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Müssen Kinder in der Schule auf das Internet vorbereitet werden?

© dpa

Spielername: Himmler: Wie sich Rechtsextreme an Kinder heranmachen

Kinder nutzen die digitalen Medien immer früher. Experten warnen vor den Gefahren extremistischer Beeinflussung in PC- und Videospielen.

Auf der Gamescom in Köln, die noch bis Sonntag Tausende spielehungriger Menschen anzieht, haben Babys und Kleinkinder bis drei Jahre keinen Zutritt. Und Kinder bis elf Jahre dürfen nur in Begleitung von Erwachsenen auf das Gelände.

Bei den Spielen selbst, von denen auf der Gamescom zig Neuerscheinungen zu sehen sind, ist man mit den Altersbeschränkungen nicht so penibel. Da gibt es zahlreiche Spiele mit der Altersfreigabe ab null Jahre. Und viele noch nicht schulpflichtige Kinder, die gar nicht oder nur wenig lesen und schreiben können, gehen auch ohne Begleitung ihrer Eltern online. Das brachte die im Juni vorgestellte Studie „Kinder in der digitalen Welt“ vom Deutschen Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) und dem Sozialforschungsinstitut Sinus ans Licht, die erstmals das Verhalten und die Vorlieben drei- bis achtjähriger Kinder im Internet untersucht.

Auch wenn bei den Knirpsen analoge Freizeitbeschäftigungen wie „Spielen mit Freunden“ noch immer an erster Stelle stehen, ist bereits jedes zehnte dreijährige Kind regelmäßig im Netz unterwegs, von den Sechsjährigen fast jedes Dritte und von den Achtjährigen sogar über die Hälfte. Damit sind 1,2 Millionen der Drei- bis Achtjährigen online, unabhängig vom sozialen Status oder Geldbeutel der Eltern. Trotz mangelnder Schreib- und Lesefähigkeiten sind schon 20 Prozent der vierjährigen Onlinenutzer in der Lage, selbstständig Internetseiten aufzurufen. Bei den Fünfjährigen sind es bereits 31 Prozent, bei den Sechsjährigen 71 und bei den Achtjährigen 81 Prozent. Während Mädchen im Netz gern Informationen suchen, sind Jungs eher auf Spiele fixiert. Und: Je geringer der Bildungsstand der Eltern ist, desto weniger engagiert begleiten sie ihre Kinder in die digitale Welt. Vielmehr sind sie der Meinung, dass man Kinder beim Erlernen des Umgangs mit digitalen Medien nicht anzuleiten brauche, da sie das von allein lernen würden.

Und gerade hier lauert die Gefahr, warnt der Potsdamer Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger von der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg, der sich seit Jahren mit Risiken von Sozialen Medien wie Cybermobbing, Cybergrooming, Sexting und Fragen eines funktionierenden gesellschaftlichen Kinder- und Jugendmedienschutzes beschäftigt.

Die Kompetenz zum Wischen ist noch keine Medienkompetenz

Rüdiger begrüßt zwar, dass erstmals eine Studie über die Online-Nutzung von Kindern dieser Altersklasse veröffentlicht wurde, weist aber darauf hin, dass hier „nur eine geringe Abgrenzung zwischen einer Wischkompetenz – also dem reinen funktional technischen Bedienen technischer Geräte – und einer Medienkompetenz vorgenommen wird. Ein drei- bis sechsjähriges Kind kann zwar über den Bildschirm bei Youtube auf ein Video klicken und somit das Internet bedienen, aber das hat nichts mit dem Verständnis der Risiken und Möglichkeiten des digitalen Raumes zu tun“, erklärt er.

Das besondere Problem digitaler Spiele sei, dass sie heutzutage nicht nur eindimensionale Plattformen seien, sondern Communities, in denen man mit anderen Spielern in Kontakt treten beziehungsweise von denen kontaktiert werden kann. Und während sich die meisten Erwachsenen Sorgen über gewalttätige oder pornografische Inhalte im Netz machen, ist kaum bekannt, dass besonders Onlinespiele genutzt werden, um extremistisches Gedankengut zu verbreiten. Das wird auch in der Studie klar: Das Thema „Extremistisches Gedankengut“ wird komplett ausgespart, die Begriffe „Extremismus“ und „extremistisch“ finden sich mit keinem Wort. Und auch die verschiedenen Soziogruppen, die in der Studie unter anderem als „digital Souveräne“, „unbekümmerte Hedonisten“, „effizienzorientierte Performer“ oder „verantwortungsbedachte Etablierte“ bezeichnet werden, beschäftigen sich zwar mit Fragen, wie lange ihre Kinder auf welchen Geräten was sehen dürfen, dass sie dort mit Extremismus konfrontiert werden könnten, scheint ihnen aber nicht bewusst zu sein.

Das Problem sei, dass Kinder das Internet oft zuerst durch Onlinegames erfahren, sagt Rüdiger. „Sie werden durch diese Spiele sozialisiert, ihr Verhalten und ihre Ansichten geprägt. Deshalb ist es gefährlich, wenn sie in Spielen auf extremistische Ideologien und Weltbilder anderer Spieler treffen, die sie gar nicht verstehen, geschweige denn einordnen können. Da gibt es Nutzernamen wie Adolf, Himmler oder Sturmführer, sogenannte Spielergilden können Wehrmacht, Landser, Waffen-SS, Al Qaida, IS und so weiter heißen.“ Keine Frage, dass es auch innerhalb der Chats zu extremistischen Äußerungen komme.

Da weder den Eltern, noch offenbar den Erstellern der Studie das Problem bewusst ist, können sie die Kinder davor auch nicht schützen. Denn es nützt nichts, wenn Eltern hin und wieder überprüfen, ob ihre Sprösslinge auch auf den erlaubten Seiten geblieben sind. Denn die Verläufe zeigen ja nicht, auf wen sie, wenn sie harmlos erscheinende Spiele mit Chatfunktion spielen, dort treffen.

Das Hauptproblem im Internet bleibt die Anonymität

Rüdiger weist auf die Gefahr hin, dass Extremismus im Rahmen spielerischer Interaktionen von den Kindern als normal empfunden wird und so auch ihr Weltbild beeinflussen könne. „Wir müssen uns als Gesellschaft klar werden, dass die Risiken im digitalen Raum für heranwachsende Kinder heute hauptsächlich aus der anonymen Kommunikation und Interaktion im Netz herrührt“, erklärt er. „Es verwundert schon etwas, warum ich – wenn ich beispielsweise ein Spiel ab 18 Jahren bei Amazon kaufe – dem Postboten nachweisen muss, dass ich die Person bin, die es gekauft hat, und damit auch über 18 Jahre alt bin. Im Internet ist das nicht der Fall.“ Viele Onlinespiele und Kinder-Communitys, die eine Kommunikation zwischen Nutzern ermöglichen, sind ab sechs, zum Teil ab null Jahre eingestuft. Und natürlich verlassen sich die meisten Eltern darauf, dass Spiele, die für diese Altersklasse freigegeben sind, harmlos sind. Dass die Gefahren nicht vom Spiel an sich, sondern von – meist erwachsenen – Mitspielern ausgehen, erschließt sich ihnen nicht.

„Unsere Medienprävention muss Onlinespiele als sozialen Interaktionsraum, in denen kriminelle Handlungen stattfinden, berücksichtigen und entsprechende Präventionsangebote anbieten“, fordert Rüdiger. „Vor allem darf die Regulation nicht den Betreibern solcher Programme überlassen werden. Spiele sollten nur dann eine geringe Altersempfehlung bekommen, wenn der Betreiber im Vorfeld entsprechende Schutzmechanismen nachgewiesen hat.“ Auch wünscht er sich mehr Polizeipräsenz im Netz. „Wir sollten uns als Gesellschaft fragen, welche Auswirkungen es auf Kinder hat, dass sie in einer digitalen Welt aufwachsen, in der sie so gut wie nie Sicherheitsbehörden als Ansprechpartner und Repräsentant eines Rechtsstaates sehen.“ Er vermutet, dass „die Masse an Delikten von Cybermobbing über Grooming zu Onlinehatecrime auch etwas mit diesem Umstand zu tun hat. Stellen Sie sich den Straßenverkehr ohne Polizei und eigene Regeln vor. Würden wir als Gesellschaft beruhigt unsere Kinder in einen solchen Raum entlassen?“

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