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Medien: „Hier haben sich unglaubliche Szenen abgespielt“

Sacrower See bei Berlin oder Gorkipark in Moskau? Ulrich Deppendorf und Thomas Roth über ihre neuen Arbeitsplätze

Herr Deppendorf, haben Sie einen Lieblingsort in Berlin?

DEPPENDORF: Ich mag den Sacrower See bei Berlin und den Dorotheenstädtischen Friedhof.

Und welchen Ort mögen Sie in Moskau, Herr Roth?

ROTH: Den Gorkipark. Er erzählt viel über die letzten vierzig, fünfzig Jahre. Ein magischer Ort, der mir immer wieder den Atem raubt.

Herr Roth, Sie gehen zurück nach Moskau. Herr Deppendorf, Sie kommen zurück nach Berlin. Neue Aufgaben sind bei Ihnen alte Aufgaben. Was reizt Sie daran?

DEPPENDORF: Wenn die alten Aufgaben Spaß machen, kann man auch wieder zurückkehren. Berlin ist der spannendste Ort, den man sich vorstellen kann. Eine Stadt voller Brüche, immer noch im Aufbruch und permanent in Veränderung. Wer im Journalismus arbeitet, will hier hin.

ROTH: Ich stehe jetzt gerade vor einer spannenden Phase in Russland. Wie wird Putins Machtübergabe aussehen? Ich habe Putin aufsteigen sehen, ich habe Jelzin erlebt. Jetzt ist die Frage, wie Russland mit dieser Schlüsselstellung umgeht. Das sind andere Umstände als vor fünf Jahren. Ich freue mich auf meine, wahrscheinlich letzte, russische Etappe. Auch um zu sehen, wie Russland mit dieser gewaltigen Transformation umgeht.

Moskau oder Berlin: Welche Stadt ist derzeit der interessantere Arbeitsplatz?

ROTH: Das kann man nicht vergleichen. Moskau hat sich gewaltig verändert. Es ist eine neue Stadt mit enorm vielen Brüchen, die die Modernität, aber auch die Fehlentwicklung Russlands transportiert. Ich kenne beide Städte gut und möchte gar nicht sagen, welche spannender ist.

DEPPENDORF: Berlin ist auch politisch mittlerweile eine der wichtigsten Städte der Welt, sie ist das Verbindungsglied nach Moskau, in den Osten.

Herr Roth, Sie haben das politische Berlin mit einer Käseglocke verglichen. Ist das in Moskau ähnlich?

ROTH: Nein. In Moskau stehen Sie vor der Kremlmauer, das ist keine Käseglocke, das ist eine Festung. Es hat sich viel verändert. Unter Jelzin gab es noch eine freie Presse. Davon kann jetzt keine Rede mehr sein. Was die Käseglocke Berlin betrifft, ist es schwierig, die umliegende Realität in die politische Berichterstattung einzubringen. Wir tendieren dazu, uns zu viel unter uns selbst zu verständigen. Es ist aber wichtig, dass man sich bewusst ist, worum es wirklich geht. 800 Meter von hier gibt es zum Beispiel eine Suppenküche.

DEPPENDORF: Aber das „Raumschiff Berlin“, gerne auch „Raumschiff Einstein“ genannt…

…benannt nach dem „Café Einstein Unter den Linden“, in dem die Politikprominenz ein und aus geht…

DEPPENDORF: …ist hier näher an der Realität als das „Raumschiff Bonn“ damals.

ROTH: In Deutschland haben wir eine funktionierende, kritische Zivilgesellschaft, in Russland ist es ein autokratisches System.

Aber als ausländischer Korrespondent kann man in Russland doch immer noch arbeiten, oder?

ROTH: Das hoffe ich, aber sehen Sie das Beispiel meines Kollegen Stephan Stuchlik an, der bei einer harmlosen Demonstration zusammengeschlagen wurde. Es demonstrierten 2000 Menschen, und die Staatsmacht schickte 9000 Polizisten. Das Arbeiten dort ist gefährlich geworden, und dagegen muss man sich wehren.

Wie erklären Sie sich die Popularität Putins, seinen Rückhalt im Volk?

ROTH: Das liegt unter anderem an Boris Jelzin, der ja eine sehr instabile Person war. Raubtierkapitalismus, Entstehung der Oligarchen, die Tschetschenienkriege, Währungszusammenbruch – die Russen haben die Jelzin-Zeit als eine Phase der Instabilität und der Bedrohung erlebt. Keine Gehälter, keine Sicherheit. Mit Putin kam ein Mann, der nicht trinkt, im Gegensatz zu Jelzin. Der war depressiv und Alkoholiker. Putin brachte eine gewisse Stabilität in das Land, eine Sicherheit, dass morgen nicht wieder alles anders ist. Jeder Taxifahrer wird Ihnen sagen: Putin regiert das Land hart, aber ich bekomme mein Geld.

Wenn Sie einen Blick zurückwerfen, wie haben sich die Politik und damit die Medienberichterstattung in Deutschland in den letzten Jahren geändert?

DEPPENDORF: Wir hatten schwere Geschichten hinter uns, die CDU-Parteispendenaffäre, die Kosovo-Einsätze, die Kritik an Joschka Fischer wegen seiner Vergangenheit – und dann kam die große Koalition. Die ist natürlich nicht so medienpräsent wie die Regierung Schröder. Das hat sich geändert. Man merkt es auch an den Talkshows. Da sitzen nicht mehr jeden Sonntag die gleichen Köpfe.

Woran liegt das?

DEPPENDORF: Die Protagonisten der großen Koalition stehen Medienauftritten kritischer gegenüber als Schröder. Für ihn waren Medien alles. „Bild“ und Glotze, das war’s. Das hat sich geändert.

ROTH: Es sind weniger Diven unterwegs. Wir hatten im rot-grünen Kabinett sehr ausgeprägte Persönlichkeiten mit einem recht hohen Narzissmusgrad. Es ist ruhiger geworden. Zum Teil waren wirklich launische Mitglieder in der Regierung.

DEPPENDORF: Und dazu Herr Schröder. Als wir hier angefangen haben, waren das die wilden ersten Jahre. Hier haben sich unglaubliche Szenen abgespielt. Herr Schäuble musste von der Polizei geschützt werden. Die Journalisten haben sich geprügelt, wir hatten Sondersitzungen der Bundespressekonferenz „Wie kommen wir miteinander aus?“. Wir waren eine Meute, das hat Herlinde Koelbl in ihrem Buch „Die Meute“ schön beschrieben. Das hat sich beruhigt.

Die geringe Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt zeigt wieder die Politikverdrossenheit der Bürger. Wie können die Medien und allen voran Ihr „Bericht aus Berlin“ Politik den Menschen näherbringen?

DEPPENDORF: Sicherlich können wir ein wenig dazu beitragen. Aber vor allem müssen das die Politiker selbst tun. Das Beispiel Frankreich zeigt, dass es auch anders geht. Dort gab es jahrelang eine geringe Wahlbeteiligung. Jetzt gibt es zwei Entwürfe für das Land, einen konservativen und einen linken. Das zieht die Wähler wieder an. Unsere Parteien müssen auch wieder unterscheidbarer werden.

Können Sie dem Trend begegnen, dass sich jüngeres Publikum von ARD und ZDF nicht mehr angesprochen fühlt?

DEPPENDORF: Es ist sicher so, dass politische Sendungen nicht das jüngste Publikum haben. Unser Problem ist die Frage, wie wir die 30- bis 49-Jährigen bekommen. Ich glaube, es gibt bei der Generation wieder eine Sehnsucht zur Schwarzbrot-Berichterstattung, also nicht nur Schickimickibildchen und Comedy, sondern gut gemachte, seriöse Infos.

ROTH: Wir haben nur ein Kapital: Glaubwürdigkeit.

DEPPENDORF: Schauen Sie sich die klassischen amerikanischen Nachrichtensendungen an, zum Beispiel „60 minutes“. Das hat sich seit 25 Jahren nicht verändert. Da sind sogar die Moderatoren über achtzig. Menschen wollen bei Nachrichtensendungen Beständigkeit und Ernsthaftigkeit.

Haben Sie nicht manchmal genug von Medien?

DEPPENDORF: Ja, die Sehnsucht nach Stille ist schon ab und zu da. Aber spätestens nach ein paar Tagen muss ich dann mal ins Internet.

ROTH: Nein, eigentlich nicht. Aber der Monbijoupark und die Museumsinsel sind Orte, an denen ich entspannen kann. Und ich spiele Gitarre. Aber nur, wenn mein Schwiegersohn nicht in der Nähe ist. Der kann das nämlich viel besser.

Das Interview führten Yoko Rückerl und Jens Mühling.

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