zum Hauptinhalt
Pittiplatsch wurde erst im DDR- und dann im deutschen „Sandmännchen“-Fernsehen unentbehrlich.

© dpa

Pittiplatsch wird 60: „Ach du meine Nase“

Pittiplatsch, der freche Kult-Kobold aus dem „Sandmännchen“-Universum, feiert 60. Geburtstag.

Wer wissen will, welch magische Anziehungskraft Pittiplatsch, diese vermeintlich altbackene Figur aus dem DDR-Fernsehen, auf Kinder auch heute noch besitzt, der möge sich nur einmal einige Minuten in der Nähe der Bank im Tierpark Berlin aufhalten, gleich gegenüber vom Terrassencafé Kakadu, auf der seit April eine überlebensgroße Figur des kleinen, frechen Kultkobolds sitzt.

Kleine Jungen und Mädchen klettern im Minutentakt neben Pitti (den „Lieben“, wie er sich auch nennt), Eltern knipsen auf ihren Smartphones die Erinnerung, die Bank ist einer der Hotspots im Tierpark. Und das, obwohl man denken könnte, dass englischsprachige Formate wie „Peppa Wutz“ und „Paw Patrol“ dem eher wenig rasanten Kobold-Leben den Rang lange abgelaufen hätten.

Pittiplatsch ist der Hotspot im Tierpark

Da staunste, was? Passenderweise fand auch hier, im Tierpark in Friedrichsfelde, am Sonnabend die große Sause zu Pittis 60. Geburtstag statt, Live-Auftritt von Bürger Lars Dietrich inklusive. Einen besseren Ort dafür gibt es in ganz Berlin wahrlich nicht.

Dabei ist Pittiplatsch weitaus mehr als eine DDR-Märchenfigur, die den Sprung in das wiedervereinigte Deutschland geschafft hat. Die Geschichte um die Puppe offenbart einiges über die DDR, ja, aber auch darüber, wie fiktive Figuren über die Systeme, in denen sie entstehen, erhaben sind.

Aber von vorne: Emma-Maria Lange, eine in Ost-Berlin lebende Schwäbin, nähte in den sechziger Jahren an der dortigen Kunsthochschule den Prototypen des braunen Kobolds: Zwei Kunstlederkugeln, Haare und Augen drauf, Beine dran, fertig war die Puppe.

Puppenspieler Heinz Schröder (1928 bis 2009) gab dem Fernsehkobold seine erste Stimme.

© dpa

Im Abendgruß des „Sandmanns“ hatte Pittiplatsch am 17. Juni 1962 seinen ersten Auftritt, Sidekick Schnatterinchen gehörte schon seit 1959 in der wöchentlichen Sendereihe „Meister Nadelöhr erzählt Märchen“ zum DDR-TV-Inventar. Geführt wurde Pitti von Heinz Schröder, der schon als kleiner Bub in Friedrichshain Puppen aus Kartoffeln bastelte und später den Beruf des technischen Zeichners lernte, ehe er zum Puppenspiel wechselte.

Pittiplatsch – ein Aufwiegler

Pittis erster Auftritt schlug ein wie eine Bombe: Anders als die anderen Figuren, die man im DDR-TV kannte, hatte er etwas Anarchisches und wiegelte gleich in der ersten Folge die minderjährige Zuseherschaft gegen das Zubettgehen auf. Das blieb nicht ungesühnt: Pittiplatsch trat eine Welle zahlreicher Beschwerden besorgter Pädagogen los, die ihn als „Woolworth-Neger“ und „Unhold“ beschimpften, was mehr über die damalige Lehrerschaft als den Kobold mit Krisselhaar und Falsett-Stimme sagt.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

So wurde er nach nur zwei Folgen aus der Sendung gestrichen und machte erst sechs Monate später, nach Protesten kleiner Kobold-Fans, die gleich wussten: Pitti, der Liebe, das ist einer von uns, ein Comeback, pünktlich zu Heiligabend. Immer noch unangepasst genug, um kleinen Zuschauer:innen gehörig zu imponieren.

Kaum eine DDR-Kindheit, die nicht von Pitti, Schnatterinchen und Hund Moppi, der in den siebziger Jahren dazustieß, geprägt wurde. Im Kobold fanden Generationen von Kindern eine Identifikationsfigur, die ebenso verschmitzt und tollpatschig war wie sie.

Diese Eigenschaften funktionieren besonders gut im Kollektiv: Ente Schnatterinchen, der stets höfliche, aber gelegentlich etwas altkluge Gegenpart, und Hund Moppi, Typ hart, aber herzlich. Insgesamt ein Trio, das sich nicht wirklich für kommunistische Indoktrination eignete.

Pittiplatsch prägte auch die Sprache im Osten

„Das Schöne war, dass wir politisch nicht eingeengt waren. Man konnte einem Fuchs ja schlecht ein Pionierhalstuch umbinden oder einem Kobold ein Abzeichen für gutes Wissen anheften“, sagte Puppenspieler Schröder, der ab 1993 mit seinem „Pittiplatsch-Ensemble" durch Deutschland tourte, über die Figur.

Sogar in den Sprachgebrauch haben Pitti und Co. Eingang gefunden: So gilt Schnatterinchens „nak-nak“ als Grund dafür, dass für Menschen aus dem ehemaligen Osten Enten nicht „quack“, sondern eben „nak“ machen. Auch Pittis Vokabular von „Kannste glauben“ bis zum legendären „Ach du meine Nase!“ ist in der DDR sozialisierten Erwachsenen noch geläufig, letzterer Ausspruch fand auch Eingang in die Torhymne der Eisbären Berlin.

[Die 13 neuen „Pittiplatsch“-Folgen laufen jeweils immer donnerstags in „Unser Sandmännchen“, RBB, 17 Uhr 53, Kika, 18 Uhr 50. Das Filmmuseum Potsdam zeigt im Rahmen einer Premierenfeier am Sonntag ab elf Uhr sechs Folgen der neuen Staffel.]

Und heute? Zum 60. Ehrentag bekommt Pittiplatsch eine Staffel mit 13 neuen Folgen, produziert im Auftrag des RBB. Zu sehen sind sie wöchentlich in „Unser Sandmännchen“ im Kika, im Fernsehen von RBB und MDR. Zu den neuen Abenteuern der drei tierischen Freunde zählen ein „PSC“ (Pitti Song Contest), in dessen Nachgang die drei Freunde feststellen, dass gemeinsam Singen mehr Spaß macht als gegeneinander, sowie eine „Moppi-Olympiade“ und klar, eine Folge, in der der kleine Kobold seinen Geburtstag feiert.

Pitti wird von Christian Sengewald gesprochen, der schon seit 2010 in den Puppentheater-Spielen um Pittiplatsch und Schnatterinchen die Stimme des Kobolds gibt. Dass Sengewalds Eltern zu DDR-Zeiten in der Friedens- und Umweltbewegung engagiert waren und er als Bub nicht zu den Jungpionieren musste, ist eine schöne Pointe der Geschichte einer Figur, die schon immer über Propaganda erhaben war.

Sarah Borufka

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false