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Auf den Gotthard!  In Göschenen stoßen Tommaso (Pasquale Aleardi, l.), Max (Maxim Mehmet) und Anna (Miriam Stein) aufeinander und werden unzertrennliche Freunde.

© ZDF und Benrd Spauke

Weihnachten im Fernsehen: Mythen, Menschen und Karl May

Was ist aus den legendären Abenteuer-Serien zu den Feiertagen geworden? Drei Weihnachtsmehrteiler bei ARD, RTL und ZDF buhlen ums Publikum. Mit unterschiedlicher Qualität.

Freundschaft ist ein großer Schatz, vielleicht der größte. Wobei Freundschaft nicht gleich Freundschaft ist. Nehmen wir eine ungebrochen populäre Version deutscher Herkunft: Winnetou und Old Shatterhand, der vollfiktive Häuptling vom Stamm der Apachen und sein teilrealer Kumpel von dem der Sachsen. Selten wurde die Seelenverwandtschaft verschiedener Charaktere inniger inszeniert als in den Kinoadaptionen von Karl Mays Büchern. Daran ändert auch die jüngste Adaption nichts, mit der RTL ab dem ersten Weihnachtstag ein Stück vorankommt auf dem Weg zum Modeschmucksender mit echten Perlen im Programm.

Fünfeinhalb Jahrzehnte, nachdem Horst Wendlandts legendäre Rialto Film die Nachkriegsrepublik aus Schwarzwald und Heide an den Silbersee entführte, kommt „Winnetou“ auf den Bildschirm. Allerdings nicht im kommerziellen Effektgewitter zu lauter Musik über zu grellen Bildern zu platter Charaktere. In drei Teilen hat Philipp Stölzl den Märchenstoff des notorischen Lügners May so überarbeitet, dass Harald Reinls Westernklamotten der Sechziger dagegen knallbunt verblassen.

Die Fieslinge Rattler (Jürgen Vogel), Loco (Fahri Yardim) und Santer (Michael Maertens) geraten zwar auch in der Neuauflage etwas wesensböse; doch wie authentisch das Indianerleben dargestellt wird, wie anarchisch auch jenes der invasiven Siedler, wie liebevoll der Regisseur die Helden aneinander wachsen lässt – das ist in seiner unterhaltsamen Tiefe moderner als mancher ARD-Mittwochsfilm. Auch Mario Adorf ist mit dabei.

Auch und gerade wegen jener salbungsvollen, aber wunderschönen Beziehung, mit der Wotan Wilke Möhring und der albanische Star Nik Xhelilaj statt einst Lex Barker und ein französischer Nobody namens Pierre Brice den Kampf edler Wilder gegen gierige Weiße grundieren. Beide beleben eine Freundschaft zum Niederknien, die nach Karl Mays Eintritt in „Eine neue Welt“ sorgsam sprießen darf, beim Rätsel um das „Geheimnis vom Silbersee“ erblüht und im „Letzten Kampf“ tränenreich stirbt, wie es ergreifender kaum gefilmt werden kann. Ergreifend auch wie früher die Abenteuer-Mehrteiler „Die Schatzinsel“ oder „Der „Seewolf“ im Advents- und Weihnachtsprogramm.

Dekoriert wird die Handlung mit Frauenfiguren

Womit wir beim zweiten Mehrteiler dieser Tage wären, der das Megathema des Massenentertainments zum Inhalt hat. Zumindest offiziell. Oberflächlich ist „Gotthard“ ein ZDF-Zweiteiler um Liebe, Freundschaft, Gefühl und Menschlichkeit, wie es „Winnetou“ fast fürsorglich beschreibt. Das Historienevent verseift den legendären Schweizer Tunnelbau so intensiv mit einer saftigen Lovestory, bis es frauenaffin genug für gute Quoten wird.

Pünktlich zur Eröffnung des neuen Tunnels im gleichen Massiv erzählt die Koproduktion vierer Alpenanrainer die erdachte Geschichte eines jungen Ingenieurs, der 1873 am Megaprojekt des realen Louis Favre mitbaut. Wie üblich in derlei Melodramen, kommt es jedoch nicht nur zum Klassenkampf entrechteter Proletarier (gut) gegen profitgeile Unternehmer (böse), sondern zur Dreiecksbeziehung der schönen Anna (Miriam Stein) mit dem schlauen Max (Maxim Mehmet) und dem stattlichen Tommaso (Pasquale Aleardi), die dummerweise dick befreundet sind.

Das ist bis ins letzte Detail zeitgenössisch ausgestattet, angemessen spannend in Szene gesetzt und gelegentlich sogar sozialkritisch. Urs Egger inszeniert das Beziehungsgeflecht allerdings als geordnete Abfolge größtmöglicher Eruptionen von extremer Hingabe bis totales Zerwürfnis und zurück.

Dekoriert wird die Handlung mit Frauenfiguren, die sich unzeitgemäß selbstbewusst durch die Männergesellschaft jener Tage beißen. Die berechenbare Inhaltsarithmetik macht den ZDF-Beitrag endgültig zur ärgerlichen Ausnahme im Festprogramm.

Besonders, wenn man es mit dem dritten Mehrteiler vergleicht. „Mörderisches Tal – Pregau“ mag zwar unfreiwillig komisch betitelt sein und mit 360 Minuten auch erschöpfend lang. Verteilt auf vier Filme vom 25. bis zum 28. Dezember im Ersten, ist das epische Familiendrama trotzdem ein sensationell gutes weil skurriles, aber nie absurdes Stück Fernsehunterhaltung, wie es in deutscher Sprache wohl nur im Österreich von Manfred Deix oder Josef Hader entstehen kann.

Nach dem Familienfest seiner stinkreichen Frau erwischt der steirische Dorfpolizist Hannes (Maximilian Brückner) deren blutjunge Nichte betrunken am Steuer und lässt sich sein Schweigen mit einem Blowjob bezahlen, der eine verhängnisvolle Kettenreaktion in Gang setzt. Beim anschließenden Unfall stirbt das Mädchen, ihr Beifahrer überlebt und stellt ebenso wie Armin Rohde als Zeuge eine Gefahr fürs Spießerleben des unscheinbaren Inspektors dar.

Das Ganze eskaliert. In den dreckigen Ecken des Heimatfilms alter Prägung glänzt besonders die überwältigende Ursula Strauss. Sie wird aber von ihrem Film-Mann noch in den Schatten gestellt: Maximilian Brückner.

Wie seine Hauptfigur von Desaster zu Desaster schlingert, ohne die Abwärtsspirale je zu überdrehen, wie er mit disparatem Trotz ums Überleben kämpft und dabei Stück für Stück ein bisschen stirbt, wie dieser Zerfallsprozess fast körperlich spürbar wird – das ist eine der reifsten Einzelleistungen des ausgehenden TV-Jahres. Reich bebildert vom Kölner Kameragenie Peter Nix, badet Regisseur Nils Willbrandt zwar mitunter arg tief im Pathos sterbender Schwäne und inbrünstiger Mimiken; er versucht damit aber weniger Eindruck zu schinden, als vielmehr den Trübsinn ringsum sinnvoll abzufedern.

Mit menschlicher Tristesse haben alle drei Weihnachtsmehrteiler zu tun: „Pregau“ mit ländlicher Sittenverrohung hinterm Schaufenster urbaner Freizeitrefugien; „Winnetou“ mit den Abgründen europäischer Eindringlinge, die den Lebensraum der Ureinwohner zugrunde richten; „Gotthard“ im manchesterkapitalistischen Ambiente.

Umso erstaunlicher ist es, wie unterschiedlich die beiden letztgenannten Produktionen ihr Zeitalter behandeln, das sich nur um wenige Jahre unterscheidet. RTL benutzt seine 76 Schauspieler unter 4000 Komparsen am bewährten „Winnetou“-Drehort Kroatien vorwiegend nicht als Platzhalter gewünschter Effekte, sondern gewährt ihnen ein entwicklungsfähiges Eigenleben, das selbst den Gegenrassismus der unterdrückten Indianer zulässt. Dem öffentlich-rechtlichen Kanal ZDF hingegen sind sämtliche Figuren bei „Gotthard“ offenbar herzlich egal.

Was das mit Liebe, Freundschaft, Gefühl und Menschlichkeit zu tun hat? Nichts! Was Winnetou damit zu tun hat? Auch dank der fabelhaft interpretierten Originalmusik: alles! Im mörderischen Tal erweitert um Aberwitz und Fatalismus. Die ganze Vielfalt des Fernsehens in zwölf Tagen.

„Gotthard“, ZDF, 19./21. Dezember, um 20 Uhr 15; „Winnetou“, RTL, 25./27./29.12., 20 Uhr 15; „Mörderisches Tal – Pregau“, ARD, 25. bis 28.12., 21 Uhr 45

Jan Freitag

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