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© Doris Spiekermann-Klaas

Komplettes Angebot: Glänzende Bilder, duftendes Papier

Die Lust am Zeitschriftenlesen ist ungebrochen – zwei Läden in Berlin haben sich auf ausgefallene Magazine spezialisiert.

Sie ist rot, aufwendig verpackt in einem Design-Karton, und als Beilage gibt es einen signierten Druck von Shephard Fairy, jenem amerikanischen Künstler, der schon Wahlplakate für Barack Obama gestaltet hat: Nummer 51 der Zeitschrift „Arkitip“ – mit 75 Euro eines der teuersten Magazine im Angebot von „Do you read me?!“, einem von zwei ausgefallenen Zeitschriftenläden, die im vergangenen Jahr in Berlin eröffnet haben. Von wegen Zeitschriftenkrise: in den schwarzen Regalen und auf alten Holzbänken – überall Zeitschriften. Anders als beim gewöhnlichen Kiosk ist jedes einzelne Cover komplett zu sehen. Aufwendig designte Titelblätter fallen ins Auge. Unwillkürlich stellt sich die Frage: Wer liest und kauft das alles?

Ende September 2008 haben die gelernte Buchhändlerin Jessica Reitz und der Designer Marc Kiessling den Laden in der Auguststraße in Berlin-Mitte eröffnet. Kiessling hatte vorher selber häufig Schwierigkeiten, an bestimmte Zeitschriften zu kommen. „Wir haben uns gedacht, so ein Laden müsste doch in Berlin funktionieren. Und das tut es auch“, sagt Reitz. Und das ist ja auch keine Selbstverständlichkeit: ein gut laufender Zeitschriftenladen, obwohl immer wieder die Rede davon ist, dass es der Print-Branche nicht sonderlich gut geht. Vor allem bei den Zeitschriften schlägt sich die Wirtschaftskrise mit rückgängigen Werbeeinnahmen nieder. Die Werbeaufwendungen bei Publikumszeitschriften sind im Jahresvergleich zu 2008 um 308 000 Euro zurückgegangen. Die Lust am Lesen scheint dennoch ungebrochen. „Wir haben insgesamt eine relativ stabile Gesamtauflage, die sich seit einigen Jahren auf immer mehr Titel verteilt“, sagt Holger Busch, Sprecher vom Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). 2008 standen 96 Titel, die vom Markt genommen wurden, 120 Neuerscheinungen gegenüber. Insgesamt gibt es in Deutschland rund 2250 Publikumszeitschriften. Viele von ihnen würden in einer gut sortierten Bahnhofsbuchhandlung angeboten, so Busch.

Bei „Do you read me?!“ stehen 600 bis 700 Titel im Regal. Der Schwerpunkt liegt auf Themen wie Design, Mode, Fotografie, Architektur, Kunst und Kultur. Viele Zeitschriften kommen aus England, Amerika oder Frankreich. Rund 80 Prozent der Magazine sind englischsprachig. Neben den exklusiven Design- oder Architekturmagazinen gibt es auch einige „ganz gewöhnliche“ Zeitschriften, wie den „Spiegel“, dazu Zeitungen wie „Die Zeit“ und „Der Tagesspiegel“. „Das ist aber eher ein Service für die Kunden, die diese Zeitschriften oder Zeitungen zusätzlich mitnehmen wollen.“ Viele Hefte sind Nischenmagazine mit kleiner Auflage, die nur ein paar Mal im Jahr erscheinen. „Ein gutes Foto-Magazin kann man sich eben nicht am Computer als Pdf-Version anschauen“, begründet Jessica Reitz, warum Magazine immer noch als Print-Ausgabe gelesen werden, obwohl derzeit viele Hefte auf dem Zeitschriftenmarkt ihre Papierausgaben einstellen und ins Netz abwandern.

Die Designerin Natasa Butkovic kann sich nicht vorstellen, Zeitschriften nur noch am Bildschirm zu lesen, weil diese einfach etwas Greifbares seien: „Ich lese lieber auf Papier.“ Sie schaut öfters bei „Do you read me?!“ vorbei, steht vor dem Regal mit den Modetiteln. Für sie spielen bei einer Zeitschrift mehrere Aspekte eine Rolle: die Denkweise, das Konzept, wie bestimmte Themen visualisiert werden, „und die Haptik ist ganz wichtig.“ Butkovic achtet sogar auf den Geruch. „Mir ist häufiger aufgefallen, dass es viele Magazine gibt, die unangenehm riechen.“ Das kann für sie dann auch ein Kriterium sein, das Heft nicht zu kaufen, passiert aber Gott sei Dank nicht so häufig. „Diese Zeitschriften gehen eher in Richtung Buch, das sind Hefte, die werden archiviert.“

Auch Alexis Zavialoff betrachtet die ausgewählten Magazine in seinem Laden „Motto“ mehr als Bücher denn als kurzlebige Hefte. In dem Geschäft, das sich in einem Kreuzberger Hinterhof in der Skalitzer Straße versteckt, liegen die Zeitschriften in alten rot-braunen Holzschränken und Vitrinen aus. „Ich habe diesen Raum gesehen, und dann kam die Idee“, sagt Zavialoff. Der gebürtige Franzose pendelt zwischen Berlin und der Schweiz, wo er ebenfalls ausgefallene Magazine und Fanzine vertreibt. Als Fotograf hat Zavialoff ein Faible für gute Bilder und schön gestaltete Hefte: „Zeitschriften sind sehr interessant, aber nicht diese monatlichen Hochglanzmagazine.“ Damit meint er zum Beispiel Modehefte, die es an jedem x-beliebigen Kiosk gibt. Auch wenn das Internet immer mehr Konkurrenz bietet, empfindet er das nicht als Bedrohung für die Ausgaben, die er bei „Motto“ verkauft. Was in Blogs geschrieben werde, sei für den Moment gedacht. Wenn jemand ein hochwertiges Magazin mit gut recherchierten Texten drucke, stecke da mehr dahinter als eine spontane Idee. „Die Magazine, die man hier findet, kann man auch noch in zehn Jahren lesen“, sagt Zavialoff und verweist auf ältere Ausgaben von „Texte zur Kunst“, „Foam“ oder „Gagarin“, die mittlerweile zu Klassikern geworden seien. „Bei mir gibt es alle verfügbaren Ausgaben dieser Zeitschriften.“

Während die meisten Zeitschriften vom Kiosk für das schnelle Lesen und Wegschmeißen gemacht sind, haben fast alle Magazine bei „Motto“ und „Do you read me?!“ eine längere Halbwertszeit. Das hängt auch mit dem Preis zusammen. Das Berliner Kultur- und Lifestylemagazin „032c“ liegt mit zehn Euro zum Beispiel noch im unteren Bereich. Viele Magazine kosten 30 Euro oder mehr und nicht selten erreichen sie den Status eines Sammelobjekts. So wird „Arkitip“ gekauft, auch für 75 Euro. Bei „Do you read me?!“ liegen die Gewinnmargen zwischen 15 und 35 Prozent, beim gewöhnlichen Kiosk zwischen zehn und 15 Prozent. Mit billigen Heften allein kann sich ein Zeitschriftenladen nicht finanzieren. Am Kiosk gibt es darum meistens zusätzlich Getränke, Zigaretten und Süßigkeiten. Und selten sind die Titelbilder aller Zeitschriften so deutlich zu sehen wie bei „Do you read me?!“ oder „Motto“. „Es war alles in allem nicht die dümmste Idee, diesen Laden zu eröffnen“, sagt Jessica Reitz, „aber ob man auf die Dauer davon leben kann, ist eine andere Sache.“ Dass das Geschäft mit den erlesenen Zeitschriften funktionieren kann, zeigen ähnliche Läden in München, Zürich, Amsterdam oder New York. In Berlin werden potenzielle Kunden nicht selten auch durch Veranstaltungen wie die Fashion Week, die Modemesse Bread and Butter oder das Art Forum angezogen.

Den Leser auf dem Laufenden halten, Informationen vorsortieren und einen Überblick geben über neueste Trends: Für Holger Busch vom VDZ sind das die entscheidenden Aufgaben der Zeitschriften. „Damit grenzen sie sich von anderen Medien ab. Auch vom Internet.“ Und nur gedruckte Zeitschriften können zu Sammelobjekten werden, ähnlich begehrt wie die von Shepard Fairy gestalteten Plakate für Obamas Wahlkampagne. Die kosteten zuerst 70 Dollar, wurden kurze Zeit später für ein Vielfaches bei Ebay versteigert und sind heute vergriffen. Wer weiß, was die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Arkitip“ in ein paar Jahren wert ist.

Das „Do you read me?!“ befindet sich in der Auguststraße 28 in Berlin-Mitte oder im Internet unter www.doyoureadme.de. Der „Motto“-Laden ist in der Skalitzer Straße 68 in Kreuzberg beheimatet. Die Internetadresse lautet: www.mottodistribution.com

Vera Pache

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