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Amor vincit omnia. Gegen alle Hindernisse haben sich Maisie Robinson (Laura de Boer) und Hugh Pilaster (Dominic Thorburn) ineinander verliebt.

© ZDF

Ken-Follett-Verfilmung im ZDF: Gott vergibt, Geld nie

„Die Pfeiler der Macht“: Die ZDF-Verfilmung des Ken-Follett-Romans singt wieder das Hohelied des Helden, der nie aufgibt

Ein Schuss, ein Todesfall, die Leiche eines vornehmen Herrn. Der Urknall – mehr als drei Stunden Fernsehen heben an. Der Mann konnte nicht anders, als sich zu erschießen. Die Bilder zuvor haben es nahegelegt: fuchtelnde Zylinderträger vor der Bank. Pleite. Kapitalismus eben, nur 150 Jahre her. Nun liegt er da, der abtrünnige Spross des großen Londoner Bankhauses Pilaster, der es auf eigene Faust versuchen wollte.

Der 13-jährige Sohn des Toten, Hugh Pilaster (als Erwachsener: Dominic Thorburn), senkt das Haupt. Er weiß, dass die sorglose Kindheit vorbei ist. Dem Mittellosen wird von der reichen Verwandtschaft nichts geschenkt werden. Im Viktorianischen Zeitalter gilt trotz aller Sentimentalitäten der Grundsatz: Kinder haften auch für ihre Eltern. Pleite ist Strafe für Laster, Laster sind erblich. Gott vergibt, Geld nie. Nur der Erfolg durch Arbeit kann die Not wenden. Die Liebe muss sehen, wo sie bleibt. Amen.

Dem Zuschauer wird dennoch gar nicht bang ums Herz. Er sitzt wohlig vor dem irgendwie immer gleichen Oratorium des 1949 im walisischen Cardiff geborenen Ken Follett. Er weiß, jetzt setzt er ein, der Choral vom Sieg des Einzelnen über die Geschichte. Tragödien werden nur die niederwerfen, die es verdient haben. Der Mutige wird nie verlieren. Nicht der arme Tropf Hugh, nicht der Steinmetz Tom Builder aus „Die Säulen der Erde“, der eine mittelalterliche Kathedrale baut und Sat 1 im Jahr 2010 einen großen Zuschauererfolg brachte wie zwei Jahre später die Brückenbauer in der Fortsetzung „Die Tore der Welt“.

Die in den deutschen Übersetzungen titelgebende Baumeisterlichkeit, die „Säulen“, „Tore“, „Pfeiler“, passt zur beabsichtigten Solidität des Epenunternehmens Follett, der die historische Unterhaltungsliteratur mit seinen vielen Schreibhelfern auf gesicherte Füße gestellt hat. Alles muss stimmen. Auch der beinharte (und märchenhafte) Grundoptimismus seiner Geschichten muss erscheinen, sonst wirken die nicht als Beruhigungsmittel in unserer katastrophenfrohen Gegenwart.

Aus solchen Buchrezepten resultiert nicht automatisch gutes Fernsehen. Das hautnahe Medium verlangt die produktive Zerstörung des berechneten und berechnenden Follett’schen Glasperlenspiels. Widerstand ist erste Fernsehpflicht für Buch und Regie. Drehbuchautorin Annette Simon hat in die Schicksalsmaschinerie Folletts beherzt eingegriffen. Der Beginn der Geschichte des Helden Hugh, seine erste Begegnung mit seiner großen Liebe Maisie Robinson (Laura de Boer) verlaufen im Fernsehen anders als im Roman. Das Böse in Gestalt des argentinischen Großgrundbesitzersohns Micky Miranda (Luca Marinelli) ist nicht wie bei Follett durch ein mörderisches Vorspiel im Internat vorbestimmt, es entwickelt sich erst im Ablauf der Handlung.

Konsequent tanzt Regisseur Christian Schwochow, wo immer es geht, durch die Geschichte von der Erschütterung einer großen Bank. Ballett statt Erzählballast. Gern nehmen die Mächtigen und weniger Mächtigen Aufstellung in bühnenhaften Formationen, heben klatschsüchtige Damen gleichzeitig die Mokkatassen. Im Bildhintergrund stehen oft Diener aufgereiht wie ein stummer Chor, der, wenn er dürfte, wohl singen würde: Seht her, alles nur historische Kulisse. Alles nicht so gravitätisch, wie es sich gibt.

Ironie wird nicht geboten

An keiner Stelle geht der Gaul mit den Machern durch. Keine Ironie durchlöchert die Follett’sche Sorgfalt in Sachen Zeitdekor, stilechte Mode und Bühnenbild. Stolz verweisen die Produzenten darauf, was sie für ein Budget von acht Millionen Euro zusammengetragen haben: eine äußerst ansehnliche Schlösserwelt in Irland, 1300 Komparsen, eingekleidet und frisiert, 973 Kostüme, 50 Ratten, zehn Hunde, eine Ziege, acht Hühner, zwei Papageien, einen Pfau, einen Esel und 15 Pferde.

Alles ein Nichts, wenn die Schauspieler diese Kulissenpracht nicht benutzen könnten, um Charakterrollen zu zelebrieren. Jeder Darsteller bekommt die Chance, sich von innen heraus zu erklären. Rolf Hoppe als Seniorbankchef Seth Pilaster wacht mit eulenäugigem Scharfblick über dem Geldhaus. Sein Nachtjäger-Blick sagt alles. Er sieht sein baldiges Ende, er durchschaut ohne Greisenmilde die Gefahren für das Geldhaus, er erkennt die Luschen wie Hughs Vetter Edward unter seinen Enkeln und erblickt den Retter: Es ist ausgerechnet Hugh, der durch den Selbstmord des Vaters Beschädigte. Der alte Prophet hat das Gespür für Durchsetzer. Hoppe spielt das ohne Sentimentalität mit leicht irrer Verschmitztheit. So sieht ein kapitalistisches Gespenst an seinem Ende aus.

Nicht anders vorstellbar, aber Axel Milberg als Bank-Teilhaber Samuel Pilaster verdient sich einen Extra-Stern. Der Mann, den Milberg spielt, ist ein Genießer, ein Lebenskenner, aber gemäß der verlogenen viktorianischen Moral ein Sünder: Samuel ist schwul, denkt aber nicht daran, seine Neigung zu verbergen. Mitten in der Öffentlichkeit zeigt er die Liebe zu seinem Sekretär. Milberg vermeidet alle Tuntenklischees, alles Gekrampfe und tanzt seine Homosexualität szenisch elegant heraus. Die prüde Gesellschaft is not amused, aber letztlich besiegt. Das Individuum kann sich selbst unangreifbar machen, lautet die Botschaft.

"Jules und Jim"-Menage-à-trois

Im Metier Liebe, Rührung, Eifersucht brilliert Albrecht Abraham Schuch als Hughs letztlich treuer Freund, Solly Greenbourne. Der ist Millionenerbe, aber auch hoffnungsloser Romantiker. Seine jüdische Abkunft macht ihn zum Außenseiter, lässt ihn aber nicht bitter oder arrogant werden. Er begegnet Maisie zusammen mit Hugh. Er verliebt sich wie Hugh in das arme Mädchen. Eros aber ist ein ungerechter Gott: Maisie und Hugh streiten zwar wie die Kesselflicker, schließlich hat der Selbstmord des Hugh Vaters Maisies Vater arbeitslos gemacht und die Buchhalterfamilie ins Elend gestürzt. Aber – Folletts Glaube an die unhintergehbare Autonomie des Individuums – die Liebe ist Besitz der Liebenden und stärker als alle gesellschaftlichen Wunden.

Die „Jules und Jim“-Menage-à-trois endet nicht in der Tragödie, weil Solly Greenbourns Großmütigkeit und Verantwortungsbereitschaft die Furien der Eifersucht besiegt. Das reiche Kamel Solly kommt durch das Nadelöhr der Tugend in den Himmel der Toleranz. Schuch spielt das herzenswarm, ein guter Junge, fast zu gut für die irdische Liebe.

„Die Liebe in Gedanken – sie wird für den Rest meines Lebens genügen müssen“, hinterlässt Solly als Erkenntnis, denn er hat Maisie endgültig an Hugh verloren. Einen tröstlicheren Schluss, ihn hat die Autorin Simon neu gestaltet, lässt sich für Folletts Glasperlenspiel im Retro-Gewand kaum denken. So sehen die Pfeiler der wahren Macht aus: die romantischen Pfeiler der Unterhaltung.

„Die Pfeiler der Macht“, ZDF, Montag und Mittwoch, 20 Uhr 15

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