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„Newtopinianer, ich bin’s.“  Für Besucher gibt es rechts vom Tor eine Klingel.

© dpa

Soziologisches Big Brother bei Sat 1: Newtopia - Kommunismus oder Kapitalismus?

15 Kandidaten, 105 Kameras, zwei Kühe: Sat 1 startet das TV-Experiment "Newtopia". Aber ohne jeden C-Promi, sondern mit "Normalos" unter Dauberbeobachtung

Brandenburg, und das ist wirklich eine Sensation, ist eigentlich ein ganz großes Experimentierfeld. Nicht ganz Brandenburg, das Brandenburg südlich von Berlin. Hier sollte mal die deutsche Cargo-Luftschiffahrt zum Fliegen kommen, unverdrossen wird an einem Flughafen geschraubt, jetzt haben sie in einem Wald nahe Königs Wusterhausen zwei Hektar Land eingezäunt. Dazu wurden 105 Kameras installiert, zwei Kühe muhen, 25 Hühner gackern. Am Montag werden 15 Menschen dazukommen. Dann startet der Fernsehsender Sat 1 „Newtopia", angekündigt als „das größte TV-Experiment aller Zeiten“. Darunter tut es das Privatfernsehen einfach nicht.

Das Projekt ist zunächst auf ein Jahr angelegt. Alles auf Anfang lautet die Gebrauchsanweisung. 15 Frauen und Männer erhalten laut Sat-1-Sprech „die Chance auf ein selbst bestimmtes, vielleicht besseres Leben in einer Gesellschaft, die sie gestalten.“

Alles, was die sieben Frauen und acht Männer ins Scheune-und-Teich-Camp mitnehmen, ist ihre Kleidung am Leib. Kein Essen, kein Trinken. Es gibt ein Startguthaben von 5000 Euro, ein Handy und Anschlüsse für Gas und Wasser. Ziel ist es, dass die Gruppe durch Handel Geld verdient und sich eine Existenz aufbauen kann. Die Scheune ist mit Strohballen und Sitzhocker kärglich eingerichtet.

Reichlich, da überall: Kameras. Der Hof ist von der Außenwelt abgeschottet, die Bewohner dürfen das Gelände nicht verlassen. Wer will, kann an dem Tor klingeln oder Knackwürste in den Briefkasten werfen. Der Bürgermeister von Königs Wusterhausen, Lutz Franzke (SPD), hofft auf Synergie-Effekte für die Stadt mit 35 000 Einwohnern. Also auf Kaffeefahrten-Tourismus nach „Newtopia“.

Die Blaupause für das Projekt, mit dem Sat 1 sein Vorabendprogramm stärken will, stammt aus den Niederlanden. Erfinder ist John de Mol, der auch die Container-Show „Big Brother“ in die Fernsehwelt und 2000 nach TV-Deutschland gebracht hat. Es gab viele Nachfolger und Ableger – „Die „Alm“, „Die Burg“, „Wild Girls“ –, geblieben sind das „Dschungelcamp“ bei RTL und „Promi Big Brother“ bei Sat 1. Auch „Newtopia“ folgt dem Grundkonzept von WG-Kandidaten unter Dauerbeobachtung, grundsätzlich anders ist das Casting: unbekannte Menschen mit durchschnittlicher Sat-1-Zuschauer-Biografie ohne C-Promi-Status.

Der durchschnittliche Sat-1-Zuschauer ist Kandidat

Zur Hofbesatzung zählen unter anderen der 44 Jahre alte Politikwissenschaftler Candy aus Berlin, der 26-jährige Key-Account-Manager Derk aus Frankfurt/Main und Aurica, eine alleinerziehende Mutter und Kassiererin, 39, aus Krefeld. Ob der Umstieg aus dem bisherigen ins Fernsehleben glückt, ob hier Menschen Alternativen suchen, weil ihnen kein Alltag mehr gelingen will, ob die neue Gemeinschaftsform Kommunismus oder Kapitalismus heißt – „Newtopia“ will Antworten liefern. Werktags ab 19 Uhr jeweils eine Stunde Zusammenschnitt, oder im Internet 24 Stunden pro Tag. Gegen Gebühr können die Zuschauer Kameras selbst steuern. Das Publikum kann auch mitbestimmen, wer rausgewählt wird, wer dazukommt.

Sat 1 wäre kein aufs Geldverdienen angelegtes TV-Unternehmen, wenn im Vorfeld die Spannungsschraube nicht mächtig angezogen würde. „Vollkommenes Glück oder totales Glück?“, transpiriert der Sender seine Erwartungen ans TV-Experiment. Das Publikum will gewonnen sein. Es ist routiniert, es ist „Big Brother“-geschult, es ist skeptisch.

„Newtopia“, Sat 1, Montag, 19 Uhr

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