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In Neukölln demonstrierten am Wochenende verschiedene palästinensische Gruppen gegen Flucht und Vertreibung von Hunderttausenden Palästinensern. Nach der Eskalation der Gewalt in Nahen Osten kam es bei solchen Demonstrationen auch zu antisemitischen Äußerungen.

© Fabian Sommer/dpa

MEDIA Lab: Judenfeindlichkeit geht mit Moslemfeindlichkeit einher

Keine Zunahme von Antisemitismus durch die jüngste Zuwanderung, eher mehr allgemeine Fremdenfeindlichkeit, zu diesem Ergebnis kommt eine interessante Untersuchung.

Vor ein paar Tagen „Scheiß Juden“-Rufe vor einer Synagoge in Gelsenkirchen, zuvor der Angriff auf das jüdische Gotteshaus in Halle, bei dem ein Attentäter wahllos zwei Passanten auf der Straße erschoss, als es ihm misslungen war, in die Synagoge selbst einzudringen, um die dort zum Gebet versammelten Gläubigen zu ermorden. Aber auch die verqueren Diskurse im Netz zu den Raketenangriffen der Hamas auf Israel – solche Indizien zeigen, dass Deutschland wieder oder vielleicht ja doch immer noch ein Antisemitismus-Problem hat.

Dessen Facetten und den damit einhergehenden Schwächen unserer Gesprächskultur spüren Kurt Reumann, passionierter und seit 20 Jahren pensionierter „FAZ“-Redakteur, und Thomas Petersen, Projektleiter am Institut für Demoskopie in Allensbach, in einem Reader gemeinsam mit weiteren Experten nach.

Auf Basis von demoskopischen Langzeituntersuchungen

Dabei zeigt Petersen anhand demoskopischer Langzeituntersuchungen, dass einerseits der Antisemitismus in Deutschland nach 1945 nicht schlagartig verschwand. Andererseits zeigen die Daten aber auch „keine Hinweise darauf, dass er in der Gesellschaft als Ganzes in jüngerer Zeit zugenommen hätte, eher im Gegenteil“, so Petersen.

[Kurt Reumann/Thomas Petersen (Hrsg.): Nirgends scheint der Mond so hell wie über Berlin. Antisemitismus und die Schwächen unserer Gesprächskultur, Köln: Herbert von Halem Verlag]

Antisemitismus ist den Umfragen zufolge eher ein Problem an den gewaltbereiten rechten und linken Rändern der Gesellschaft. Dass Antisemitismus mit der Zuwanderung hunderttausender Menschen aus muslimischen Ländern nur „importiert“ worden sei, bestätigt Thomas Petersen nicht. Interessant ist dagegen der Befund, dass „Judenfeindlichkeit heute in vielen Fällen mit Moslemfeindlichkeit einhergeht“, also in „allgemeiner Fremdenfeindlichkeit“ aufgehe.

„Nirgends scheint der Mond so hell wie über Berlin“, ist das Bändchen betitelt. Dies stehe für die Sehnsucht und das Heimweh vieler Juden in aller Welt nach Berlin, schreibt Reumann.

So viel Poesie macht neugierig – und ist auch deshalb stark, weil der Titel sehr krass zu den neuen und alten Realitäten des Antisemitismus kontrastiert, die in dem Buch selbst aus ganz unterschiedlichen Perspektiven ausgeleuchtet und ausgebreitet werden – Exkurse zum Antisemitismus in Frankreich, im Islam und in der britischen Labour Party eingeschlossen.

Stephan Russ-Mohl

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