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© UIP

Porträt: Horst Krause kriegt nicht den Blues

Wie der bodenständige Schauspieler mit dem Dorfpolizisten aus dem „Polizeiruf 110“ die Rolle seines Lebens gefunden hat.

Horst Krause hat die Sache fest im Griff. Er sitzt auf seinem schwarzen Film-Dreisitzer, dem russischen Nachkriegsbau eines BMW-Motorrads, umklammert den Lenker und streckt den Kopf nach oben. Den Helm hat er sich als Gag um die Brust geschnallt. Sein Gesicht leuchtet hochrot in der Sonne. Blitzlichtgewitter. „So, habt ihr jetzt alle tolle Bilder?“, ruft er den Fotografen zu, die sich auf einem Gasthof in Gröben, Land Brandenburg zum Fotoshooting eingefunden haben. Der Schauspieler weiß, was an diesem Sommertag von ihm verlangt wird. Er vermarktet seinen neuen Film „Krauses Kur“, und darin spielt er einen Polizeihauptmeister, der nicht zufällig wie er selbst, Horst Krause, heißt.

„Wie willst du denn anders heißen, sag mal?“, hatte der Drehbuchautor Bernd Böhlich ihn gefragt. „Du siehst aus wie Krause, du bist Krause, was sollen wir dir einen anderen Namen geben?“ Der Film ist die Fortsetzung einer sogenannten Krause-Reihe, die vor zwei Jahren begann. Damals konnte man den aus dem RBB-„Polizeiruf 110“ bekannten und beliebten Dorfpolizisten in dem Weihnachtsfilm „Krauses Fest“ zum ersten Mal privat erleben. Zusammen mit seinen beiden Schwestern, dargestellt von Carmen Maja Antoni und Angelika Böttiger, wohnt er auf einem Landgasthof in Schönhorst und hat auch im Familienleben einige kleinere Delikte zu verfolgen. Diesmal verschlägt es ihn nach einem Schwächeanfall in eine Kurklinik, in der er es mit Spekulanten zu tun bekommt.

Die Idee, seine Rolle aus dem „Polizeiruf“ auszubauen, kam von ihm selbst. Vor ein paar Jahren hatte er um einen Termin bei der RBB-Intendantin Dagmar Reim gebeten, um ihr sein Anliegen vorzutragen. „Ich dachte, dass es wichtig ist, wenn man für einen Sender arbeitet, sich auch auszutauschen“, sagt er. Während des Gesprächs im Café nippt er an einem Glas Wasser. Es ist heiß, mitunter atmet Horst Krause schwer unter seinem Gewicht. Sein Gesicht ist rund, und die kleinen, verschmitzten, blauen Augen sind hinter einer randlosen Brille versteckt. Dem Bauch sieht man den Genuss von Schmorhaxe, Spareribs und Gulasch an. Er bekennt sich dazu, und wenn man ihn nach seinem Befinden fragt, antwortet er lediglich: „Es schmeckt.“ In diesem Jahr wird der Schauspieler 68 Jahre alt. Was er in seinem Leben gelernt hat, ist: Nicht zu meckern, sondern etwas zu unternehmen.

Er kam im Krieg in einem kleinen Ort in Westpreußen zur Welt. Er war das jüngste von fünf Kindern, das „schwarze Schaf“, wie er sagt. 1947 wurde seine Mutter mit den Kindern nach Ludwigsfelde umgesiedelt, ein Jahr später kehrte sein Vater aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück. Zusammen mit ihm buddelte er die Pfahlwurzeln der Kiefern aus und sammelte Kienäpfel, um damit das Haus zu beheizen. Während der Schulferien arbeitete er als Erntehelfer. „Es war eine harte Zeit, aber auch eine sehr schöne“, erinnert er sich. „Die Familie hielt fest zusammen. Und die größte Sorge der Eltern war, dass immer alle satt wurden.“ In dieser Situation, in der Nahrung knapp war, muss auch seine Leidenschaft fürs Essen entstanden sein. Heute kocht er am liebsten selbst, oft gleich für drei bis vier Tage im Voraus.

Manchmal kam es in seiner Vergangenheit vor, dass er mit der Familie im Dunkeln saß, weil Stromausfall war. Dann zündete seine Mutter Kerzen an und erzählte Geschichten aus dem alten Russland. Dort hatte sie einst gelebt. Er war fasziniert davon. In der Kirche lernte er Trompete blasen und tingelte als Jugendlicher mit einem Tanzorchester über die Dörfer. Er spürte, dass seine kräftigen Hände nur äußerlich zu dem Beruf passten, den er nach acht Jahren Schule erlernt hatte. Dabei war seine Mutter so stolz auf ihn. „Dreher zu sein ist so eine schöne Arbeit“, sagte sie, „du hast immer ein Dach über dem Kopf.“ Dass Horst Krause etwas anderes wollte als Maschinen, etwas mit mehr Leben um sich herum, erkannte sie wohl nicht. Sein Vater nannte ihn „Unnussel“, ein westpreußischer Ausdruck für jemanden, der aus der Reihe tanzt. Als er 21 war, suchten sie in einem Jugendklub für eine Schauspielaufführung einen Kapitän. Das war seine Chance. Er bekam die Rolle, er hat ein Mützengesicht. Zwei Jahre später ging er nach Berlin zur staatlichen Schauspielschule. „Aus allen meinen Geschwistern ist etwas geworden“, erzählt er schmunzelnd, „nur aus mir nicht. Ich bin Schauspieler.“

Zusammen mit Uwe Kockisch, Christian Grashof und Dieter Jäger hat er in den 60er Jahren studiert. An den Theaterbühnen in Parchim, Karl-Marx-Stadt und Dresden hatten sie ihm längst sein rollendes R abgewöhnt, das er noch aus seiner Kindheit mitbrachte. 25 Jahre arbeitete er in der DDR als Schauspieler. Dort war er auch schon im „Polizeiruf 110“ zu sehen. 1989 war er fast fünfzig. Aber nach dem Mauerfall ging es für ihn noch einmal bergauf.

„Ich habe nach der Wende richtig großes Glück gehabt“, sagt er, „ich habe im richtigen Moment die richtigen Menschen getroffen. Und ein bisschen Können kommt natürlich auch dazu.“ Er hat in der Satire von Detlef Buck „Wir können auch anders“ (1993) mitgespielt. An der Seite von Joachim Król verkörperte er in dem Roadmovie dessen wortkargen Bruder Most, der in einem klapprigen Lkw in den neuen Bundesländern unterwegs ist, um ererbte Ländereien zu besichtigen. Nicht nur der Film wurde damals Kult.

Krause – so bodenständig und einfach wie sein Name wirkt er auch in seinen Rollen. Er erscheint nie aufgesetzt oder gekünstelt. Als gemütlicher, alter Dorfpolizist im „Polizeiruf 110“ verzeiht man ihm gern seine Brummigkeit, weil man sie als liebenswürdig empfindet. Krause, so denkt man, ist ein Typ. Einer, der niemandem etwas zuleide tun würde. Über den Polizeihauptmeister sagt der Schauspieler, dass er mehr eine Volksfigur als eine Kunstfigur sei. Mitunter kann es deshalb wohl passieren, dass junge Menschen ihn auf dem Set einfach duzen. So etwas missfällt ihm. Einmal, so erzählt er, habe ihn eine Assistentin mit den Worten: „Da biste ja, kannst gleich mit in die Maske kommen“ begrüßt. Das hat er dann einfach überhört und ist in eine andere Richtung gegangen. Auch wenn Horst Krause gern in fremden Runden Witze erzählt, der nötige Respekt ist ihm wichtig.

Ein Witz, den er im Interview zum Besten gibt, handelt von einem stotternden Bibelverkäufer, der mehr Umsatz macht, als seine Kollegen. Er fragt die Leute, ob er ihnen die Bibel vorlesen soll oder ob sie diese nicht lieber sofort kaufen wollen. Horst Krause lacht darüber herzhaft. „Ich habe einen gesunden Humor“, sagt er. Den kann man auch in seinen Rollen spüren. Wenn er als Dorfpolizist mit seinem Motorradhelm, der wie eine halbe Walnussschale aussieht, schwergewichtig in knapper Unform daherkommt, ist allein das schon ein komischer Anblick. Hier, so denkt man, ist einer, über den man lachen kann. Darin liegt vermutlich auch eine Gefahr für den Schauspieler: Ist man allzu lustig, wird man nicht mehr ernst genommen.

Mehr als vom Witz leben Krauses Figuren aber davon, dass sie genau gezeichnet sind. Der Dorfpolizist zum Beispiel ist ein sehr disziplinierter Mensch, ein Ordnungshüter bis ins kleinste Detail. Als er einmal laut Drehbuch eine leer getrunkene Wasserflasche ins Gebüsch schmeißen sollte, hat Horst Krause protestiert: „Mensch, das passt doch nicht, das kann man doch nicht schreiben, der ist doch ein Pedant.“ In dem Kinofilm „Schultze gets the Blues“ (2003) spielte er einen ehemaligen Bergarbeiterkumpel, der nach seiner Pensionierung die feurigen Südstaatenklänge für sich entdeckt und von Sachsen-Anhalt nach Louisiana aufbricht. Ganz leise und unauffällig bewegte sich dieser Gemütsmensch durch die Umgebung, als hätte diese extra für ihn Platz gemacht. Für die Darstellung war er für den Deutschen Filmpreis nominiert.

Während der Dreharbeiten in Louisiana ist Horst Krause zusammen mit einer Dolmetscherin in einen Laden gegangen, in dem Texashüte verkauft wurden. Das schwarze Modell, das er sich ausgesucht hatte, sollte 325 Dollar kosten. Er stöhnte, die Dolmetscherin auch. Dann sagte er zu dem Verkäufer: „Wissen sie, Deutschland war doch mal gespalten in Ost und West. Und ich komme daher, wo die Russen waren und uns ging es ja nicht so gut.“ Auf 125 Dollar hat er den Hut heruntergehandelt. Jetzt liegt er in seiner Wohnung in Tiergarten.

Im Moment, sagt Horst Krause, habe er noch kein Gefühl fürs Ende. „Es läuft ja alles gut und das Publikum lehnt mich auch nicht ab.“

„Polizeiruf 110 – Alles Lüge“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15

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