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Medien: Soap-Opera: Alle für Ally, Ally für alle

Na ist denn das die Möglichkeit - Ally poppt. Sie schnackselt.

Na ist denn das die Möglichkeit - Ally poppt. Sie schnackselt. Sie hat Sex, und dann noch nicht einmal den mit Kuscheln, sondern knalleharten, rauhen, um nicht zu sagen, bösen Sex - so einfach zwischen zwei Terminen. Sex mit einem Unbekannten, Sex in der Waschanlage.

Was das zu bedeuten hat?

Vorerst einmal wenig, weil ja jeder poppt; die meisten tun es zu Hause, manchmal in fremden Betten, selten in der Öffentlichkeit, noch seltener in der Waschanlage. Das tun nur die vom Fernsehen.

Aber Ally, ausgerechnet Ally - Miss McBeal? Für die tendenziell ebenso durchgeknallte wie magersüchtige Bostoner Fernseh-Anwältin war Sex bisher, nun ja, vielleicht kein Fremdwort. Aber eben nur ein Wort. Etwas, worüber man zwar spricht, aber nur, dass man es nicht hat, gerne hätte, oder lieber auch nicht.

Nun tut sie es, und 14 Millionen Menschen schauen dabei allein in Amerika zu. In Deutschland sind es mehr als eine Million, die Dienstags kurz nach 22 Uhr wegen Ally auf Vox zappen. Für diese Uhrzeit und diesen Sender ist das eine Wahnsinnsquote. Und das hatte bisher nichts mit Sex zu tun.

Spannend auch, wer zuschaut. Ally McBeal feiert ihre größten Erfolge nämlich bei jenen, die sonst auf Arte und den iranischen Problemfilm abonniert sind. Dementsprechend verwundert notierte "Zeit"-Herausgeber Josef Joffe vergangene Woche, dass "zwei Stunden vor Mitternacht aus dem Büro um die Ecke helles Gelächter springt. Die Damen gucken Ally McBeal." Und dabei schrieb Joffe noch nicht einmal über einen Besuch in der Redaktion des jugendlichen "Lebens", sondern über das honorige Stammhaus in Hamburg.

Seltsam, das.

Normalerweise ist das Feuilleton nämlich nicht unbedingt jener Ort, wo Seifenopern platzgreifend beschrieben werden. Bei Ally McBeal ist das anders; Die "Süddeutsche", die "taz", sogar die "Zeit" - wenn, wie vergangene Woche, eine neue Staffel der Anwaltsserie anläuft, ist das allen allemal einen Aufmacher wert. Ja, Ally ist Kult; man sieht, lacht und spricht darüber.

An sich ist das ja auch richtig, denn das mit Dutzenden von Fernsehpreisen überschüttete Format aus der Feder von Ex-Anwalt David E. Kelley ist in der Tat selten komisch. Verschrobene Typen stolpern von einer peinlichen Situation in die nächste Skurrilität, und verschroben ist nicht nur Ally, sondern auch ihre Partner Fish und Cage. Wegschauen wäre Wahnsinn. Worum es geht? Natürlich um die ewig gleiche Beziehungskiste Mann/Frau, die niemals klappt.

Eine Seifenoper, ja - thematisch kaum zu unterscheiden von ihren vorabendlichen Geschwistern aus "Marienhof", "Gute Zeiten, Schlechte Zeiten" und "Melrose Place". Alles Sendungen, die man guckt, denn wirklich jeder guckt Seifenopern, weil wirklich jeder Mensch Liebe und Drama, Sex und Eifersucht liebt.

Die negativen Sachen hat man aber lieber im Fernsehen als im eigenen Leben, und das ist bei allen Gesellschaftsschichten so. Der Unterschied: "GZSZ" darf man, ist man clever, nur heimlich schauen - allein schon wegen der laienhaften Darsteller. Eine morgendliche Büro-Nachbesprechung von "GZSZ"? Eher nicht ratsam. Und auch bei "Melrose Place" funktionierte das, wenn überhaupt, nur in den ersten Staffeln.

Ally hingegen ist toll, man darf darüber sprechen, sie auch als kluger Kopf lieben. Möglicherweise liegt das an den Spezialeffekten. Ally klatscht beim Anblick eines Waschbrettbauchs die Zunge wirklich auf den Boden. Wenn ein Kollege indiskret ist, bohrt sie ihm sieben Messer in den Oberkörper. Und zum Schluss tanzen alle in der Uni-Sex-Toilette zu Barry White.

Ally McBeal, so heißt es, ist Qualität, deswegen darf man schauen. Und möglicherweise ist die Qualität auch der Umstand, dass die notwendige Identifikation mit den Stars augenzwinkernder läuft als bei anderen Soaps. Mal ehrlich: Wer erkannte sich gerne in Oli P. wieder? Aber in Fish - warum nicht? Und außerdem haben die Charakterköpfe in der Kanzlei derartig viele Macken, dass zumindest eine auf jeden Zuschauer passt. Aber sie sind so überzogen, dass man über die Persiflage des Ichs lachen kann. Bei Richard Fish, Chef und Begründer des "Fishismus" etwa. Der ist dermaßen karrieregeil, dass selbst ein New Economy-Aufsteiger lachen kann. Und das will was heißen.

Oder John Cage, Chef Nummer zwei. Er denkt nicht nur, dass er die Traumfrau an seiner Seite nicht verdient - er sagt es auch: "Ich möchte dich lieber aus der Ferne begehren." Ehrliche Worte und dafür Danke, Mister Cage.

Die Identifikation funktioniert toll. Ally McBeal gilt als Vorzeigemodell der neuen Powerfrauen. Erfolgreich, magersüchtig und gutaussehend. Die Komikerin Anke Engelke lobte Ally kürzlich in einer Hommage im "kulturSpiegel", weil sie deren Probleme auch hat, sich darin wiederfindet und deswegen alles "nachvollziehen kann".

Danke, Anke.

Wer nicht so ist wie Ally oder Anke, findet möglicherweise derartige Frauen abstoßend - und guckt deswegen auch. Seit Zlatko ist bekannt, dass Anti-Identifikation erst recht Quote bringt. Das funktioniert im übrigen auch bei Männern. Wer Ally mag, schaut sowieso, und wer Ally nicht mag, schaut auch, weil er solche Frauen nur im Fernsehen findet und nicht bei sich zu Hause. Funktioniert in allen Bildungsschichten.

Und dann hat Ally natürlich auch noch Moral. In ihren reichlich skurrilen Fällen verteidigt sie Bäume, hilft kleinen krebskranken Jungen, die den lieben Gott verklagen wollen und Menschen, die wegen offensichtlicher Hässlichkeit ihren Job verloren haben. Falls eine Folge zu P.C. wird, ist dann ja immerhin noch Fish da, der vor Gericht durchsetzt, dass ein Pfarrer in einer Predigt über kleine Menschen herziehen darf.

Deswegen hat es mit Ally McBeal erstmals eine Soap-Opera geschafft, Kulturgut zu werden. Und folglich muss mehr dahinterstecken als bloße Unterhaltung. Nur was? Schon werden Parallelen zu Woody Allen gezogen, zu Francois Truffaut und Mel Brooks. Welcher Serie wurden diese Weihen vorher schon zuteil?

Bleibt nur die Sache mit dem Sex. Zu Beginn der dritten Staffel vergangenen Dienstag hatte sie ihn. Ohne langes Rumreden, rasch, ungestüm, in der Waschanlage.

Was hatte das zu bedeuten? Sieht man nach zwei Staffeln ohne nun nur dewegen eine stöhnende Carlista Flockhart alias Ally, weil es dem Drehbuchautor lustig ist? Oder liegt es gar an Miss Flockhart, die die Nase voll hatte von der Diskussion um ihre Taille - und deshalb selbst mehr Peppe forderte?

Wahrscheinlich ist alles viel banaler und bedeutet gar nichts - außer, dass kluge Menschen auch poppen.

Das hat Ally erkannt. Und tut es auch.

Markus Huber

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