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Medien: Im Radio: Liebe und Orgasmus

Bargan ist Flibustierkapitän. Eine Art Chefseeräuber.

Bargan ist Flibustierkapitän. Eine Art Chefseeräuber. Kein ehrwürdiger Beruf im bürgerlichen Sinne, aber eine ergiebige Quelle poetischer Phantasien. Bertolt Brecht hat diesen Bargan erfunden, ungefähr zur selben Zeit, als er auch das Drama vom wilden Künstler Baal schrieb. In beiden Fällen steckt unter der Maske des mythischen Helden eine Ausgeburt des modernsten Expressionismus. "Bargan lässt es sein" heißt der weitgehend unbekannte Text Brechts, der beim Deutschlandfunk in einer schönen Radio-Inszenierung zu hören ist. Hermann Lause und Ulrich Wildgruber erzählen die schauerliche Moritat von einem Mann, der an seiner Liebe zugrunde geht. Denn die Liebe ist der einzige Fehler dieses furchtlosen Helden. Bargans Liebe fällt nicht auf irgendeine hübsche Seeräuber-Jenny im weißen Kleid, sondern ausgerechnet auf einen Mann aus seiner Truppe. Der Klumpfuß Croze ist abstoßend häßlich und obendrein ein Verräter.

Aber das bewahrt Bargan nicht vorm Untergang. Brecht hatte ja keine realistische Psychologie im Sinn, sondern eine Parabel über die Macht der Liebe, die sich jederzeit ins Zerstörerische wenden kann. Bargan liebt sich an Croze zu Grunde, gegen alle Plausibilität und gegen die Warnungen seiner Männer. Genau das macht die Stärke dieser unvernünftigen Geschichte aus. Die Liebe ist wild, böse, unbezwingbar. Archaikum und Moderne, Expressionismus und Volksmythologie treffen sich im metapherntrunkenen Stil des frühen Brecht. Dank Lause und Wildgruber wird ein akustisches Kabinettstückchen daraus (Deutschlandfunk, 16. Juni, 20 Uhr 05, UKW 97,7 MHz).

Der Liebe hatte einst auch Wilhelm Reich sein Leben gewidmet. Der körperlichen Liebe, die dem Seelenarzt als ein direkter Weg ins Paradies erschien. Der geglückte Orgasmus war der Hebel, mit dem sich die kranke Welt aus den Angeln heben ließ. "Lust und Frust" heißt ein Feature von Birgit Kolkman und Panagiotis Kouparanis, das über Reichs Lehre und ihre kulturrevolutionären Folgen nachdenkt. Er war ein Schüler Freuds und später marxistischer Volksaufklärer. Ein genialer Clown im Zirkus der europäischen Utopien. An seinem Lebensende zog Reich als Regenmacher durch Amerika. Die rebellischen Studenten der siebziger Jahre haben ihn als Propheten der sexuellen Befreiung wiederentdeckt. Als radikalen Seelenanatom, der dem verklemmten Körper des Bürgers die Pestbeulen aufstach. Ein ewig Unzeitgemäßer, der uns einen großen, schönen Traum hinterlassen hat (Deutschlandradio Berlin, 16. Juni, 19 Uhr 05, UKW 89,6 MHz).

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