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Zukunft zu dritt. Julchen (Lara Sophie Rottmann, Mitte) findet Mamas (Petra Schmidt-Schaller) neuen Freund Gregor (Wotan Wilke Möhring) okay.

© ZDF und Marco Nagel

TV-Märchen mit Wotan Wilke Möhring: An der Herz-Schmerz-Grenze

„Was im Leben wirklich zählt“: Gehört dieser Fernsehfilm im ZDF wirklich dazu? Am Ende scheint zumindest eines erreicht.

Das Böse darf im Fernsehen nach Lust und Laune prunken. Aber was passiert, wenn das Gute, wie in Vivian Naefes Film „Was im Leben zählt“, zu uns herabsteigt und zu allem Kaputten heile, heile Segen sagt?

„Sie lebt im Vogelsberg“, heißt es bei Wikipedia über die Schriftstellerin Astrid Ruppert. Wer sich nicht so genau im mittelhessischen Bergland auskennt, könnte angesichts des nach ihrem Drehbuch entstandenen Films „Was im Leben zählt“ (Regie: Vivian Naefe) auf die Idee kommen, sie hause nicht im Vogelsberg, sondern im Kyffhäuser. Gleich neben dem rabenweisen Kaiser Barbarossa, von dem der Sage nach die Deutschen noch herrliche Zeiten zu erwarten haben, sollte er einmal wach werden. Dann wäre Frau Ruppert womöglich eine Medienreferentin des Rauschebarts.

Schon die erste, vier Jahre alte TV-Märchenstunde aus der Feder von Ruppert, die damals zu Weihnachten unter dem Titel „Obendrüber, da schneit es“ vom Himmel hoch daherkam, ließ die Glocken süß klingen.

In einem Münchner Mietshaus wirbelte der heilige Geist: Einsame fanden aus der Einsamkeit, eine Alte starb friedlich, ein lediger evangelischer Aushilfspfarrer (Wotan Wilke Möhring) fand Liebe bei einer verheirateten, aber schmählich verlassenen Frau (damals: Diana Amft). Ein schusseliger, aber herzensguter Angestellter (August Zirner) vergaß die Weihnachtsgans mitzubringen, seine Frau (Gisela Schneeberger) ergriff später die Flucht aus der stickigen Ehe, für sie lag Selbstbefreiung auf dem Gabentisch.

Zur damaligen Bescherung gehörten auch ein besonders guter Marktanteil von 21 Prozent und die zugleich tröstliche Gewissheit, mehr Schnee und höheren Schmäh von oben kann es nicht geben. Falsch gehofft: Es geht jetzt noch gerührter. Der neue Film ist von einer gnadenlosen Gnadensentschlossenheit, dem Höheren und Edlen noch Höheres und noch Edleres hinzuzufügen.

Geschlechtsverkehr vor dem Kruzifix

Allein Wotan Wilke Möhring, als Hamburger „Tatortier“ an der Seite seiner erst vor Kurzem ausgeschiedenen Polizeikollegin (Petra Schmidt-Schaller) mehr für Myrrhe denn für Weihrauch bekannt, wandelt sich in dem jetzigen Sozial-Hochamt mit und ohne Ornat als Geliebter der verlassenen Frau Miriam (jetzt: Schmidt-Schaller) zum christlichen Sexualarbeiter. Geschlechtsverkehr vor dem Kruzifix, Miriam hat noch Manschetten („Er guckt uns zu“), Gemeindepfarrer St. Gregor missioniert die Ehebrecherin: „Er hätte nichts dagegen“.

Die christliche Botschaft ist in diesem Film auf den (in der Tat ja herrlichen) Paulusbrief an die Korinther reduziert. Ständig wird das Hohe Lied der Liebe zitiert. Es passt immer: zur Demenzerkrankung des alten Hausmeister-Grantlers (Fred Stillkrauth), der mit der Unterstützung der Hausgemeinschaft – die Liebe lässt sich nicht erbittern – zur guten Heimunterbringung geführt wird.

Im Fall des jungen Studentenpaares, wenn der Mann seinen Widerstand gegen den Kinderwunsch der Frau aufgibt – die Liebe ist langmütig und freundlich. Wenn der alleinstehende Vater von der Überbehütung seiner Tochter lässt und ihr sexuelle Freiheit gewährt – die Liebe duldet alles.

Nur einmal, im Fall des von Zirner hinreißend gespielten Gansvergessers und trauernden Strohwitwers, kommt eine Ahnung von Teufel auf. Ist da etwa eine bewusst inszenierte Clownerie zu sehen. Kommt da Ironie ins Spiel?

Der verlassene Mann, ganz im Himmel seiner Erinnerung, lässt sich von einer naseweisen Haushaltshilfe (Nina Gummich) ziemlich respektlos bezirzen und um sein Meißener Porzellan betrügen. Dazu bläst er auf seiner wiedergefundenen Querflöte Mozart-Melodien – ein taminomäßig entflammter Gutmensch als Volltrottel. Ein TV-Bildnis zu bezaubernd schön, um glaubhaft zu sein?

Keine Angst. Die versierte Filmemacherin Vivian Naefe weicht keinen Finger breit von Gottes Fernsehwegen ab, gönnt sich nur Ausflüge aus der Münchner Gutmenschenkultur in den Modern Jazz: Petra Schmidt-Schaller singt hinreißend in der Kneipe, August Zirner bläst einfühlend quer dazu. Zum Schluss versammelt sich das ehrenwerte Haus im eigenen Gemeinschaftsgarten. Das Paradies scheint erreicht.

Aber wer weiß, die Liebe höret nimmer auf: Dem Sommer folgt ein weihnachtlicher Winter, zu dem schon seit einer Ewigkeit der „Kleine Lord“ und „Dinner for One“ aus dem Kyffhäuser geschickt werden. Da wäre noch Platz.

„Was im Leben zählt“, ZDF, Mittwoch, 20 Uhr 15

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