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Medien: Klementine ist tot

Von Barbara Nolte Der Einband: matt und schwarz. Das Papier: vom feinsten.

Von Barbara Nolte

Der Einband: matt und schwarz. Das Papier: vom feinsten. Das Buch ist zweifelsohne ein Schmuckstück für jedes Bücherregal. Der neue Grass sieht dagegen aus wie ein Groschenheft. Und dick ist es, fast wie die Kafka-Gesamtausgabe.

Wenn man ein bisschen blättert, wird klar, warum das Buch so viel Gewicht hat. Wegen der Schrift: 13 Punkt. Die zentralen Sätze sind nochmal doppelt so groß. Von Biografien von Prominenten kennt man so was. Von Hillu Schröder: „Auf eigenen Füßen". Oder von Pierre Littbarski: „Litti". Ein Trick, wenn ein Leben, normal gedruckt, sagen wir nur so um die 80 Seiten dünn wäre. Aber dies hier ist eine Art Lehrbuch: Werbung. Und im Falle von „Momentum", so heißt das Buch, sind die große Schrift, der vornehme Einband und das Papier bloß die Umsetzung der ältesten Werberregel: Die Verpackung ist mindestens so wichtig wie der Inhalt.

Holger Jung und Jean-Remy von Matt haben das Buch geschrieben. Sie sind die Chefs der Hamburger Agentur Jung von Matt, die unter anderem für die „Bild", Sixt, Jever und BMW Werbung macht. Und was haben sie nicht schon alles gewonnen? „Art-Directors-Club-Nägel", „Effis" und „Löwen“ aus Cannes. So heißen die wichtigen Preise der Werbung. Bestimmt mehrere hundert haben sie davon. Gut, die Branche vergibt ihre Preise ein bisschen inflationär. Vielleicht weil Werber von ihren Kampagnen wissen, wie gut sich ein Qualitätsstempel auf einem Produkt macht. Aber so viele Trophäen wie „Jung von Matt" hat in der letzten Zeit kein anderer gewonnen. Vor vier Wochen sind die beiden auch noch in die so genannte „Hall of Fame" der Werbung aufgenommen worden, was mit einem „Oscar“ fürs Lebenswerk zu vergleichen wäre.

Ihr Buch ist ein ungewöhnliches Lehrbuch. Eines, das an manchen Stellen gegen den Glauben an Lehrbücher polemisiert. „Gescheit, gescheiter, gescheitert" – so geht sein Reim auf den Sinn von akademischem Wissen. Jung und von Matt finden, dass man bei der Beurteilung von Werbung besser dem Gefühl vertrauen soll. Als Leser haben sie wohl auch ihre Auftraggeber im Sinn: Marketing-Spezialisten zumeist, die zwar Hunderte Theoreme und Formeln im Kopf haben, wie man ein Produkt an den Mann bringt, aber oft zuwenig Mut. Am liebsten sei denen folgendes Werbeprinzip: „Zeige einen Konsumenten in einer glücklichen Situation, und jeder wird sofort erkennen, dass sein Wohlergehen ganz selbstverständlich auf das verwendete Produkt zurückzuführen ist.“ Aber solche Werbung funktioniere nicht mehr, sagen Jung und von Matt. Die glückliche Margarine-Familie, die lustigen Bier- Kumpel, überhaupt, das gefällige Weichzeichner-Deutschland: von gestern.

Der Konsument sei nämlich gar nicht so leicht zu verführen, wie Marketing-Spezialisten in seltener Eintracht übrigens mit Marxisten glaubten. Der Käufer sei heute „der souveräne Herr der Lage". Denn er hat die Wahl. 4500 Werbebotschaften prasseln pro Tag auf ihn ein. Höchstens drei lasse er an sich ran. „Damit endet die Ära der Riesenwaschkraft", heißt es im Buch. „Die Werbung hat ihr altes Recht verloren, unangemeldet ins Wohnzimmer zu platzen und trotzdem nett empfangen zu werden."

Werbung müsse in den Zeiten der Reizüberflutung wie ein Trojanisches Pferd sein – sonst straft sie der Konsument mit Missachtung. Sie muss originell und charmant daherkommen. Frech wie das Sturmfrisur-Plakat von Angela Merkel auf der Cabrio-Werbung. Oder lustig-überzogen wie der „Sparkassen"-Spot mit den beiden alten Freunden, die sich Fotos auf den Tisch knallen: „Mein Haus, mein Auto, mein Pferd". Beide Kampagnen sind, natürlich, von Jung von Matt. „Momentum" nennen sie die besondere Qualität erfolgreicher Spots: In kaum mehr als einer Sekunde Aufmerksamkeit, die Menschen einer Anzeige schenken, müsse sie die Kraft haben, nachhaltig ihr Denken zu verändern. „Momentum" – ein Wort, so schön wie ein Stuhl von Charles Eames. Durchs ganze Buch zieht es sich hindurch. Und damit sind wir wieder bei einem ganz alten Prinzip der Werbung: Die Wort „Momentum" ist wie eine Zauberformel, sie gibt dem Buch das Besondere – wie das Jod S11-Körnchen dem Vogelfutter „Trill".

Wäre dies hier ein Artikel in einer Fachzeitschrift, würde man wohl im BWLer-Deutsch resümieren, dass Jung und von Matt ein neues strategisches Kommunikations-Instrument der Eigenwerbung erfunden haben: das Buch. Denn die zentrale Aussage ist, dass gute Werbung das ist, was Jung von Matt macht. Und damit das nicht nur so ein Gefühl bleibt, schreiben sie, dass keine Agentur so viele Effis – das sind die Preise für besonders effiziente Werbung – gewonnen hat wie Jung von Matt.

Erfreulich ist, dass ihr Plädoyer gegen alles Technokratische ganz ohne technokratische Floskeln auskommt. Für die zentralen Aussagen haben sie originelle Analogien gefunden. Zum Beispiel die vom Autorennen: Für jeden Kurs gibt es eine Ideallinie. Auf der ist man am schnellsten, kann aber trotzdem nicht gewinnen, weil jeder auf ihr fährt. „Wer überholen will, wer angreifen will, muss weg von dieser Linie“, heißt es im Buch. Um etwas zu erreichen, in der Werbung, beim Autorennen und im Leben, muss man das ideale Maß verlassen.

Holger Jung und Jean-Rémy von Matt: Momentum, Lardon Media AG, Berlin 2002

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