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Firmen-Event der MEG, zweiter von rechts: Mehmet E. Göker.

© WDR

TV-Dokumentation: Sklave des Geldes

Klaus Stern entlarvt im ARD-Film die Arbeitsweise eines besonders dubiosen Versicherungsvertreters.

Kapitalismus bizarr: Am Morgen schwört Mehmet Göker seine Mitarbeiter auf das Tagesgeschäft ein. Der Saal ist voll, der Chef lobt und schmeichelt. Im nächsten Moment attackiert er, brüllt seine Leute an oder bejammert ihre Unfähigkeit. Göker gibt sanfte Kalendersprüche von sich („Nur wer glücklich ist, macht andere Menschen glücklich“) und hämmert dem Saal seine Vorgaben ein. Er motiviert und macht Druck, eine Kombination aus sowjetischer Disziplin und amerikanischer Leidenschaft nennt er das. Seine Mitarbeiter wirken wie eine willenlose Masse. Bei der Jahresfeier rufen sie im Chor: „Ich bin fest entschlossen, die Chance meines Lebens zu nutzen.“ Und dank seiner ruhelosen Gier und seiner übergeschnappten Selbstgewissheit ist Göker genau die richtige Type für einen Film von Klaus Stern.

Der Dokumentarfilmer hat sich auf Porträts größenwahnsinniger Träumer aus Wirtschaft und Politik spezialisiert, denen er neugierig und offen begegnet und die sich dann mit schöner Regelmäßigkeit selbst entlarven. Und nebenbei legen seine mit Grimme-Preisen ausgezeichneten Filme „Weltmarktführer – Die Geschichte des Tan Siekmann“ (2004) und „Henners Traum“ (2008) sowie seine aktuelle Arbeit „Versicherungsvertreter“ Strukturen und Mechanismen des Turbokapitalismus offen.

Was bei Mehmet Göker aus Kassel ganz nach Sekte aussieht, ist mal ein vermeintlich seriöses Unternehmen gewesen. Jedenfalls war die MEG AG, bevor sie 2009 pleiteging, Deutschlands zweitgrößter Vermittler von privaten Krankenversicherungen. Gegründet von Göker, einem jungen Versicherungskaufmann und Selfmademan, der in wenigen Jahren Millionen scheffelte. Eine Tellerwäscherkarriere mit reichlich Porzellanschaden also.

Göker ist ein extremes, besonders faszinierendes Beispiel. „Früher war ich ein Sklave des Geldes“, sagt Mehmet Göker im Juli 2011. Er gibt Stern ganz entspannt im Bayerntrikot in einer Villa in der Türkei, wo er jetzt lebt, ein freundliches Interview. Wie er denn seine 21 Millionen Euro Schulden zurückzahlen wolle? „Gar nicht“, erklärt Göker. Die habe er ja nicht. Am Ende würde es vielleicht um zwei Millionen gehen. Auch die verschiedenen, zum Teil seit Jahren dauernden Ermittlungsverfahren scheinen ihm nichts auszumachen. „Wünsche viel Spaß bei den Ermittlungen weiterhin“, sagt er sarkastisch. Nach eigenen Angaben ist er jetzt Angestellter bei der Göker Consulting Group seiner Mutter.

Stern kombiniert seine Recherchen der vergangenen Jahre mit zahlreichen Firmenvideos, in denen Göker in martialischen Selbstinszenierungen zu sehen ist. Ehemalige Mitarbeiter erinnern sich an „unerträglichen Druck“ und Zustände wie in einem „Überwachungsstaat“. Nicht mit Stern sprechen wollten die willfährigen Vertreter der großen Versicherungskonzerne, die Göker angesichts wachsender Vertragsabschlusszahlen mit großzügigen Vorschüssen bedienten. Millionen auf Pump, mit denen der MEG-Chef dann ebenso großzügig um sich warf, bis sein Geschäftsmodell platzte.

Schade allerdings, dass die ARD nur eine um fast die Hälfte gekürzte Version des 80-minütigen Films zeigt, der noch im März in den Kinos lief. Am 19. Juni ist dafür noch ein weiteres Werk von Klaus Stern zu sehen: „Die Spielerberater“, ein Film über das Vermittlungsgeschäft mit Fußballprofis. Thomas Gehringer

„Versicherungsvertreter“; 22 Uhr 45, ARD

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