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Macht zu viel Unterhaltungsfernsehen dumm? Die Wissenschaft kommt zu anderen Ergebnissen.

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Medienpsychologie: Vom Wert der Fernsehunterhaltung

Nur lachen, bis der Arzt kommt? Neue erstaunliche Erkenntnisse der Medienpsychologie und Kommunikationswissenschaft.

Gar keine Frage, ein wesentliches Motiv fürs Fernsehschauen ist Unterhaltung. Aber so unterschiedlich es ist, womit sich ein Zuschauer unterhält, so sehr muss unterschieden werden, welche Motive und Wirkungen das televisionäre Entertainment hat. Das Thema beschäftigt die kommunikationswissenschaftliche und medienpsychologische Forschung sehr viel stärker als früher. Die aktuelle Ausgabe der „Media Perspektiven“ stellt relevante Studien vor, die hier zusammengefasst werden.

Ohne Zweifel geht der Wunsch nach Unterhaltung mit dem Wunsch nach hedonistischer Bedürfnisbefriedigung, also Spaß und Anregung, einher. Aber Lachen und Schenkelklopfen sind längst nicht die einzigen Erwartungen. Die Forscherin Anne Bartsch („Media Psychology“, 2012) fand heraus, dass die je nach Sendung und Programm unterschiedlich erlebten Emotionen mit sehr unterschiedlichen Belohnungen verbunden sind. So kann die Trauer über das Schicksal einer Film- oder Serienfigur vom Publikum als lohnend, ja belohnend empfunden werden, sofern sich intellektuelle und/oder soziale Prozesse anschließen, die zur Auseinandersetzung mit dem Inhalt führen. Die negativen Emotionen stoßen da einen Prozess mit hohem Profitgehalt an: Wissen wird akkumuliert, alternative Handlungsoptionen werden durchdacht, moralische Standpunkte diskutiert oder stellvertretende Erfahrungen ins eigene Leben integriert.

Sich für die Unterhaltung belohnen

Anne Bartsch kategorisiert sieben Dimensionen der positiven und der negativen Emotionen. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie als Gratifikationen für das Unterhaltungserlebnis gesehen werden können: 1. Spaß, 2. Spannung/Thrill, 3. empathische (Tränen-)Trauer, 4. Besinnlichkeit/Nachdenken, 5. Auseinandersetzung mit den Charakteren (beispielsweise Identifikation mit dem Lebensgefühl der Figuren), 6. Emotionen im sozialen Kontext (Gespräch mit anderen über den Film), 7. stellvertretende Emotionserfahrung (Erleben von Gefühlen, die im Alltag vermieden werden).

Bitte, wählen Sie aus!

Ebenfalls hat Anne Bartsch („Journal of Communication“, 2012) untersucht, wie das Alter der Zuschauer die Erwartungen und Ansprüche an die Unterhaltung lenkt. Sucht das jüngere Publikum bei der Fiktion mehr nach starken emotionalen Erfahrungen zwischen Spaß und Spannung, wollten die Älteren eher zum Nachdenken angestiftet werden. Offenbar werden mit zunehmendem Lebensalter Erwartungen wie Komplexität und intellektuell anregende Erfahrungen gewünscht. Heißt freilich nicht, dass nicht durchwegs durch die Generationen gerne gelacht wird. Nur ist dieses Unterhaltungsmotiv beim älteren Zuschauer nicht oder nicht mehr so stark ausgeprägt wie beim jüngeren Publikum. Das bezieht sich, wie gesagt, aufs Alter. Die gern genommene These, dass eine überbordende „Fernsehritis“ den Zuschauer dümmer macht, bedarf nachhaltiger Forschung, sonst verbleibt Urteil als Vorurteil.

Nichts dagegen, wenn einer vor dem Fernseher sitzt und sich vor Lachen ausschüttet. Aber das ist wahrlich nicht das einzige Zuschauerglück. Nach einer Studie von Mary Beth Oliver und Arthur A. Raney („Journal of Communication“, 2011) können auch Wertschätzung, Bedeutsamkeit, gutes Leben erfahren werden, allerdings erfordern diese anderen Glückserlebnisse mehr Anstrengung. Wer sich bei Tragödien und Dramen negativen Emotionen aussetzt, sprich tiefen und starken bis widersprüchlichen Gefühlen, der erlebt TV-Unterhaltung als so berührend wie bedeutsam, sprich er gelangt zu Einsichten und Erkenntnissen. „Feeling as information“ nennen das die Autoren Dohyun Ahn, Seung-A. Annie Jin und Ute Ritterfeld („Journal of Media Psychology“, 2012).

Eine U-Fiktion kann auch ohne Happy End verkraftet werden. Entscheidend dabei ist, dass der Zuschauer Werte vermittelt bekommt, mit denen er sich identifizieren kann. Auf der Angebotsseite müssen realistische, glaubwürdige Geschichten mit passenden, auch „bösen“ Charakteren erzählt werden. (Werner Wirth, Matthias Hofer, Holger Schramm, „Human Communication Research“, 2012). Möglich, dass das passiv Erlebte eigenes Alltagsverhalten motiviert.

Können Filme Zuschauer wärmen? Frierendes Publikum entscheidet sich signifikant höher für Romanzen als ein Publikum, das nicht friert. Siehe Videotheken: Die Raumtemperatur bestimmt die Ausleihfrequenz dieses Genres.

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