zum Hauptinhalt
In der Falle. Was sich da in der Sonnenbrille von Privatdetektiv Julian Hessenthaler (Nicholas Ofczarek) spiegelt, ist das Arrangement für das Ibiza-Video, das FPÖ-Chef Heinz Strache (Andreas Sturm, links im kleinen Bild) zum Verhängnis werden wird.

© Sky

Politik im Video-Format: Österreich, ein Abgrund

Sky hat die „Ibiza-Affäre“ verfilmt. Die Serie bietet großartige Unterhaltung und bösartige Satire.

Österreich ist ein nicht so riesiges Land in Europa, aber was die politischen Skandale angeht, ist Österreich ein Riese. Gerade musste der konservative Bundeskanzler Sebastian Kurz wegen des Vorwurfs der Bestechung, der Bestechlichkeit, erst bestellter und dann medial lancierter Meinungsumfragen zurücktreten. Er agiert jetzt als Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender der ÖVP, eine Rückkehr des 35-Jährigen an die Regierungsspitze wird nicht ausgeschlossen.

[„Die Ibiza-Affäre“, Sky Atlantic, 21. und 28. Oktober jeweils zwei Folgen ab 20 Uhr 15]

Was die „Türkisen“, wie Österreichs Konservative der Parteifarbe wegen genannt werden, das konnte die Freiheitliche Partei Österreichs mindestens so gut. Ihr Skandal ist schier unglaublich, doch von der Realität testiert: die „Ibiza-Affäre“. Heinz-Christian Strache, Chef der FPÖ und österreichischer Vizekanzler, trifft sich mit einer vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen in einer Finca auf der Insel. Red Bull und Vodka fließen reichlich, und was Strache und sein Klubobmann Johann Gudenus vor der Russin daherphantasieren, ist nicht weniger als ein infamer Tauschhandel: Der Oligarchin werden sagenhafte Geschäfte in Österreich versprochen, wenn sie der FPÖ zu weiterem Höhenflug verhilft und vor allem ein Machtinstrument zur Förderung der Freiheitlichen in die Hand bekommt: die „Kronenzeitung“, auflagenstärkste und einflussreichste Zeitung zwischen Vorarlberg und Wien.

[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Was die Politiker nicht wissen: Die Oligarchin ist in Wirklichkeit eine Striptease-Tänzerin, ihr Vertrauter der Privatdetektiv Julian Hessenthaler, sie handeln im Auftrag des Wiener Rechtsanwalts Ramin Mirfakhrai. Das Finca-Treffen wird heimlich auf Video aufgezeichnet, es soll die mächtigen FPÖ-Politiker zu Fall bringen. Der Rechtsanwalt, gebürtiger Iraner, sieht die Migranten in Österreich bedroht, wenn die Freiheitlichen ihre reaktionäre Politik weiter betreiben können. Für dieses Video braucht der Anwalt den Privatdetektiv, die beiden ungleichen Männer tüfteln einen Plan aus, der zum Video und dann zur Affäre führt. Mit der Veröffentlichung des Materials am 17. Mai 2019 durch „Süddeutsche Zeitung“ und „Spiegel“ wird der bislang größte Skandal der österreichischen Nachkriegsgeschichte ausgelöst, dessentwegen Strache schon einen Tag später zurücktritt.

Innenansichten eines Skandals

„Die Ibiza-Affäre“ erzählt die Entstehungsgeschichte dieses Videos. Das Drehbuch von Stefan Holtz („Tatort: Die letzte Wiesn“) und Florian Iwersen („Blood Red Sky“) beruht auf dem Sachbuch „Die Ibiza-Affäre. Innenansichten eines Skandals“ der „SZ“-Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obemeier. Die vierteilige Sky-Produktion oszilliert zwischen Komödie und Drama. Komödie, weil der Betrug, weil die Hochstapelei der (betrogenen) Politiker so lächerlich erscheint, Drama, weil die Geschichte eine Fabel über den Missbrauch und die Mechanik von Macht, über moralische Werte der Gesellschaft ist.

Echte Gewinner gibt es keine außer den beiden Journalisten, die bei der Prüfung der Echtheit des Videos einen Scoop recherchieren. Die Serie wird auch zur Feier für den unabhängigen Journalismus als treibender Kraft der Wahrheitsfindung.

Diese Perspektive stellt sich im Verlauf der vier Teile ein, eine andere, wesentlichere ist aber die von Privatdetektiv Hessenthaler. Immer wieder sieht der Zuschauer ihn durch ein ärmliches Haus in Rumänien streifen, er packt zusammen und kommentiert währenddessen das Geschehen seit 2015.

Panorama und Polaroid

Der Zuschauer ist gut beraten, die unterschiedlichen Handlungsstränge, Zeitebenen und Schauplätze zusammenzudenken, die Autoren wie auch Regisseur Christopher Schier („Todesfrist“) halten am Vexierbild von Video und Skandal durchaus fest, mindestens so genau schildern sie die Absurditäten, das Scheitern und Gelingen, die Jahre vor dem Video und die Tage nach der Veröffentlichung. Es gilt, ein Panorama politischer Verkommenheit und das Polaroid einer Existenz zwischen Großspurigkeit und Verzweiflung, Hessenthaler ist abgebrüht und Lebemann. Die Tonalität dieser Figur kennzeichnet auch „Die Ibiza-Affäre“: großartige Unterhaltung, bösartige Satire.

Die Produktion legt es sehr darauf an, dass sie in Kostümbild, Szene wie auch im Cast mit der Realität zu verwechseln ist. Das fängt an bei Andreas Lust, der einen HC Strache nicht nur spielt, sondern nachgerade gespenstisch auch verkörpert und endet in der berühmt-berüchtigten Finca auf Ibiza. Viel Originales und Originelles in Schauplatz und Schauspiel, das Zelebrieren einer Hochstapelei bekommt etwas Dokumentarisches. Jede der vier Folgen entwickelt eigene Kraft.

Lust und Ofczarek

Und es sind dieser Andreas Lust („Schachnovelle“) und dieser Nicholas Ofczarek („Der Pass“), die als betrügender Politiker und politisierender Betrüger die „Ibiza-Affäre“ prägen. Hier der hochfahrende FPÖ-Chef, der glaubt, sich alles erlauben und jeden benutzen zu können, dort der Privatdetektiv, der endlich Macht spüren möchte. Beide wollen über sich hinauswachsen. Was dabei lächerlich wirkt, ist beileibe nicht zum Lächeln hin gespielt. Dass beider Figuren stolpern, hat etwas Tragikomisches und auf genau dieser Grenze des Lebens tänzeln der Strache-Lust und der Hessenthaler-Ofczarek.

PS: Eine zweite Staffel der „Ibiza-Affäre“ kann es nicht geben, muss es auch nicht. Jetzt ist die ÖVP mit ihrem „Wunderwuzzi“ Kurz dran.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false