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© NDR

TV-Jubiläum: Damals im Onkel Pö

30 Jahre "NDR Talk Show" – wie aus einem Streitgespräch eine Wohlfühl-Runde wurde.

Dass eine Fernsehsendung so lange im Programm bleibt, ist schon ungewöhnlich genug. Wenn es obendrein eine Talkshow ist, die in der ungezügelten Inflation dieser Sendeform nicht völlig beliebig geworden, sondern für ihr Publikum kenntlich geblieben ist, dann darf sie sich auch „der Klassiker“ nennen. Als diese NDR-Talkshow 1979 auf Sendung ging, gab es im deutschen Fernsehen gerade mal zwei oder drei Sendungen dieses Formats. Die NDR-Talkshow nannte sich anfangs „Talk nach 9“, was wohl auch signalisieren sollte: Wir sind noch auf der Suche nach einer eigenen Identität.

Diese Suche war (wenn sie denn beendet ist) ein langer, wechselvoller Prozess. Die „NDR Talk Show“ hat zum Beispiel viele Jahre gebraucht, bis sie ihren Zuschauern statt eines Karussells ständig wechselnder Moderatoren (insgesamt waren es über 80) endlich auch ein festes Moderatoren-Duo präsentiert hat, mit dem man die Sendung identifizieren konnte. Dass einer dieser Moderatoren lange Zeit der Quizmaster-Champion und Show-Präsentator Jörg Pilawa war, zeigt, in welche Richtung die Sendung sich entwickelt hat.

Zu Beginn war noch nicht einmal klar, wo die Sendung im Hause NDR ressortieren sollte – bei der Politik oder bei der Unterhaltung. Und so saßen denn zwei Hauptabteilungsleiter in einer Ecke des „Onkel Pö“, der einst berühmten, längst verschwundenen Hamburger Szenekneipe, aus der die ersten Sendungen kamen, vor einem kleinen Monitor und versuchten, sich untereinander (und mit der Regie draußen im Ü-Wagen über eine Art Feldtelefon) zu verständigen, ob die Gespräche weitergehen oder von der startbereiten Live-Musik unterbrochen werden sollten. Und so waren die ersten Sendungen dann auch: chaotisch.

Dabei war die Grundidee durchaus originell. Die Kamera wandert durch die Kneipe und schnappt Gespräche auf, die gerade an den Tischen im Gange sind. Aber funktionieren konnte das unter den gegebenen Umständen nicht. Die Sendung zog um ins Studio, bekam einen verantwortlichen Redakteur und ein modifiziertes Konzept. Man versammelte alle Gäste um einen runden Tisch und versuchte, sie miteinander ins Gespräch zu bringen; das war die Aufgabe der zwei (manchmal drei) Moderatoren. Die ersten Moderatoren waren alle Journalisten: Hans Abich, Christine Brinck, Wolf Schneider, ich und Dagobert Lindlau. Wir verstanden die Sendung als Gelegenheit, ja als Auftrag, zwischen den Gästen Funken sprühen zu lassen und etwas aus ihnen herauszufragen, was sie so noch nicht erzählt hatten, vielleicht auch nicht unbedingt erzählen wollten. Es durfte gestritten werden, und es wurde gestritten. Es gab Zeiten, in denen es schwierig war, ebenso prominente wie interessante Gäste in die Talkshow zu bekommen, weil diese – nicht völlig grundlos – befürchteten, dort verbal „auseinandergenommen“ und in kritische Situationen gebracht zu werden. Hätten wir den Boni-Banker eines mit Steuergeldern am Leben erhaltenen Geldinstituts in der Sendung gehabt – wir hätten ihn sehr gern „auseinandergenommen“.

Das hat sich gründlich geändert. Die Moderatoren nennen sich jetzt Gastgeber und bemühen sich also auch um einen entspannten Plauderton. Man soll sich wohlfühlen, und es soll viel gelacht werden. Die Gäste wissen das und kommen besonders dann gern in jede Talkshow, wenn sie was zu „verkaufen“ haben – ein neues Buch, eine CD, eine Tournee. Man muss das wohl so sehen: Es gibt im deutschen Fernsehen längst mehr Talkshows, als es wirklich interessante Gäste gibt. Und so sind die Talkshows zum Marketing-Instrument geworden. Das waren sie vor 30 Jahren noch nicht, auch nicht eine jener irgendwie politisch austarierten, quasi aktuellen Diskussionsrunden, die nach ihren Gastgeberinnen benannt sind – was diese aber noch lange nicht zu „Hosts“ macht, wie sie im Mutterland der Talkshows etwa Oprah Winfrey oder Barbara Walters sind.

Möge die „NDR Talk Show“ in den nächsten 30 Jahren ihre wahre Identität finden, und möge der Erfolg ihr treu bleiben! Für mich ist sie Vergangenheit.

Der Autor ist Journalist und Moderator. Von 1979 bis 1993 moderierte er regelmäßig die „NDR Talk Show“ (N3, 22 Uhr).

Hermann Schreiber

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