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Mark Waschke

© ddp

Mark Waschke: Der ratlose Mann

Der Berliner Schauspieler Waschke gibt in seinem neuen Film einen ermatteten Mittdreißiger.

Das Bild seiner Männergeneration, das der Schauspieler Mark Waschke in diesem Jahr prominent in Fernsehen, Kino und im Theater vorstellt, ist nicht eben schmeichelhaft, aber er selbst startet mit 35 Jahren richtig durch: Seit 1999 vor allem Berlinern als Mitglied des Schaubühnenensembles bekannt, ist er 2008 auch in mehreren hochkarätigen Film- und TV-Produktionen zu sehen. Den Anfang macht „Mitte 30“ am Mittwoch im Ersten.

Der Film von Stefan Krohmer und Daniel Nocke (Drehbuch), die für ihre gemeinsamen Werke „Ende der Saison“ und „Familienkreise“ mit dem Adolf- Grimme-Preis ausgezeichnet wurden, ist geeignet, die älteren Semester aus dem Zimmer zu treiben und nach einer neuen Männerbewegung rufen zu lassen. Denn der Architekt Gerrit, gespielt von Mark Waschke, lässt inmitten des größten denkbaren Schlamassels die berühmten Tugenden seines Geschlechts wie Tatkraft, Weitblick und Selbstdisziplin vermissen. Sein Geschäft ist bankrott, das Umsatteln auf den neuen Beruf als Lehrer gestaltet sich zäh, und zu allem Überfluss ist sein Herz zerrissen zwischen zwei Frauen – doch Gerrit lässt sich treiben, sucht und tastet sich von Situation zu Situation. Im Streit mit seiner resoluten Freundin Claudia (Anneke Kim Sarnau) ist er der gefühlig Redende. Selbst als sie einen Schrank nach ihm wirft, retourniert er: „Ich verstehe dich völlig.“

All das kommt in beiläufigen, hell und freundlich gefilmten Szenen daher. Mit schönster Selbstverständlichkeit macht „Mitte 30“ Inventur eines Lebensgefühls, in dem alles im Fluss ist. Die Brüchigkeit von Geschlechterrollen, die Fieberkurven von Karrieren, die Vorläufigkeit von Identität insgesamt und ihre zwitterige Form als Dauerversuchsanordnung verdichten sich zu einem provozierenden Generationsbild. Kein Wunder, dass am anderen Ende der Debatte um Werte, Familie und Beruf die Thesen von Eva Herman und „Bild“-Chef Kai Diekmann voll Sehnsucht nach der alten Ordnung auftauchen.

Dass der Film dabei aber nicht selbst klischeehaft wirkt, ist vor allem Waschkes Verdienst. Sein minimalistisches Spiel schützt Gerrit vor Lächerlichkeit und Kitsch, lässt ihn menschlich vertraut wie einen Nachbarn oder Kollegen und zugleich geheimnisvoll wie einen Fremden erscheinen. Sein Gesicht wirkt offen und freundlich, dabei ist es eigentlich hart und konfrontierend – eine Kombination, die ein wenig an die unterschwellige Präsenz von amerikanischen Schauspielern erinnert. Understatement-Meister wie Marlon Brando, Al Pacino oder Richard Gere beherrschen die Kunst, alle um sich herum spielen zu lassen und selbst einfach nur da zu sein. In Tennessee Williams Klassiker „Die Katze auf dem heißen Blechdach“, den Thomas Ostermeier an der Schaubühne inszenierte, hält es Waschke ebenfalls mit diesem Prinzip. Der strauchelnde, aus seinem Beruf ausgestiegene, mit seiner Frau Maggie und seinem hyper-virilen Vater hadernde Brick, im Filmklassiker von Paul Newman verkörpert, ist in dieser Inszenierung neben Josef Bierbichler als „Big Daddy“ die eindringlichste Figur.

„Das ist eher Koinzidenz“, sagt Waschke über die Gleichzeitigkeit der Rollen, zu der sich seit Ende Januar außerdem der philosophierende Langzeitstudent Trofimow aus Tschechows „Kirschgarten“ gesellt. An Gerrit habe ihn vor allem interessiert, „wie er sich schützt, dass er genau hinsieht und beobachtet, ehe er etwas tut“. Ein Verlierer ist er für ihn nicht: „Seine Geschichte bedeutet auch, dass das Leben kein Trichter ist, der immer enger wird – dass also ab einem bestimmten Alter alle Spielräume schwinden. Früher gab es eine bestimmte Phase, in der Familie und Bausparvertrag kamen, und von da an ging es nur noch in eine bestimmte Richtung. Jetzt kann man den Trichter aufschütteln.“

Für Waschke selbst werden die Spielräume allemal größer. Zusammen mit Natalia Wörner hat er außerdem den ZDF-Krimi „Die Lüge“ nach dem gleichnamigen Roman von Petra Hammesfahr in der Regie von Judith Kennel gedreht. In Heinrich Breloers Verfilmung der „Buddenbrooks“, die Ende des Jahres ins Kino und Fernsehen kommt, spielt er als Konsul Thomas eine Hauptrolle: Jenen ältesten Sohn und Firmenerben der Lübecker Geschäftsfamilie, der „mit zweiundvierzig Jahren ein ermatteter Mann“ war, wie Thomas Mann schreibt. Thomas Buddenbrook stirbt mit 47 Jahren an einer Zahnentzündung, eigentlich aber an Erschöpfung über seine innere Zerrissenheit. „War er ein Mann der unbefangenen Tat oder ein skrupulöser Nachdenker? War er ein praktischer Mensch oder ein zärtlicher Träumer?“, fragte sich Thomas Mann schon 1901 über diesen Typus und befand, „dass er ein Gemisch von beidem gewesen“ sei.

„Mitte 30“; ARD, 20 Uhr 15

Henrike Thomsen

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