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Wieder im Licht der Aufmerksamkeit: Die Gesichter von Palmyra.

© Arte/Un film à la patte

TV-Doku über Palmyra: Nicht alle Wege führen nach Rom

Jenseits des romantischen Bilderbuch-Orients: Eine Arte-Doku wirft einen neuen Blick auf die legendäre Wüstenstadt Palmyra.

Es sind erschütternde Bilder, die fassungslos machen. Sie kommen erst kurz vor Schluss. Dschihadisten des sogenannten Islamischen Staats sprengten im Sommer 2015 wesentliche Teile der berühmten Ruinen von Palmyra. Für was steht eigentlich dieser Städtename? Was genau ging da für immer verloren? Diese Frage rückt der syrische Regisseur Meyar al Roumi ins Zentrum seines Films. Seine betont unspektakuläre Kulturdokumentation erinnert zunächst ein wenig an eine Folge des Formats „Terra X“. Allerdings ohne jenes aufdringliche Reenactment, mit dem das ZDF historische Themen für jüngeres Publikum aufzubereiten versucht.

Der Film blickt Rubina Raja über die Schulter, einer Spezialistin für Palmyrische Kunst. Die dänische Archäologin hat sich spezialisiert auf jene Grabreliefs, die während der Blütezeit der Oasenstadt zwischen dem ersten und dem dritten Jahrhundert n. Chr. entstanden.

[„Palmyra, unwiederbringlicher Wüstenschatz“, Samstag, Arte, 20 Uhr 15]

Diese Kunstwerke, die nach Plünderungen über die ganze Welt verstreut sind, eröffnen ein völlig anderes Bild als jener Orientalismus des 18. Jahrhunderts mit seinen verkitschten Fantasien eines romantischen Bilderbuch-Orients im Stil von Tausendundeine Nacht. Als zentraler Handelsstützpunkt am Schnittpunkt zwischen der griechisch-römischen Kultur und den Kulturen des Orients ist die Wüstenmetropole zu sagenumwobenem Reichtum gelangt. Mit kunstvoll modellierten Grabreliefs demonstrierten wohlhabende Familien ihren sozialen Status in der Wüstenstadt.

Eine Hochkultur mit unterschiedlichen Einflüssen

Über diese bloßen wirtschaftlich-geografischen Zusammenhänge hinaus verdeutlicht die filmische Ausgrabung noch einen anderen Aspekt: So sind diese steinernen Porträts zugleich Ausdruck einer Hochkultur, in der unterschiedliche Einflüsse zusammenkamen. Viele der Grabreliefs erweisen sich als subtile Mischung zwischen syrisch-mesopotamischer und griechisch-römischer Ästhetik. Die klassische Archäologie klassifizierte diese Porträts als „provinziell römisch“.

Dagegen stützt der Film eine andere These: Totendarstellungen aus den Grabkammern und Tempelgräbern, deren Komplexität von Rubina Raja lesbar gemacht werden, sind Ausdruck unterschiedlicher Kunstformen, die durch den Einfluss Roms nicht einfach ausgelöscht worden waren.

Der Grad des Vandalismus, den IS-Terroristen bewirkten, übersteigt jegliches Maß. Aber, so der versöhnliche Ausblick dieser sehenswerten Doku: Dank der unermüdlichen Arbeit zahlreicher Archäologen lebt die Geschichte Palmyras weiter. Nicht physisch, sondern in der Erinnerung.

Manfred Riepe

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