, die unterhalten will. Wenn dabei mal ein „politisches Lüftchen“ weht, wird daraus noch kein Politmagazin.

Das Interview führte Markus Ehrenberg

„Lindenstraße“, ARD, ca. 18 Uhr 40

Hans W. Geißendörfer , 62, Autor, Produzent, Regisseur, Grimme-Preisträger. Einer der Macher im deutschen Fernsehen. Führte auch Regie in „Der Zauberberg“, „Justiz“.

ERSTE FOLGE

Die „Lindenstraße“ startete im Dezember 1985 und hat nach anfänglichen Schwierigkeiten ein Stammpublikum von fünf bis sechs Millionen Zuschauern.

JUBILÄUM

Im Januar 2005 läuft die 1000.Folge. Bis Ende 2008 wurde verlängert.

THEMEN

Die Serie greift gerne aktuelle Themen, Stimmungen auf: Aids, Atomstrom, Rassismus, Schwule, Wahlen, Fußball-WM 2006 (geplant).

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