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peter leonhard braun

© RBB

Geburtstag: Mit den Ohren gaffen

Der Begründer des "akustischen Films“, Feature-Papst, Rundfunkmanager: Peter Leonhard Braun wird 80.

„Dear Leo.“ Schon die Anrede sagt es, da ist jemand zu feiern, der in die Welt hineinwirkt. Peter Leonhard Braun, Feature-Autor, Guru der Stereofonie, Rundfunkmanager im Kleinen und im Großen, beim Aufbau der Feature-Abteilung des SFB, beim nationalen und internationalen Vernetzen der Feature-Welt, beim Ausbau des Prix Futura zu einem angesehenen Radiopreis, bei der Überführung dieses Wettbewerbs in den Prix Europa, der durch seine Inspiration und geduldiger Kleinarbeit zu einem europäischen Medienereignis wird.

Eine Katze hat sieben Leben sagt man, Braun nur drei, aber diese drei Leben haben es in sich. Es fängt schon ziemlich abenteuerlich an. Am 11. Februar 1929 in Berlin geboren, Kneipenkind, Schule, Abbruch, weil man nun auch halbe Kinder für den Krieg braucht. Ein halbes Kind, von schmächtiger Gestalt, und deswegen Kurier bei der Organisation Todt wird. Briefe austragen, Depeschen, nicht auf dem Fahrrad sondern mit dem Zug, seine Dienststelle ist Warschau. Danach droht der Einsatz zum Volkssturm, Braun desertiert, setzt sich mit einem Kameraden in Zivil in den Zug, mogelt sich bei Wintertemperaturen in Sommersachen nach Hause. Die Mutter versteckt ihn in dieser lebensbedrohlichen Situation und er überlebt.

Das zweite Leben beginnt Mitte der 50er Jahre mit einem Gang zum Sender Freies Berlin (SFB) am Heidelberger Platz. Braun hat inzwischen Abitur gemacht, Volkswirtschaft studiert und nun will der junge Mann unbedingt zum Radio. Große Sachen will er machen, ganz lange Sendungen, und nach vier Erfahrungen beim Film, landet er in einem Nachwuchsautorenkreis des damaligen Hörspielleiters Hans-Joachim Hohberg. Der Film, das sei nichts für ihn gewesen, wird Braun später sagen, zu viele Leute bei der Arbeit, er liebt die Unabhängigkeit, die Selbstständigkeit, ist viel zu sehr Einzelkämpfer. Also, sagt Hohberg, nun mal los, und der Nachwuchsautor liefert erste kleine Beiträge aus dem Nachkriegsberlin. „Modehauptstadt Berlin“, „Fruchthof“ sind Themen seiner Sendungen. Seine Sprache fällt auf, ungewöhnlich direkt, bildhaft, dramatisch. Nur habe der junge Mann immer so lange gebraucht mit seinen Aufträgen, erinnert sich Hohberg später. Aber Braun braucht so lange, weil er das Außergewöhnliche will.

Ihn zieht es nach Paris, nach London, Berlin ist zu klein geworden. Dann kehrt er in seine Heimatstadt zurück, weil eine neue Technik lockt. Stereofonie heißt die neue Wundertechnik, ein neues Aufnahmeverfahren, entwickelt in Berlin schon in den Kriegsjahren für Musikaufnahmen, das nun in den fünfziger und sechziger Jahren im SFB vorangetrieben wird. „Keiner wollte Stereofonie machen“, sagt Braun heute, er begreift aber schnell, was sie für die Feature-Leute bedeuten könnte. Weg vom Schreibtisch, mit dem Mikrofon hinaus ins Leben, was da draußen ist abbilden mit dem Ton. Er „schreibt“ seine fünf Features mit dem Mikrofon und zeigt damit den Radioautoren neue Gestaltungswege.

In einer SFB-Sendung von 1969 mit dem proklamatorischen Titel „Mit den Ohren gaffen“ gibt er damals Rechenschaft und erklärt ungeduldig und engagiert einem eher ratlosen Moderator die Vorzüge der Stereofonie: „An der Stereofonie sind drei Dinge, es ist erstens der Raum, zweitens die Simultaneität von Schallwellen … und drittens das Differenzierungsvermögen, das die Stereofonie hat. Ich kann mir jetzt einen Volksauflauf hinstellen, und das ist kein Gebrabbel mehr, dass aus acht Stimmen ein Brei wird, sondern es ist wirklich eine bedrohliche Masse, sie ist da … wenn man also nun noch weitergeht, dann habe ich mir überlegt, müsste es möglich sein, fast einen akustischen Film herzustellen.“

1969 also ist das und viele vom „Fach“ verstehen nicht den drängenden und leidenschaftlichen Appell des Autors Braun. Sie sind mit APO, mit Notstandsdemonstrationen, mit einer ganzen Zeitenwende beschäftigt und da sitzt da in Berlin einer im Studio und redet von dem „akustischen Film“. Braun wirkt wie ein Rufer in der Wüste, andere halten ihn für elitär, für unpolitisch, schon wenig später wird das Wort vom „akustischen Film“ zu einer Zauberformel, die die Produktionen vieler Generationen mit durchaus politischem Inhalt bestimmen wird. Nun spricht man in raunendem Unterton vom Feature-Papst und pilgert nach Berlin.

Für sein drittes Leben wechselt Braun die Fronten, er wandert einmal um den Schreibtisch herum und sitzt jetzt da, wo vorher seine Auftraggeber saßen. Er wird selbst Redakteur, Abteilungsleiter und er bricht wieder mit vielen lieb gewonnenen, aber auch bequemen Gewohnheiten. Wie soll man international zusammenarbeiten, wenn man so viele verschiedene Sprachen spricht, sagen kopfschüttelnd Kollegen, als er den großen Traum einer internationalen Feature-Familie träumt. Gemeinsame Konferenzen einmal im Jahr, sich gegenseitig Sendungen vorstellen, und auf dieser Basis ein professioneller Austausch von Handwerk. Aber siehe da, es funktioniert, weil auch die Franzosen in der Konferenz sich eines Tages bequemen, „Englisch“ zu sprechen. Braun träumt den Traum weiter, bald wird sein Konzept der Internationalen Feature-Konferenz auch zum Kernstück des Prix Futura und später beim Prix Europa.

Ist Peter Leonhard Braun am Ende eines langen Weges angekommen? Gibt es noch ein viertes Leben? Seine vielen internationalen Freunde verneinen die erste Frage, bejahen die zweite. Er habe noch eine Mission vor sich, er solle das Qualitätsradio retten. Und tatsächlich, in Zeiten der Tagesbegleitprogramme mit Kurzbeitragsdramaturgie sehnen sich viele nach einer langen Stunde Radio am helllichten Werktag. Sankt Leo hilf, sagen manche, aber er hilft ja schon seit langem mit der Erfindung immer neuer Konferenzen, in denen über die Zukunft des Kulturradios beraten wird. Er selbst hat natürlich auch einen Rat parat. Als er nach seiner Biografie gefragt wird, sagt er, „Sie müssen sich eine Sache zu ihrer eigenen machen“. Und noch etwas für die flinken Medienmanager schickt er hinterher: „Man kann unmöglich Veränderungen in der Welt der Medien übers Knie brechen." Da rät der einst so ungeduldige Mann zur Behutsamkeit. Das ist seine Weisheit des Alters.

Der Autor ist Leiter der Feature-Abteilung des Rundfunk Berlin-Brandenburg.

Wolfgang Bauernfeind

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