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RÜCKENWIND FÜR CHRISTEN-SENDER: Paradiso gewinnt – und klagt

Radio-Analyse 2010: Sieger und Verlierer im Hörfunkmarkt Berlin-Brandenburg. Antenne Brandenburg bleibt vorn.

Radio Paradiso muss am 30. November seinen Sendebetrieb einstellen. Nicht wegen Erfolglosigkeit beim Hörerpublikum, sondern weil der Medienrat der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) es so beschlossen hat. Oldiestar wird die UKW-Frequenzen der christlich orientierten Station übernehmen. Der Erfolg von Radio Paradiso ist aktuell bestätigt worden. Nach der am Dienstag bekannt gewordenen Media-Analyse (MA) 2010 Radio II hat der Sender sein Publikum auf 39 000 in der Durchschnittsstunde steigern können. Das ist im Vergleich mit der Radio MA 2010/I vom März dieses Jahres ein Zuwachs um 7000 Hörer.

Paradiso-Geschäftsführer Matthias Gülzow äußerte sich erfreut über das Plus: „Damit haben wir einen historischen Höchststand erreicht.“ Dies sei vor allem auf einen gesteigerten Wortanteil zurückzuführen. Der Medienrat hatte die Nicht-Verlängerung der Sendelizenz mit Defiziten im Programm begründet. Charakteristisch für Radio Paradiso sei bisher „eine vom Musikformat bestimmte Wellnessausrichtung unter Verzicht auf Programmelemente, die die an der Musik interessierten Hörer stören könnten“, hieß es zur Begründung. Eine Bereitschaft zur Verbesserung sei nicht erkennbar.

Ob die Übertragung der Lizenz von Radio Paradiso auf Oldiestar Bestand haben wird, das wird vor Gericht geprüft. Am Mittwoch werde ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Berliner Verwaltungsgericht gestellt, sagte Paradiso-Geschäftsführer Gülzow dem Tagesspiegel. Damit solle zunächst die für den 30. November vorgesehene Umsetzung des MABB-Beschlusses verhindert werden. „Innerhalb der kommenden vier Wochen müssen wir zudem Klage einreichen“, sagte Gülzow. Der im Medienrecht versierte Rechtsanwalt Christoph Wagner wird Paradiso juristisch vertreten. Die MABB gab auf Anfrage keine Stellungnahme ab.

Der Hörerzuwachs für Radio Paradiso zeigt zudem, wie volatil der Hörfunkmarkt Berlin-Brandenburg ist. Das Zahlentableau der aktuellen Radio MA 2010/II im Vergleich zur MA 2010/I signalisiert Bewegungen bei nahezu allen Stationen. Die Messwerte reflektieren nicht nur den Erfolg/Misserfolg bei den Hörern, sie sind auch die Richtwerte, nach denen die privaten wie öffentlich-rechtlichen Sender die ausgestrahlte Werbung ihren Kunden in Rechnung stellen können.

Antenne Brandenburg vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) bleibt unverändert Spitzenreiter in der Region, allerdings mit Einbußen von 233 000 auf 219 000 Hörer in der Stunde. BB Radio, der private Konkurrent, ist der RBB-Welle erneut nähergerückt.

Für den Gesamtmarkt in Berlin und Brandenburg gilt, dass die in der Hörergunst führenden Privatprogramme wie Berliner Rundfunk 91,4 oder 104,6 RTL stagnieren oder gar deutlich zurückfallen. Radio 94,3 rs2 ist mit einer Einbuße von 19 000 Hörern klarer Verlierer dieser Erhebungsrunde.

Spreeradio, das zur RTL-Radio-Familie gehört, kann sich als der Aufsteiger feiern lassen. Das Plus an 23 000 Hörern katapultiert den Sender erstmals in die Liga der Stationen mit über 100 000 Zuhörern. Das RRB-Programm Radio Eins kann sich dort trotz Minus halten, das gleichfalls öffentlich-rechtliche Radio Berlin 88,8 kratzt an dieser Marke.

Die ausgewiesenen Jugendprogramme wie Fritz (RBB) bleiben auf ihrer Flughöhe oder sind deutlich höher gestiegen. Die Zuwächse bei Kiss FM oder Energy Berlin belegen, dass das forcierte Zusammenspiel mit den sozialen Netzwerken wie Facebook, StudiVZ oder Twitter in der Generation Internet Früchte trägt.

Für Newcomer ist noch Platz im regionalen Markt – was die über Radio Paradiso generierte Schicksalsgemeinschaft von MABB und Oldiestar freuen wird. Jam FM wie Star FM 87,9 legen von Media- Analyse zu Media-Analyse zu. JazzRadio, im selben Radiohaus wie Paradiso angesiedelt, könnte es beim laufenden Insolvenzverfahren und bei der Investorensuche Mut machen, dass immerhin 13 000 Hörer pro Stunde einschalten.

Quasi nebenher erfasst die Radioerhebung auch die werbefreien „Einschaltprogramme“. Nach der für die werbefreien Wellen gültigen Währung der Tagesreichweite wächst das RBB-Kulturradio um 8000 auf 129 000 Hörer. Die beiden Programme von Deutschlandradio bauen in der Region merklich ab: Der Deutschlandfunk fällt von 167 000 auf 133 000 Hörer zurück, Deutschlandradio Kultur büßt gar 36 000 Hörer ein und liegt aktuell bei 72 000. Möglicherweise stecken in den Verlusten beider Wellen die Gewinne von Inforadio, das sich bei der Tagesweite auf 291 000 Hörer steigern konnte.

Wie gut sich das Medium Hörfunk auch im digitalen Zeitalter behaupten kann, beweist die Reichweite. 58 Millionen Menschen schalten in Deutschland täglich das Radio ein, das sind knapp 79 Prozent der Deutschen ab zehn Jahren. Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben dabei ihre Führung ausgebaut. Die ARD-Sender kommen pro Tag auf 38,7 Millionen Hörer, ein Plus von knapp 650 000. Die Privatradios erreichen unverändert 32,3 Millionen Menschen. Wer einschaltet, bleibt im Schnitt 251 Minuten dran, ein Zuwachs von sieben Minuten zur Radio-MA im Frühjahr.

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