zum Hauptinhalt
Shitstorm ums "Westfalen-Blatt"

© dpa

Shitstorm wegen Homophobie zeigt Wirkung: „Westfalen-Blatt“ trennt sich von Autorin Barbara Eggert

„Hinterwäldlerisch“, „peinlich“, „Schwachsinn“: Diese Reaktionen erntet eine Ratgeber-Kolumne in einem Anzeigenblatt derzeit im Internet. Die Redaktion reagierte zunächst verhalten - am Mittwochabend folgte ein Schnitt.

Justine Sacco ist zu einem Internetphänomen geworden. Die PR-Sprecherin veröffentlichte im vergangenen Jahr einen rassistischen Tweet und stieg anschließend in ein Flugzeug. Als sie am Zielort landete, hatte sie unzählige Antworten auf Twitter erhalten - und war ihren Job los. „Ich fliege nach Afrika. Hoffe, ich bekomme kein Aids. Nur Spaß. Ich bin weiß!“ - diese Kurznachricht habe ihr Leben ruiniert, sagte Sacco später in amerikanischen Medien.

Die deutsche Justine Sacco heißt Barbara Eggert. Seit dem Wochenende ist die Diplom-Soziologin ein Begriff in Sozialen Medien wie Twitter und Facebook, am Mittwochabend teilte ihr Arbeitgeber mit, die Zusammenarbeit mit der freien Autorin sei beendet.

Eggert hatte eine Kolumne in einem Anzeigenblatt der Unternehmensgruppe „Westfalen-Blatt“ geschrieben: „Guter Rat am Sonntag“. Am vergangenen Sonntag - pikanterweise dem Internationalen Tag gegen Homophobie - antwortete sie auf eine Anfrage von „Bernhard, 43 Jahre“: Der Vater zweier Töchter fand es „unpassend“, seine Töchter mit zur Hochzeit seines Bruders zu nehmen - denn der heirate einen Mann. Seine Kinder, 8 und 6 Jahre alt, sollten sich nicht „in ihrem kindlichen Alter schon mit dem Thema der sexuellen Orientierung befassen“.

"Es muss nicht sein, sechs- und achtjährige Kinder einzuladen.“

Dies als Problem zu formulieren, hätte womöglich für einen Shitstorm gereicht. Deftige Kritik erntete erst recht die Ratgeberin, die schrieb: „Bei allem Respekt, es muss nicht sein, sechs- und achtjährige Kinder einzuladen.“ Die Töchter könnten auf solch einer Feier „durcheinander gebracht“ werden. In der Online-Fassung des Artikel schreibt Eggert: „Andere Kinder mögen vielleicht liberaler aufgewachsen sein. Ihre Töchter sind anders erzogen.“

Nach Berichten etwa des medienkritischen „Bildblogs“ überschlugen sich die Kommentare - fast ausschließlich empörter Art. Das Twitter-Schlagwort „#Westfalenblatt“ gelangte unter die meistgenutzten in Deutschland. „Wieso darf so jemand Psychologin sein??“, fragt eine Nutzerin auf dem Kurznachrichtendienst, andere bezeichnen das „Westfalen-Blatt“ als „gehirnresistent“ und „homophob“. Ein klassischer Shitstorm.

Auch eine erste Stellungnahme der Unternehmensgruppe änderte daran nichts. Der Verdacht, die Zeitung wolle Kinder von Homosexuellen fernhalten, sei „absurd“, schrieb Redaktionsleiter Ulrich Windolph darin. Mit Blick auf das Alter der Töchter des Ratsuchenden halte man die „diskussionswürdige“ Entscheidung der Eltern jedoch „durchaus für legitim“.

Die Reaktionen darauf, so schreibt das Portal „meedia.de“, waren wiederum absehbar: Die Kritik wurde noch schärfer. Eine Petition forderte, vergleichbar mit dem Fall Sacco, die Unternehmensgruppe solle auf die „mittelalterliche Äußerung“ mit der Entlassung von Eggert reagieren. Am Mittwoch legte Windolph nach und entschuldigte sich für „diese sehr gravierende journalistische Fehlleistung“.

Sie fordert Toleranz für Intoleranz.

Inzwischen hatten immer mehr Medien das Thema aufgegriffen. Eggert selbst, die in der offiziellen Stellungnahme erklärt hatte, sie wolle alle Menschen ernstnehmen, „gerade die, die anders denken als man selbst“, warfen Kommentatoren „typische reaktionäre Argumentationsmuster“ vor: Sie fordere Toleranz für Intoleranz.

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses stieß auf gemischte Reaktionen. Einige Facebook-Kommentatoren begrüßten die Entscheidung als konsequent, andere sprachen von einem „klassischen Bauernopfer“ oder schrieben, der Schritt bedeute eine Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit.

Der Deutsche Presserat bestätigte unterdessen, dass mehrere Beschwerden zu dem Fall eingegangen seien. Allerdings, so ein Sprecher, sei das Gremium nicht zuständig, da der Text in einem Anzeigenblatt erschienen sei. Möglich sei in solchen Fällen eine „summarische Prüfung“, die grundsätzlich zu einem Hinweis an eine Reaktion führen kann. Ob es in diesem Fall dazu kommt, sei aber völlig offen. Paula Konersmann (KNA)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false