zum Hauptinhalt
Friedrich Knilli hat die Medienwissenschaft in Deutschland mit begründet. Jetzt ist er mit 91 Jahren in Berlin gestorben.

© TU Berlin/Elke Weiß

Zum Tod von Friedrich Knilli: Ein Grenzgänger

Friedrich Knilli gehört zu den Begründern der Medienwissenschaft in Deutschland. Jetzt ist er mit 91 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Mitten im Kalten Krieg leistete sich die Technische Universität Berlin in wandlungsdynamischen Zeiten ein geisteswissenschaftliches Zentrum, das der „Sprache im technischen Zeitalter“ gewidmet war und West-Berlin zum Epizentrum der wechselseitigen Erhellungen von Literatur, Technik und Medien avancieren ließ. Der junge Friedrich Knilli wurde sein Erfinder und Entwickler der Medienwissenschaft aus dem Geist der Literaturwissenschaft. Nach Maschinenbaustudium und Promotion in der Psychologie hatte sich Knilli als Assistent Walter Höllerers 1972 in der Allgemeinen Literaturwissenschaft habilitiert und bekam noch im selben Jahr den Lehrstuhl in dieser Disziplin.

Als wäre dieser akademisch wahrlich transdisziplinäre Karriereweg nicht schon außergewöhnlich genug, hatte der 1930 in der Steiermark unter dem Namen Friedrich Venier Geborene bereits eine Medienlaufbahn als radikaler Erneuerer des Hörspiels hinter sich, das er zum Schall- oder zeitgemäßer ausgedrückt, zum Sound-Spiel hin transformierte. Nur folgerichtig erwuchsen aus seiner Auseinandersetzung mit dem traditionellen „Wortspiel“ die „Medien als Wissenschaft“. Nebenbei hatte der Medienpraktiker Knilli 1971 den Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch des dokumentarischen Fernsehspiels zum „Deutschen Arbeitertheater 1867-1918“ gewonnen.

Den Massenmedien den universitären Raum geöffnet

Knilli öffnete in einer kreativen wissenschaftlichen Radikalität den universitären Raum als erster den Massenmedien des 20. Jahrhunderts – so wie man es sich für das digitale Zeitalter des 21. Jahrhunderts gewünscht hätte. Knilli lebte und praktizierte, was er in seinem Studiengang Diplom-Medienberatung lehrte: Wie wenige nach ihm wusste Knilli Wissenschaft mit einer Werbung, Fernsehen, Rundfunk, Kolportage, Rezeption einschließenden (Massen-)Medienpraxis und einem Leben in Kultur und zeitgeschichtlichen Zusammenhängen zu verbinden. Damit machte er im besten Sinn Schule.

[Klaus Siebenhaar, der Autor des Nachrufs, ist Geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kultur und Medienwirtschaft in Berlin]

Die eigene Familiengeschichte im nationalsozialistischen Österreich der späten dreißiger Jahre, sein Identitätswechsel zum Familiennamen des Onkels Josef Knilli haben seine Forschungsschwerpunkte zum Holocaust, zu „Juden und Medien“ lebenslang bestimmt. Auch da blieb er bis ins hohe Alter ein geerdeter Avantgardist, ein humaner Provokateur, ein ewig neugieriges und engagiertes Multitalent, ein notorischer Grenzgänger und Feldforscher im enger gewordenen, formatierten Kultur- und Wissenschaftsbetrieb.

Am 1. Februar ist Friedrich Knilli im Alter von 91 Jahren in Berlin gestorben. Man wünschte den Universitäten und vor allem den Studenten von heute viele Friedrich Knillis.

Klaus Siebenhaar

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false