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Medien: Lebenslang der Bingo-Mann

Von Erik Heier Ein knappes Jahr ist es her, da stand inmitten einer Neun-Live-Quizshow ns „Greif an“ ein ernst dreinschauender Mann im dunklen Anzug. Mensch, der Herrmann, staunte man.

Von Erik Heier

Ein knappes Jahr ist es her, da stand inmitten einer Neun-Live-Quizshow ns „Greif an“ ein ernst dreinschauender Mann im dunklen Anzug. Mensch, der Herrmann, staunte man. Der von damals, aus den Anfangsjahren von Sat 1. Der Publikumsversteher. Mit diesem Lachen, oft eine Spur zu breit und zu laut. Wo kommt der denn bloß auf einmal her?

„Greif an“, von Neun Live kürzlich eingestellt, ist allenfalls noch eine Randnotiz der Fernsehgeschichte. Und Wolf-Dieter Herrmann? Schwer zu sagen. Er bekommt trotz knapp 1800 moderierten Sendungen so richtig keinen Fuß mehr in die Tür. Höchstens die Zehenspitzen, von Zeit zu Zeit.

Das war mal ganz anders. Wenn sie bei Sat 1 eines Tages für eine Senderchronik ihr Archiv durchforsten, vielleicht im Herbst, zum 15-jährigen Jubiläum des Frühstücksfernsehens, dürften sie ziemlich viel Herrmann herauskramen. „Allzweckwaffe“ haben sie ihn genannt, der stets mit seinen Karteikarten in der Hand ausladend gestikulierte, so als wären sie eine Sichel. Und als „Lachsack" haben sie ihn auch bezeichnet. Frühmorgens gab er von 1987 bis 1990 den schier unverdrießbar Bestgelaunten auf dem Sofa. Beim ersten Teleshopping im deutschen Fernsehen verscherbelte er Damenblusen und Kaffeemaschinen. Er bezirzte mit einem Daily Talk die Hausfrauen. Er kalauerte sich durch Gameshows. Er probierte Sonderwerbeformen. Und er moderierte ein unterirdisches Quiz namens „Bingo“. Lange her, all das. Zu lange?

Ein Moderator ohne Sendung ist ein Ex- Moderator. Bestenfalls ein Moderator in der Warteschleife. Oder, schlimmer, einer auf dem Abstellgleis. Ende 2001 hatte Herrmann bei Neun Live aufgehört. Wegen Honorardifferenzen wurde sein Vertrag nicht verlängert, obwohl „Greif an“, wie er sagt, zeitweise ein Drittel des Senderumsatzes machte. Jetzt sitzt er zu Hause unter einem schrägen Holzdach, irgendwo zwischen Bremen und Hamburg, und türmt unverdrossen am Glasschreibtisch neue Programmideen auf: Familienunterhaltung, Polit-Infotainment, Quizshows, Talk-Formate. Er schickt Konzepte an aller Herren Fernsehredakteure, erfährt hier Interesse, wird da eingeladen. Und er wird vertröstet, wieder und wieder.

Verbittert wirkt er dennoch nicht. Eher verwundert.

Redakteure und Produzenten, die ihn betreut haben, halten ihn für einen der professionellsten deutschen Moderatoren. Das mag stimmen oder auch nicht, es ist nicht wichtig. Wichtiger ist diese Diskrepanz zwischen der beachtlichen Wertschätzung von einigen Wenigen und seinem etwas verkorksten Image in der restlichen Branche. Wo auch immer Herrmann anklopft: Sein Alter Ego, der „Bingo-Mann“, ist schon da. Und steht ihm im Weg.

Zum Beispiel Ende 1995. Ein Jahr, nachdem Herrmann Sat 1 verlassen hatte, bewarb er sich beim Auslandsfernsehen der Deutschen Welle als Moderator für den täglichen „Boulevard Deutschland“. Anfangs hatten sie in der Berliner Volta-Straße geraunt: Was will der Bingo-Mann hier? Doch Herrmann verblüffte den skeptischen Bonner Studioleiter der Deutschen Welle, mit dem er über die FDP reden sollte, bei einem Politiktest mit geradezu lexikalischem Wissen. „Der hat aus dem Kopf ganze Passagen einer Rede vom Lambsdorff wortwörtlich zitiert“, amüsiert sich der damalige Redaktionsleiter Rolf Rische heute noch. „Da ist uns allen das Blech weggeflogen.“ Herrmann hat den Job bekommen, zweieinhalb Jahre moderierte er das Magazin.

Die „FAZ“ schrieb einmal, dass sich das Privatfernsehen solcher Leute wie Herrmann entledigt hätte, als es seriöser werden wollte. Doch das Gegenteil kommt der Wahrheit näher: Der Autodidakt mit dem erstaunlichen Gedächtnis, der nie studierte, der aus ärmlichen Berliner Verhältnissen stammt und mit nicht mal 20 Jahren ein paar Schlagerplatten besang, hatte vom „fröhlichen Hansel“ genug. Sat 1 habe ihn zwar zunächst halten wollen. Doch seine tägliche Talkshow „Herrmann“ wurde, trotz guter Quoten, vom damaligen Sat 1-Informationsdirektor, Heinz-Klaus Mertes, gekippt. Mertes, zuvor CSU-Mann beim Bayerischen Rundfunk und von Leo Kirch bei Sat 1 installiert, wollte ein anderes Programm; im Bundestagswahlkampf ’94 waren ihm freundliche Kohl-Interviews unter dem Titel „Zur Sache, Kanzler“ lieber. Herrmann sagt, er wäre gern bei Sat 1 geblieben – unter anderen Umständen.

Und er habe dem Sender nichts nachzutragen, trotz vieler Querelen unter den Gesellschaftern, die oft genug Programmentscheidungen blockierten.

Helmut Thoma sollte mit seinem straffer geführten RTL beim Wettlauf um das erste Frühstücksfernsehen und die erste tägliche Talkshow schneller die Nase vorn haben – obwohl Sat 1 beide Formate, die Herrmann moderieren würde, zuerst angekündigt hatte. Ein Stachel, der bei ihm tief sitzt. Noch immer.

Herrmanns Lachen ist leiser geworden über die Jahre, vielleicht auch eine Spur sarkastischer, weniger offen. Manchmal trauert er „Guten Morgen mit Sat 1“ nach. Den langen Live-Interviews etwa mit Nato-Generalsekretär Manfred Wörner. Als er zeigen konnte, dass mehr in ihm steckt als ein launiger Plauderer für alle Sendezeiten. „Verglichen mit den öffentlich-rechtlichen Höflingen“, staunte damals der „Spiegel“, sei dieser Herrmann ein „neugierig hakelnder Frager“. Norbert Blüm, seinerzeit Bundesarbeitsminister und gleichzeitig CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, bekam einen Tobsuchtsanfall, als sich ein lächelnder Herrmann fünf Mal hintereinander erkundigte, ob denn Blüm im Falle einer Niederlage in die Landtagsopposition ginge. Bis Blüm entnervt blaffte, dann bliebe er in Bonn (was er auch tat). Und ob er, Herrmann, jetzt endlich zufrieden sei.

Nicht zuletzt dank Herrmann, glaubt der damalige Chef des Sat 1-Frühstücksfernsehens, Sieghart Eisele, hätten die Privaten ARD und ZDF zu einem eigenen Frühstücksfernsehen gezwungen; gerade haben sie dort auf den zehnten Jahrestag angestoßen. Er, Eisele, kenne jedenfalls keinen Moderator, der so gut verkaufen könne: Programm, gute Laune, Gespräche, Beiträge.

Bevor Herrmann Anfang der 80er Jahre beim Berliner RIAS seine ersten Fußballreportagen sprach, war er als Vertreter umhergetingelt, für Duschkabinen oder auch „Abschwartmaschinen“ für die fleischverarbeitende Industrie. Nur eines vermochte Herrmann nie so richtig zu verkaufen: sich selbst. Wahrscheinlich hätte er das eine oder andere Mal einen Berater gebraucht, der ihm sagt: Herrmann, lass „Bingo“. Profiliere dich mit Infotainment. Achte auf dein Image. Erst im vergangenen Jahr suchte er sich eine Vermarktungsagentur. „Fakt ist: Ich habe bei ,Bingo’ den Lachsack freiwillig gegeben. Ich habe zu diesem Image beigetragen. Und ich gehe jetzt nicht in Schutt und Asche. Es hat auch Spaß gemacht.“

Herrmann sieht sich als Wanderer zwischen den Welten, zwischen Boulevard und Information. Wanderer wollen immer weiter. Wolf-Dieter Herrmann ist wieder unterwegs.

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