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Nur ein Segen?: Obi et urbi

Politische Themen werden in den Talkshows immer mehr gemieden. Dafür geht es jetzt um Schicksalsschläge, Heimwerken und den Mörder in uns. Das hat Folgen, wenn das Interessante das Relevante verdrängt.

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat die Polit-Talkshows wieder und wieder gegeißelt. Da würden keine ernsthaften Debatten geführt, es gehe um Unterhaltung, nicht um Information, Politiker seien keine Entertainer. Jetzt müsste der Kritiker zufrieden sein, die politische Talkshow verabschiedet sich vom Bildschirm. Am Sonntag nahm sich Günther Jauch der „Schicksalsschläge“ an, sein Gast war der verunglückte Wettkandidat Samuel Koch. Am Montag will Frank Plasberg „hart, aber fair“ wissen, was die Deutschen in die Baumärkte treibt. Am Dienstag wird Sandra Maischberger in die Runde fragen: „Kann jeder zum Mörder werden?“

Diese Themen sind wichtiger als der Nieder-, wenn nicht der Untergang der FDP, die Präsidentschaftswahl in Frankreich, das Urheberrecht. Wichtiger heißt wichtiger genommen. Und wichtiger genommen heißt: als attraktiver angesehen als politische Themen. Die Talks folgen darin dem Publikum, sie sagen der Politik adieu, wie es so viele Bürger schon getan haben. Schicksal, Heimwerken, der Mörder in uns, die öffentlich-rechtlichen Abendrunden sind da gelandet, wo die Schrei-undKreisch-Veranstaltungen der Privatsender vor Jahren am Nachmittag schon mal waren: im Baumarkt des Lebens. Es ist der Sieg des Greif- bis Begreifbaren über das Komplexe, Strukturelle, Uneindeutige. Warum abstrakt, wenn es menschlich geht? Segen drauf: Obi et urbi.

War Politik zu lange die Relevanzgröße fürs Talkschaffen? Ist die Öffnung der Themen ins Alltägliche, die Auswechslung der Elite-Gäste durch das Gerd-und-Gertie-Milieu nicht richtig? Trifft der Einzelne im Baumarkt nicht viel wegweisendere Entscheidungen für sein Leben (und das seines Nachbarn) als in der Wahlkabine? Bin nicht ich in meinem Ich-Sein wichtiger als jene Volksvertreter?

Ein uneingeschränktes Ja auf alle diese Fragen wird die Hierarchie der gesellschaftlichen Themen einebnen. Wenn alles gleich wichtig ist, dann ist alles Relevante nichts. Darauf kann man sich verständigen. Ein Restzweifel bleibt, ob die potenziellen Mörder im Heimwerkerdorado die Schicksalsfrage eines Eurorettungsschirms beantwortet bekommen.

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