zum Hauptinhalt

Medien: Sex, Lüge, Video

Rainer Langhans und sein Harem sind auf TV.Berlin zu besichtigen / Von Barbara Sichtermann

Man sagt ja, die Prätentionen und Utopien des Jahres 1968 seien mausetot. Vor allem die Alt68er sagen das. Aber stimmt es auch? Die Langhans-Kommune in München, auch Harem genannt, scheint ein überlebendes Phänomen jener Zeit zu sein, eine Art Saurier oder Relikt. Vielleicht auch bloß ein Fossil: formal interessant, aber leblos. Wir werden sehen. Der Umzug der Kommune in den Container steht bevor, die Kameras warten („Kommune – fünf Frauen und ein Mann“ auf TV.München und TV.Berlin, ab kommendem Sonnabend zwei Wochen lang um 21 Uhr). Einstweilen senden TV.Berlin und TV.München Portraits derer, die da mitmachen.

Man könnte auch sagen: 1968 hat seine Botschaft nicht nur in den Wind geschrieben, es hat zwischen den Jahren Zeitbomben versteckt, die jederzeit explodieren können. Zumindest im Fernsehen. Die alten Sehnsüchte nach freier Liebe, nach Sex mit mehr als einer (oder einem), nach Promiskuität ohne Eifersucht, zur Not auch mit, sind sie ganz begraben? Kein Mensch wird mit einer Neigung zum Verzicht geboren. Vielmehr als Wunschpaket: alles für mich. Und manche werden so auch alt. Zum Beispiel Rainer Langhans.

’68 war eine politische Bewegung, keine Frage. Aber die Aktivisten jener Jahre hatten die Chuzpe, ihre Wünsche, sogar die erotischen, mit den großen politischen Entwürfen bis hin zur Weltrevolution zu verknüpfen. Dieses Leben in Spannweite hatte einen enormen Reiz. Umso tiefer war die Enttäuschung, als der Bogen zersprang. Langhans fand einen Ausweg: Er ersetzte die Weltrevolution durch indische Philosophie. Er hatte auch ’68 die Politik gern eher spirituell aufgefasst, also fiel ihm der Wechsel nicht schwer. Statt Klassenbewusstsein also meditativer Anschluss an das Unbewusste – und dieses Unbewusste ist vor allem eine wilde Wunschmaschine.

Sein konsequentes Festhalten an der Utopie hat Langhans fünf Frauen beschert. Und diese Frauen, soviel zeigte das Eingangsfeature, haben was in der Birne. Für eine „Haremsdame“ ist jede von ihnen ein bisschen zu eigenwillig, zu gebildet, zu autonom. Sie wollten eben keine braven Ehefrauen sein, ihr Selbstbild ist vielmehr die „verrückte freie Frau“. Aber der Preis für das Leben in der Kommune war hoch: „Wir haben uns gefetzt“. Dennoch: Sie sind geblieben. Zwanzig bis dreißig Jahre leben sie miteinander und mit Langhans, ganz offenbar freiwillig und trotz fliegender Fetzen am Ende wohl gern. Auch für Christa, Brigitte, Gisela, Jutta und Anna hat eine Utopie Gestalt gewonnen – welche, das sollen wir nun erfahren.

Dass der Harem geschlossen in den Container abwandert, um dort das Mysterium seiner langjährigen Existenz in einer Endlos- Session vor TV-Kameras zu lüften, ist eigentlich folgerichtig. Schon die „Kommune 1“ von 1967, zu deren Gründungsmitgliedern Rainer Langhans gehörte, war ausgesprochen publicitysüchtig. Sie sah am Ende den Sinn ihres Experiments in dessen Publizität. Warum auch nicht. Entsteht eine Konstellation, die das Paar „überschreitet“, erweitert oder sonstwie transzendiert, um erotisch und alltagspraktisch das Leben zu teilen, und hält so ein Arrangement über längere Zeit, ist das unbedingt eine Meldung wert. Auch ein „Big Brother“ der Dritten Art im Fernsehen. Denn dahinter lockt ja noch der alte Traum: nicht nur eine oder einen, sondern viele zu lieben, aber ohne Winkelzüge und Versteckspiel, dafür offen und konfliktbereit. Bloß: Was wird aus dem Traum, wenn er, wie Ton Steine Scherben gesungen haben, „Wirklichkeit wird“? Der Song aus den 70ern hatte einen Titel und der hieß: „Der Traum ist aus.“

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false