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Medien: „Mein Job wäre Bundespräsident“

Thomas Gottschalk, der Moderator von „Wetten, dass..?“ Man kennt sein Gesicht, und jeder hat ein Bild von ihm. Aber stimmt das auch? Der Image-Test überprüft Vorurteile und unsere Klischees von Prominenten.

Von Barbara Nolte

SETTING

Ein Interview zwischen Tür und Angel. Gottschalk hat wenig Zeit. „Wetten, dass..?“ feiert sein 25-Jähriges, und deshalb werden an diesem Wochenende hier in Halle zwei Sendungen aufgezeichnet. Gerade ist Probe. Gottschalk improvisiert die Verabschiedung von Tom Cruise, den ein Praktikant spielt: „So, Tom, du musst los. Dein Mädel ist schwer schwanger. Bla, bla …“ Und schon kommt das Double des Schauspielers Armin Rohde herein. „Heißt er Armin oder Joachim?“, fragt Gottschalk. Er wirkt in seiner ostentativen Nachlässigkeit ein bisschen wie ein Schüler, der nur bei der Theater AG mitmacht, weil er ein Mädchen beeindrucken will.

Als die Probe vorbei ist, führt der Chef von „Wetten, dass..?“ die Reporterin zur Wettcouch. In einer halben Stunde ist die nächste Besprechung. Also: Beeilung!

„Ich gehe mal davon aus“, schickt Gottschalk voraus, „dass ihr Menschen nicht mehr als nötig schadet.“

Nein, nein, antwortet man, nicht mehr als nötig.

MATERIALLAGE

Am Samstag vergangener Woche sagte Gottschalk, er höre auf mit „Wetten, dass..?“. Es war der erste April, und Gottschalk widersprach, wie es sich für einen Aprilscherz gehört, gleich am nächsten Tag. Trotzdem berichtete die Boulevardpresse die ganze Woche darüber („Bild“: „Gottschalk schockte Millionen“). Es ist erstaunlich, wie es ihm gelungen ist, diese aussterbende Witzform wiederzubeleben, ähnlich wie er seit Jahren das große alte Format der Samstagabendshow am Leben hält. Die „SZ“ schreibt es seiner „Lässigkeit“, die „taz“ seiner „Spontaneität“ zu, dass es für ihn und nur für ihn das Wort Zielgruppe nicht gibt. Gottschalk ist der „Konsens-Entertainer“ („Berliner Zeitung“). Der letzte des Landes.

THESE 1

Sie sind Deutschland.

Gottschalk tut erstaunt. Günther Jauch, sein Freund seit gemeinsamen Radiozeiten beim BR, sei Deutschland. „Wenn ich mit Günther arbeite, weiß ich, dass er immer besser vorbereitet ist, dass er mehr Kärtchen hat, eben der Deutschere von uns beiden ist“, erklärt er. „Ich bin so, wie viele Deutsche gerne wären.“ Eben: locker, lustig.

THESE 2

Zynismus ist Ihnen fremd.

„Ist mir verhasst. Das ist der Unterschied zwischen Harald Schmidt und mir.“

Überraschend klare Antworten. Und Gottschalk ist ein aufmerksamer Gesprächspartner, was man auch nicht unbedingt erwartet hätte. Eher, dass er mit einem spricht, als würden 15 Millionen zuschauen. Denn das ist die Deformation professionelle von vielen Fernsehmenschen und Politikern: Sie haben den Dialog verlernt, sehen Menschen nur noch als Masse. Zur Illustration des Unterschieds von Schmidt und ihm erzählt Gottschalk, wie beide einmal einer Gruppe Autogrammsammler begegnet sind. Ein Behinderter war dabei, der ,Thommy‘ rief und ,Harald, Harald‘. „Ich hab mir gedacht: Dass er bloß nicht merkt, dass ich merke, dass der bescheuert ist.“ Schmidt hingegen sei auf ihn zu und habe die Stimme des Behinderten nachgemacht. Nun ist Gottschalk immer auch bemüht, es sich mit niemandem zu verscherzen, deshalb biegt er die Moral der Geschichte zugunsten von Schmidt, was in dem Fall nicht einfach ist. Schmidt und der Behinderte, sagt er, hätten sich am Ende in den Armen gelegen, „und der Depp war ich“.

THESE 3

Schmidt war in der Schule unbeliebt. Sie waren immer der Klassensprecher.

Falsch. Gottschalk war nur einmal dritter Klassensprecher, was aber nicht daran lag, dass er nicht beliebt genug war, sondern nicht ernsthaft genug. „Man hat mir zwar zugetraut, dass ich an Wandertagen die Klasse unterhalte, aber nie, dass ich irgendwelche Konflikte mit den Lehrern löse.“

Es ist ein und dasselbe Prinzip, mit dem er sein ganzes Leben bestritt: seine Leichtigkeit. Sie hat ihn zum vielfachen Millionär gemacht.

THESE 4

Ambitionen sind Ihnen unsympathisch.

Richtig. „Jede Art von Verbissenheit ist mir ein Dorn im Auge.“

Gottschalk ist es egal, ob der Schauspieler Rohde Armin, Joachim oder Mustafa mit Vornamen heißt. Fehler sind in seiner Welt erlaubt. Verboten ist nur das angestrengte Bemühen, Fehler zu vermeiden. Deshalb ist es ein Missverständnis, wenn Kritiker ihm immer wieder vorwerfen, er sei zu schlecht vorbereitet. „Die Konsequenz der schlechten Vorbereitung ist die Präsenz in der Sendung“, erklärt er. „Das ist meine Stärke. Dass ich nichts auf der Speicherplatte habe, zwingt mich dazu, schneller zu denken, schneller zu formulieren.“

Gottschalk nimmt einen Zettel vom Tisch: eine Wette steht drauf. Nur die Wetten hat er sich aufgeschrieben. Sonst sei alles spontan, sagt er. Selbst wenn ein Witz in der Probe gut ankommt, ist er für die Sendung tabu. „Ich will mir nicht eingestehen müssen“, erklärt er, „dass ich einen Probenwitz zweimal mache …“

Er ist nicht mehr zu verstehen. Die Sängerin Jessye Norman hat nebenan zu proben begonnen. Mit einer rudernden Handbewegung deutet Gottschalk an, man solle mitkommen. Auf der Flucht vor Normans durchdringender Stimme trifft er den jungen Mann, der eben drei Minuten lang mit dem Fahrrad auf einer 27 Prozent abschüssigen Rampe balancierte. Er klopft ihm jovial-anerkennend auf die Schulter. Er grüßt die Techniker, die die ZDF-Mikrofone in den Festhallen des Landes aufbauen.

„Wetten, dass..?“ ist nichts anders als der alte Wanderzirkus mit anderen Mitteln. Und Thomas Gottschalk ist der Direktor. Zum Zirkus passen auch seine Kleider, die immer wieder als geschmacklos beschrieben werden. Heute trägt er ein mit Strass besetztes T-Shirt, auf dem eine Gruppe namens „White Zombies“ aufgedruckt ist.

THESE 5

Mit den Klamotten würden Sie sich in Ihrer Wahlheimat L.A. nicht auf die Straße trauen.

Gottschalk steuert ein Sofa an und setzt sich. „Klar, da laufe ich genauso rum“, sagt er. „Ich bin so, wie ich bin.“

Gottschalks Beharren auf Authentizität ist perfekt fürs Fernsehen, das jede falsche Mimik entlarvt. Doch es hat auch einen Haken. Er kann sich nicht weiterentwickeln. Denn jede bewusste Veränderung ist erst mal aufgesetzt. Gottschalk schüttelt „Wetten, dass..?“ seit Jahren aus dem Ärmel. Mit anderem, was er versucht, hat er weniger Erfolg. Er hat ja auch nie auf etwas hingearbeitet – aus Prinzip. Deshalb ist die Angst der Boulevardpresse unbegründet: Er braucht „Wetten, dass..?“, wie „Wetten, dass..?“ ihn braucht.

THESE 6

Ein Vorbild haben Sie: Arnold Schwarzenegger.

Wieder falsch. Gottschalk kennt Schwarzenegger zwar, er mag ihn auch. Sie fahren in Los Angeles gemeinsam Motorrad. „Der steht unter einem irrsinnigen politischen Druck und ist sonntags auf seinem Chopper völlig entspannt. Aber ein Vorbild – nee.“

Er müsste Ihnen doch imponieren, weil er es geschafft hat, vom Showtitan zum Polittitan zu werden.

„Aber dort scheitert er an den Sachzwängen. Hollywood ist eine Traumfabrik. Du kannst das nicht auf die Wirklichkeit übertragen. Mein Job wäre Bundespräsident, der ist im Wesentlichen ein Festredner. Er muss in der Lage sein, sich auf alle Bevölkerungsschichten einzulassen. Das traue ich mir zu.“

Gottschalk trägt also doch einen Funken Ehrgeiz in sich. Aber nur, wenn er auf dem neuen Posten genauso bleiben darf, wie er ist und wie er schon mit 16 war.

ABGANG

Winkend verschwindet Gottschalk durch die Tür zurück auf die Bühne: Jessye Norman begrüßen.

Vor der Halle warten die ersten Autogrammsammlerinnen. „Sind Tokio Hotel schon da?“, fragt ein Mädchen. – Nein. – „Wenigstens Gottschalk?“ – Der schon. – Alle Mädchen fangen wie wild an zu kreischen. Gottschalk ist der deutsche Mick Jagger geworden. Er wird weiter verwittern, aber nicht wegzukriegen sein. Beim 50. Jubiläum von „Wetten, dass..?“ ist mit ihm zu rechnen.

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