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Medien: „Ja, was ist denn so besonders an mir?“

SETTING 12 Uhr. Hamburg Lokstedt.

Von Barbara Nolte

SETTING

12 Uhr. Hamburg Lokstedt. Ulrich Wickert balanciert eine Tasse Tee in sein Büro. Er trägt Stiefeletten, eine schmale schwarze Hose und einen lilafarbenen Pullover, wie ihn sonst nur die Männer aus der „Boss“-Werbung tragen und Joachim Löw, Klinsmanns Assistent.

Herr Wickert, zum Einstieg: Wählen Sie bitte einen Vergleich aus, der Sie am besten trifft?

A Plauderphilosoph („FR“)

B Lebemann („Bunte“)

C Grandioser Schnuffel („Spiegel“).

„Ach“, sagt er, „Schnuffel finde ich am schönsten.“

Auch treffend?

„Ja“, Wickert lacht kurz auf, „grandioser Schnuffel finde ich wunderbar.“

MATERIALLAGE

Vollständig lautet das „Spiegel“-Zitat so: „Wenn er die katastrophenträchtige Nachrichtenkost in verdauliche Stücke ziseliert, sich hier und da einen Wimpernschlag lang verhaspelt, im nächsten Augenblick schon wieder sein verführerisches Lächeln aufsetzt, das jede Überschwemmung in Bangladesch vergessen macht, dann denken wir zuweilen: Welch grandioser Schnuffel!“

Das Zitat trifft den Kern des Archivstapels, der, einerseits, Wickerts Beliebtheit dokumentiert: in vielen vorderen Plätzen in Umfragen zum intelligentesten, charmantesten, erotischsten Deutschen. Andererseits aber auch von einem leicht ironischen Tonfall durchzogen ist, der aber nur in der Beurteilung seiner Ethik-Fibel „Der Ehrliche ist der Dumme“ in Häme abgleitet. Das Buch hatte man schon fast vergessen. Dabei hat es 1996 die Bestsellerlisten dominiert, wie Peter Hahnes „Schluss mit lustig“ im vergangenen Jahr.

THESE 1

Nachrichtenmoderatoren fühlen sich dazu berufen, Bücher über Moral zu schreiben.

„Die meisten Bücher über Moral werden nicht von Fernsehleuten geschrieben“, sagt Wickert.

Aber die erreichen nur kleine Auflagen. Wickert und Hahne haben zusammen über eine Million Bücher verkauft. Es muss einen Zusammenhang zum Beruf geben: Nachrichtenmoderatoren sind für die Menschen offenbar Instanzen, von denen sie sich nicht nur allabendlich die Welt erklären, sondern auch moralisch belehren lassen wollen.

THESE 2

Nachrichtenmoderatoren werden überschätzt .

„Was heißt überschätzt?“ fragt er.

Dass ihr Alltag weniger erkenntnisreich und glamourös ist, als es sich die Menschen draußen vorstellen.

„Ich weiß nicht, was die Menschen sich vorstellen.“

Wickert ruckelt auf seinem Schreibtischstuhl hin und her. Schleppender Anfang: Er will nicht über seinen Berufsstand reflektieren, schon gar nicht mit Hahne verglichen werden. Es muss dringend ein anderes Thema her.

THESE 3

Ihr perfekter Sonntag beginnt damit, dass Sie sich erst mal ein Ei pochieren.

Wieder falsch. Aber wenigstens wird die Stimmung besser. „Oeufs bénédictitine!“ sagt Wickert und reißt die Arme hoch. „Pochiertes Ei mit einen Sauce Bernaise darüber. Ja, habe ich mir schon mal bestellt, aber selbst gemacht: nee.“

Was pochieren Sie denn?

„Gar nichts.“ Wickert lacht wieder. „Ich bin kein großer Koch.“

THESE 4

Aber Sie sind ein Geschmacksfundamentalist.

„Das wird behauptet, weil ich a) in Frankreich gelebt habe und b) den französischen Rohmilchkäse immer verteidigt habe gegen den deutschen pasteurisierten. Das hält man für absurd, dass sich jemand mit so was beschäftigt. Im Grunde bin ich aber wie alle anderen Leute.“

Ist er nicht: Wickert ist nie darum verlegen, ein Buch, ein Lied, einen Film oder einen Käse zu empfehlen. Seine Interessen und Vorlieben sind so stimmig wie die Architektur der Stadt Paris.

„Wie Paris, herrlich!“, sagt Wickert. „Aber was ist denn so besonders an mir? Ja, warum liebe ich zum Beispiel das Lied ,Le Temps des Cerises’ von Charles Trenet? Weil es einfach romantisch ist.“

Wir würden gerne Ihre unkultivierte, trashige Seite kennen lernen …

„Heute ist doch gar nichts mehr unkultiviert“, sagt Wickert.

THESE 5

Wenn Sie sich unbeobachtet fühlen, gucken Sie auch mal Stefan Raabs „TV total“.

„Nein“, sagt er, „das langweilt mich.“

Selbst nach den „Tagesthemen“, wenn sich die Kollegen erschöpft vors Fernsehen setzen, liest Wickert Bücher – so stand es in einem Porträt.

„Ich zappe auch durchs Programm. Wenn ich amerikanische Filme sehe, in denen Leute immer nur mit Gewehren herumlaufen, finde ich das eben langweilig. Aber ich gucke auch Mist, jawoll, ich bin ein begeisterter Fan von Italo-Western. Schauen Sie mal da oben ...“

Wickert zeigt auf eine kleine Skulptur auf seinem Fernseher. Tatsächlich, da ist es: das erste Indiz von Unkultur.

„Piccolo Stronzo“, sagt er. „Sie wissen nicht, was Piccolo Stronzo ist?“

Die Skulptur stellt „Das kleine Arschloch“ dar. Warum nennt er es nur Piccolo Stronzo? Hat er es in Italien gekauft?

Nein, er hat nur den Namen übersetzt.

„Weil es viel schöner ist, Piccolo Stronzo zu sagen als Kleines Arschloch. Nicht war?“

LEBENSLAUF

In Tokio geboren …

„… ja, 1942.“

Nina Ruge, Marietta Slomka, Anne Will waren alles Einser-Schüler. Sie?

„Auch, in der ersten Klasse Volksschule“, sagt er lachend.

In der 11. Klasse wäre Wickert fast sitzen geblieben, dafür hatte er Zuhause schon chinesische Klassiker gelesen.

„,Die Räuber von Liang Shan Moor’ – im Grunde ist es ein Abenteuer-Roman.“

Jura-Studium in Bonn. Wickert saß einmal mit Dutschke auf einem Podium, er war auch 68er, was noch weniger zu ihm passt als der lila Pulli.

„Wieso? Ich hatte damals Haare bis zur Schulter.“

Die ganze 68er-Kultur, die WG-Küchen, in denen im Zweifelsfall die Zigarette immer im alten Frühstücksei ausgedrückt wurde – für einen Ästheten wie Wickert muss das unerträglich gewesen sein.

„Das ist ein Klischee. Auch damals gab es schon Leute, die wussten, welchen italienischen Wein man trinken muss. Ich habe da noch Amselfelder getrunken.“

… und schwarzen Afghanen geraucht.

„Ich habe nie geraucht. Ein einziges Mal habe ich etwas im Tee getrunken.“

Wickert schrieb darüber in der Zeitschrift „Max“: „Ich merkte, wie aus meinem Bauch eine Lachlawine emporrollte …“ Aus Deutschlands konservativem Milieu rollte nach dem Bekenntnis eine Empörungslawine empor.

„Bei der ARD hat sich kein Mensch aufgeregt“, sagt Wickert. Er hatte immer mehr Spielraum als andere.

THESE 6

Kein Top-Moderator darf sich so oft versprechen wie Sie.

„Tja, das empfinde ich als eine großes Freiheit.“ Wickerts Lächeln friert ein. Sobald es um den Beruf geht, wird er wieder einsilbig. Er wirkt empfindlich. In den letzten Jahren hat er seine Unantastbarkeit verloren: Auf einmal zählen manche doch seine Versprecher, und Claus Kleber vom „heute journal“ überholt ihn auf der einen oder anderen Rangliste.

THESE 7

Auch an Nachrichtenmoderatoren sehen sich die Menschen satt.

„Falsch. Sehen Sie nur in Amerika, da sind die meisten Anchormen schon 20 Jahre auf Sendung.“

Jetzt schaut er auch noch auf die Uhr: eins. Er müsse weg, sagt er unvermittelt: Konferenz. Höchste Stufe der Unwilligkeit. Wickert mag die eigenen Schwächen noch weniger reflektieren als seinen Berufsstand. Kann man auch verstehen. Er hört am 31. August bei den „Tagesthemen“ auf, und im letzten Berufsjahr gilt die alte Regel nicht mehr, dass man nur aus Kritik lerne. Was soll er jetzt noch lernen?

„Noch fünf Sekunden“, droht Wickert.

THESE 8

Wenn Sie nachts aufwachen, dann wird Ihnen manchmal ganz mulmig, weil Sie bald nicht mehr fast täglich im Fernsehen sind.

„Nein. Ich habe ein großes Gefühl der Befreiung. Ich werde Features machen, Krimis schreiben. Ich habe viel zu tun.“

ABGANG

Er läuft einfach weg. „Ich bekomme bestimmt Schelte“, sagt er. In der Tür dreht er sich noch einmal um. „Gute Rückreise!“

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