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Jürgen Vogel ist Blochin, der gleichnamige, vornamenlose Held im neuen ZDF-Krimi.

© dpa

ZDF-Krimi "Blochin": Wenn das Böse dauernd klingelt

„Blochin“ heißt die große Krimianstrengung des ZDF: fünf Teile Starbesetzung mit Jürgen Vogel und Thomas Heinze.

Der wahre Star dieses Marathons durch die Welt des Bösen ist klein, penetrant und rücksichtslos gegenüber den Gefühlen. Immer hat er was zu quäken: das Handy. Es hetzt den Helden Blochin (Jürgen Vogel). Es steht nicht still, wenn sich Frau und Kind nach Zuspruch sehnen, wenn der Kumpel in Not ist. Matthias Glasner, 50, Autor und Regisseur von „Blochin“, dieses dem Handy hinterherjagenden Berlinkrimi-Marathons, ist ein Pionier auf dem Gebiet der Dekonstruktion vom herkömmlichen Geschichtenerzählen im deutschen Fernsehen. Das von ihm mitentwickelte Serienformat „KDD – Kriminaldauerdienst“ (2007) war ein Zuschauerflop, aber eine in Fernsehdeutschland olympische TV-Heldentat: In einer Berliner Polizeistation brandete der ganze Wahnsinn der verrückten Welt an. Gestörte, die sich selbst als vermisst meldeten, Betrüger, die den Mord an Kindern anzeigten, die nie gelebt hatten, aber als Karteileichen für Kindergeldempfang sorgten. Es waren viele Splitter, nicht auserzählte Handlungsstränge, ein grandioses Problempanorama.

Mutigerweise lässt das ZDF den Fernsehgeschichten-Erneuerer Glasner trotz des „KDD“-Misserfolgs noch einmal in epischer Breite zu Wort kommen. Die Kalkulation der Verantwortlichen: Inzwischen sind „Breaking Bad“ und „Homeland“ in der deutschen Fernsehseele vorangekommen. Besonders junge Menschen lassen sich gerne auf längere Abenteuerfahrten ein und besuchen Handlungsinseln, die nicht auf dem direkten Weg zum Ziel liegen. Vieles passiert, vom Handy dirigiert, zur selben Zeit. Glasner, Autor und Regisseur von „Blochin“, ist stolz auf diese „horizontale“ Erzählweise – ganz Berlin ist Döblins „Alexanderplatz“.

Das bedeutet: dunkler Beginn, offenes Finale, kein Reimen von Anfang mit dem Ende. Alles fließt. „Liquid characters“ ist Glasners Lieblingsdefinition für die Rollen der Schauspieler. Nicht der Darsteller bestimmt durch seine Aura und seinen Charakter das Geschehen, die Situation macht sich den Mimen untertan. Die Grenze zwischen Gut und Böse ist brüchig, die Toten sind so lebendig, dass es den Lebenden wehtut, aller freie Wille ist eine Fiktion.

Schlicht und einfach Blochin: Der Film verweigert dem Helden den Vornamen

Blochin ist ein Kaspar Hauser. Der geheimnisvolle Knabe aus der Vergangenheit hatte wenigstens noch einen Vornamen. Der Film verweigert diesen seinem Helden. Da brettert ein leerer Block auf seinem Motorrad durch Berlin, den das Schicksal nach Belieben vollschreibt. Vor jeder Folge ist zu sehen, wie Blochin als Knabe niedergeschossen wird, im Leichenschauhaus aufwacht und offenbar das Wissen über seine Herkunft komplett verloren hat.

Er war im Waisenhaus, aber was war mit seinen Eltern? Wer wollte ihn umlegen? Was trieb ihn in die Berliner Drogenszene? Er hat dort, wie er zugibt, einen Polizisten erstochen, den ein Kumpel festhielt. Warum entging er der Bestrafung? Warum gibt es kompromittierende Fotos von der Tat? Warum wechselte er die Seiten und wurde Mitglied erst der Drogenkommission und dann bei der Mordkommission der Polizei?

Unter blochin.zdf.de sind im Internet von Matthias Glasner produzierte Videos zu sehen, die erläutern sollen, was der gesendete Fernseh-Fünfteiler nicht ausführlich erklären will. Die Zuschauer können mitreden. Eine Netz-Beilage zur Hauptmahlzeit im Fernsehen. Und man könnte dabei ins Sinnieren kommen: Liegt hier eine mediale Bereicherung vor oder doch eine Bankrotterklärung der Fernsehdramaturgie?

Die weiteren Rollen in „Blochin“ sind weniger geeignet für das Ausmalen durch uns Fernsehkinder. Thomas Heinze spielt Dominik, den „Bad Lieutenant“ und Dienststellenleiter, der Blochin als Schwager beschäftigt, weil der mit seiner MS-kranken Schwester Inka (Maja Schöne) zusammenlebt und beide eine gemeinsame Tochter haben. Dominik war bei der US-Army und wurde wie seine Schwester von der Mutter, einer amerikanischen Soldatin, verlassen.

Brüderchen und Schwesterchen sind einen Lebensbund eingegangen, ihr auf dem Motorrad herumbretterndes Reh (klar, Grimm geht anders) heißt Blochin, der unbehausbare Hauser mit den ängstlich aufgerissenen Augen und dem Dauersatz: „Ich muss noch mal weg.“ Das große politische Skandalon, es darf in diesem Berlin-Marathon natürlich nicht fehlen, ist von überschaubarer Brisanz. Die Drogensucht einer Politikertochter verhindert, dass Dominik und Blochin im Mordfall eines Rauschgiftkuriers ermitteln dürfen. Bald stellt sich zusätzlich heraus, dass Drogengeschäfte der Bundeswehr in Afghanistan stattgefunden haben. Blochins vorgesetzter Schwager erschießt auf gemeinsamer Verbrecherjagd ohne Not einen Fliehenden. Sie werden beobachtet. Nun sind beide Schwiegerbrüder Blutsbrüder im Bösen: Jeder hat getötet, jeder ist erpressbar.

Ach, und da ist sie wieder, Jördis Triebel, die wundersame Polizeischlampe vom „KDD“. Sie spielt jetzt, erschlankt, auf Pumps gepfählt, die elegante Staatssekretärin Katrin, die vom Berliner Innensenator in den Beamtenapparat der Bundesregierung wechselt. Warum? Ja, das gibt es auch in Glasners Welt: der Aufklärung wegen. Als Geliebte Dominiks hat sie ihren Karrieretrieb zurückgestellt und dient der Wahrheit – und der Liebe: Wie Heinze und Triebel ihre Beziehung spielen, diese lässige Mischung aus Sex, Zuneigung und Kühle, stellt einen Erholungsort im Getriebe dar.

Ansonsten: Alles rennet, rettet, flüchtet. Zum Drogenkrieg kommen Gemeinheiten der falschen Blochin-Kameraden unter den Polizeiermittlern. Ein Kind wird verschleppt, ein anderes Mordopfer. Ein vorzeitlich wirkendes hippiehaftes Gesundheitscamp wird aufgefahren, die Leiterin (Corinna Harfouch) verströmt weise Lehren der Alternativmedizin, der kranken Blochin-Frau gibt das Lebensmut, erbaulich, aber wenig glaubhaft. Und immer jagt das Handy-Murmeltier Blochin irgendeinem Ziel hinterher. Er kann einen wahrhaft dauern. Er wirkt wie ein armer Tropf.

Dass sein Darsteller Jürgen Vogel gefährlich und bedrohlich auftreten kann, vergisst der Zuschauer. Am Ende ist es Mitleid, das diese Geschichte weckt. Die Brillanz, die „KDD“ zum messerscharfen Fegefeuer machte, erreicht Glasner mangels wuchtiger Kurzgeschichten nicht. Aber Mitleid ist menschlich nicht das schlechteste Gefühl. Und hoffentlich das quotenmäßig erfolgreichere.

„Blochin“, Freitag, ZDF, 20 Uhr 15; Folgen zwei bis vier am Sonnabend, 20 Uhr 15, Folge fünf am Sonntag, 22 Uhr.

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