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Teilnehmer sitzen an ihren Computern Festival "Revision" im E-Werk in Saarbrücken. Früher füllten statt Technikbegeisterten die Computer selbst ganze Räume.

© dpa

Zeitgeschichte: WDR widmet dem Computer eine Nacht

Archivschätze aus fast sechs Jahrzehnten erzählen von Menschen und Schaltkreisen: Der WDR präsentiert eine Nacht lang die Geschichte des Computers.

Rudolf Rohlinger und der neue Helfer im ARD-Wahlstudio fremdeln noch etwas. Es ist der 19. September 1965, und erstmals spuckt ein Computer schon am Abend der Bundestagswahl Hochrechnungen aus. Moderator Rohlinger wirkt trotz dieser Revolution nicht sehr euphorisch, aber mit der Zeit wird die Stimmung lockerer. Das dauert allerdings: Als das mit Lochkarten gefütterte Computer-Ungetüm die Hochrechnung nach der Auszählung von zwölf der 248 Wahlkreise ausgibt, sitzt Rohlinger bereits mit geöffnetem Kragenknopf, gelockerter Krawatte, ohne Jackett, aber mit brennender Zigarette in der Hand vor der Kamera.

Mit Archivschätzen aus nahezu sechs Jahrzehnten wartet die vierstündige „Computer-Nacht“ des WDR auf. Das Staunen über die rasante Entwicklung der Technologie von Monsterschränken mit Mini-Kapazität hin zu Mini-Geräten mit Monsterspeichern ist das eine – die Zeitreise beginnt natürlich bei Z wie Z3, dem ersten Rechner überhaupt. Erbauer Konrad Zuse hat mit einem Interview aus dem Jahr 1995 das erste Wort. Doch in der Rückschau geht es vor allem um Alltags- und Zeitgeschichte, um „das Verhältnis zwischen Mensch und Computer“, sagt Mike Schaefer, einer der beiden Autoren. Überraschend viel Material hätten er und sein Kollege Vincenzo Tino bereits in den 1950er und 1960er Jahren gefunden, mehr als die Hälfte der „Computer-Nacht“ stamme aus dieser Zeit.

Die Computer-Nacht ist auch ein Spiegel der Fernsehgeschichte

Die Autoren unterteilen die Zeitreise in acht Kapitel, es geht unter anderem um „Sensationen und Revolutionen im Alltag“ wie die europaweit erste computergesteuerte Ampel 1965 in Berlin, den Einzug des Computers im Büro, die Entstehungsgeschichte des Internet, die Sorge vor dem Jahr-2000-Crash und zuletzt um Künstliche Intelligenz. Das zweite Kapitel behandelt das Thema „Liebe per Computer“, das offenbar nicht erst die Datingportale im Internetzeitalter entdeckt haben. Eine WDR-Reportage aus dem Jahr 1968 berichtete von einer Aktion der Zeitschrift „Twen“, bei der tausenden Männern und Frauen nach Beantwortung von 73 Fragen per Computer mögliche Partner/innen zugeteilt wurden. Das Ganze wurde wissenschaftlich begleitet, sechs Ehen wurden angeblich gestiftet, aber der Reporter präsentierte auch die bedauernswerten Drei, für die der Computer gar keinen Partnerschaftsvorschlag unterbreitete. „Mir wird vorgeworfen, zu kritisch zu sein“, sagt eine Dame zerknirscht.

So ist die „Computer-Nacht“ auch ein Spiegel der Fernsehgeschichte, inklusive des legendären WDR-„Computerclubs“ (1983 bis 2003), in dem jedem Elektronengehirn unbarmherzig in die Schaltkreise geblickt wurde. Wolfgang Back, einer der Moderatoren, zählt in der „Computer-Nacht“ zu den Experten, die per Videotelefonat zwischen den Archivausschnitten Statements abgeben. Er durchlebe im Moment „so eine Art digitaler Askese“, sagt Back, der am 9. April 70 Jahre alt wird. Er habe die Möglichkeiten der mobilen Geräte euphorisch begrüßt, aber „es kann einem auch auf den Keks gehen“.

Ärgerlich ist allerdings, dass die „Computer-Nacht“ nicht in der Mediathek abrufbar sein wird. Der Grund: Für alle Filme vor 1995 müssten die Urheberrechte für eine Verbreitung im Internet erst noch erworben werden, sagt Schaefer. Wer sich nicht gerade wie ein Computer-Nerd ohnehin die Nacht vom 5. auf den 6. April um die Ohren schlägt, muss sich das Programm also aufnehmen.

„Die WDR Computer-Nacht“, WDR, 5. April, 0 Uhr

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