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Warum hat der Mörder seinen Todesschuss ohne Kugel angesetzt? Frau von Rath (Petra Morzé, Zweite von l.) veranstaltet eine Séance, um die Anwesenden mit ihren Toten zu verbinden und Klarheit zu gewinnen. Foto: ZDF

© ZDF und Petro Domenigg

ZDF-Krimi-Reihe: „Vienna Blood" oder: Die Raumdeutung

Die neue ZDF-Reihe „Vienna Blood“ liegt ganz im Trend des Psychoanalytiker-Krimis. Und überrascht mit ungewöhnlichen Tathergängen.

Sigmund Freud hat einen Lauf und Wien gleich mit. Kaum wurde dem Psychoanalytiker und der k.u.k-Imperiale mit der Netflix-Serie „Freud“ gehuldigt, da macht sich das ZDF daran, mit „Vienna Blood“ den Freudianer Max Liebermann (Matthew Beard) ins Zentrum eines Dreiteilers am Sonntagabend zu setzen. Wien 1906, das ist eine Stadt im Aufbruch, geprägt von Kunst, Kultur, philosophischen Zirkeln, Wissenschaft, Entdeckerfreude, Zukunft eben. Aber zugleich eine Metropole, wo der Antisemitismus keimt, wo eine austriakisch selbstbezogene Elite sich abschottet, wo der Fremde wenig gilt, selbst wenn er die örtliche Titelgeilheit bedienen kann.

Dr. Max Liebermann, aus England stammender Jude, ist angehender Arzt, Schüler von Sigmund Freud und besessen von der Idee, die „Psychopathie des kriminellen Geistes“ zu beobachten, zu lesen. Der Wahn ist nicht sein Freund, das nicht, aber die erste Begierde seiner Neugier. Selbst wer Max Liebermann besser kennt, wird bestätigen, dass er arrogant bis zur Unerträglichkeit sein kann.

Das bekommt Inspektor Oskar Rheinhardt (Juergen Maurer) schnell zu spüren. Der Polizist slowakischer Herkunft steht vor einem so bizarren wie schier unlösbaren Mordfall. Das Medium Charlotte Löwenstein (Alma Hasun) wurde nach seiner letzten Séance offenbar erschossen. Aber es findet sich kein Revolver, kein Austrittsloch im Rücken, keine Kugel, noch dazu war die Wohnungstür von innen verschlossen. Was passierte in dem Raum?

Für die Lösung so vieler Rätsel braucht Reinhardt den unkonventionellen Liebermann,umgekehrt der junge „Sherlock“ den handfesten Fahnder braucht. Sie finden allmählich zusammen, in der aufregenden Schlussrunde werden sie den Täter gemeinsam im Riesenrad im Prater stellen.

Wien als dunkler, glanzvoll morbider Schauplatz spielt seine Rolle, übrigens in einigen Szenen mit Anleihen aus Orson Welles’ „Drittem Mann“. Die aktuelle Produktion von BBC, ORF und ZDF hält sehr auf Opulenz bei Szenenbild (Bertram Reiter) und Kostüm (Thomas Oláh). („Vienna Blood: Die letzte Séance“, ZDF, Sonntag, 22 Uhr 15; weitere Folgen am 22. und 29. November, jeweils um 22 Uhr 15). Sogar eine spektakuläre Verfolgungsjagd über die Dächer der Stadt fehlt nicht.

Als Grundlage für diese wie weitere spielfilmlange Folgen dienen die „Liebermann Papers“, die Kriminalromane von Frank Tallis. Steve Thompson hat sie fürs Fernsehen adaptiert, Robert Dornhelm die erste Folge inszeniert. Okay, ganz wird für das ahnungslose, aber zum Staunen bereite Publikum nicht auf Psychoanalytiker-Plattitüden verzichtet.

Elektroschocktherapie für hysterische Frauen, mächtige Männer

Warum der Mörder seinen Todesschuss ohne Kugel angesetzt hat, bleibt unerklärt, die Frauenfiguren sind arg reduziert auf Attraktivität, Hysterie, in schöne traurige oder strahlende Augen. Selbst Clara Weiss (Luise von Finckh) und Amelia Lydgate (Jessica De Gouw), zwischen denen Liebermann schwankt, sind im Wesentlichen nur blonde und schwarzhaarige Frauentypen.

Und nur Krimi will „Vienna Blood“ nicht sein, dazu finden sich ein hyperrealer Look, überraschende Kameraperspektiven und klimperverdächtige Musik zusammen. Alles eingewoben und verwoben mit der Zeitgeschichte im Wiener Jahr 1906, vielleicht der wichtigste Aspekt in dieser multiperspektivischen Produktion.

„Vienna Blood“ ist nicht plotzentriert, entsprechend groß ist die Zahl der ausgerollten Nebenhandlungen: die Elektroschocktherapie für hysterische Frauen, mächtige Männer, die sich für unangreifbar halten, Juden, die um Wahrnehmung in der Gesellschaft eifern, Nationalismus – diese Melange hat es in sich und ist so sinnfällig verknüpft, dass die 94 Minuten niemals disparat werden. Was natürlich an der stringenten, souverän zwischen Psychokrimi und Gesellschaftsstudie changierenden Regie von Robert Dornhelm liegt – und an der exquisiten Besetzung.

Die englische Liebermann-Familie neben Beard ist mit Engländern besetzt, die Wiener werden außer von Maurer unter anderem von den einheimischen Größen Roland Koch, Ursula Strauss und Maria Bill gespielt. Das verstärkt den authentischen Eindruck und Ausdruck, personifiziert die Spaltung in der Gesellschaft.

Matthew Beard spielt Dr. Max Liebermann und Juergen Maurer den Oskar Rheinhardt. Beide sind Außenseiter, hier der jüdische Nichtschul-Mediziner und dort der slowakische, um Aufklärung ringende Polizist mit der Neigung, Kaffeebohnen zu knacken, beide unbeirrt in der individuellen wie gemeinsamen Suche nach der Falllösung.

Das ist figurenkonzentrierte Schauspielkunst auf erklecklichem Niveau. Beard und Maurer ziehen Aufmerksamkeit und Akklamation auf sich. Zusammen sind ihre Figuren Liebermann und Rheinhardt - „Vienna Blood“.

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