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Auf der Suche nach dem wahren Täter: Wolf Harms (Uwe Kockisch) und Uta Carstens (Suzanne von Borsody).

© ZDF und Christine Schroeder

ZDF-Film "So weit das Meer": Engel der Vergangenheit

Der ZDF-Film „So weit das Meer“ mit Uwe Kockisch und Suzanne von Borsody operiert in den Schwarzen Löchern der Gerechtigkeit.

Wenn eine von Uwe Kockisch gespielte Figur nach 15 Jahren Haft aus dem Gefängnis gespuckt wird, dann weiß der Zuschauer: Es ist nicht vorbei. Ob als venezianischer Commissario Brunetti oder als Stasi-Offizier in der Serie „Weissensee“, dem Darsteller hängt unnachahmlich der Nimbus an, dass er ein Engel der Vergangenheit ist, gegerbt von den Wunden ungesühnter Schuld, Michael Kohlhaas’ entfernter Verwandter.

Irgendwo an der Ostsee spielt der Film. Kockisch stellt in diesem etwas unterkomplex als „Küstenkrimi“ bezeichneten Film (Buch: Paul J. Milbers & Sabine Radebold, Regie: Axel Barth) den Kapitän Wolf Harms dar. Der Rollenvorname Wolf passt zum Isegrim-Image.

Wolf Harms ist bestraft worden, weil er als Vater den mutmaßlichen Vergewaltiger seiner damals 16-jährigen Tochter Jette Harms (Katharina Schüttler) erschossen hat. Den getöteten Verdächtigen hatte die Polizei allerdings nicht überführen können. Aus der Vergewaltigung ist der Sohn Nils (Junis Marlon) entstanden, den Jette behalten hatte und der in der späteren Ehe mit Peer (Tom Radisch) aufwächst.

Dieser Sohn weiß nichts von seiner gewaltsamen Zeugung, Wolfs Ehefrau Agnes (sehr präzise in der Darstellung zwischen Trennung von ihrem Mann und der Zuwendung zu einem neuen Partner: Imogen Kogge) möchte vergessen, auch Tochter Jette sucht Auswege aus dem Trauma – sie hatte während der Gewalttat das Bewusstsein verloren.

Bewunderung für die Selbstjustiz

Der Ort, in den Harms zurückkommt, hat die Tat weitgehend vergessen, obwohl es dort noch immer Menschen gibt, die Bewunderung für das Selbstjustizverbrechen empfinden. Die Kamera (Simon Schmejkal) weidet sich an pathetischen Bildern, die den eigenbrötlerischen Rückkehrer vor eine Kulisse aus Meer und Wellen stellen. Der führt etwas im Schilde, vermittelt das, der ist noch immer ein innerlich Gefangener. Mit dem gelingt kein Vergessen. Einsam wie Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“, bloß ein falscher Heiliger, dem Vergeltung mehr gilt als Erhaltung des Lebens. Was Kockischs Darstellung so gefährlich macht, ist zudem die schüchtern wirkende Kreide, hinter der sich dieser Wolf versteckt.

Vor Gericht, heißt es, sei der Mensch in puncto Willkür des Urteilens auf hoher See. Vor einem Autisten der Rache, zu dem sich Wolf entwickelt hat, gilt Ähnliches: Je mehr er aufklärt, je mehr er Ermittlungsschlampereien entdeckt, desto manischer, unberechenbarer und misstrauischer wird er. Die Wahrheit ist dann nicht so klar, erlösend und erhaben, wie es die Kamerabilder suggerieren.

Zeugen haben Teile des Tatgeschehens verschwiegen, die Polizeistation des Ortes gerät in Brand, Akten werden vernichtet. Ein Gentest beweist, dass der von Harms erschossene angebliche Vergewaltiger nicht der Täter sein kann. Läuft der Schuldige von damals noch frei herum? Die Mutter des Harms-Opfers (Suzanne von Borsody) hat nicht nur ihren Sohn verloren, ihre leukämiekranke Tochter kann auch nicht durch eine Rückenmarkspende des vermeintlichen Vergewaltigungssohns Nils gerettet werden. Den verbinden keine Gene mit seiner Tante.

Da wir im ZDF sind und nicht bei Kleist, gibt es kein Tabula-Rasa-Ende der Tragödie. Eine Wahrheit kommt ans Licht, nämlich die, wer die Vergewaltigung verübt hat. Dieser wahre Täter aber kommt davon. Gerechtigkeit ist ein schönes Wort vor wogendem Meer, das Leben aber auch eine wichtige Sache. Wird das Wolf Harms, dieser finstere Ritter der Gerechtigkeit, lernen? Der Käpt’n steigt in sein selbst repariertes Boot, nimmt den lieb gewonnenen Enkel mit. Und der Zuschauer hat einen lohnenden Abend verbracht. Nikolaus von Festenberg

„So weit das Meer“, ZDF, Montag, 20 Uhr 15

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