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Dickes Ding. Der Kauribaum „Tane Mahuta“ ist mehr als 50 Meter hoch und Jahrtausende alt.

© imago/imagebroker

Neuseeland: Herr des Waldes

Tane Mahuta ist der mächtigste Kauribaum Neuseelands. Viele Maori-Legenden ranken sich um ihn. Jetzt bedroht ein Pilz nicht nur sein Überleben.

Omapere auf der Nordinsel Neuseelands. Die riesigen Sanddünen des Dörfchens liegen hinter uns, der State Highway 12 schlängelt sich durch die hügelige Einöde. Ruhiges Land. Nach knapp 20 Kilometern erreichen wir einen der ältesten Wälder der Erde: Waipoua Forest, „Regenwald“ auf Maori. Er ist die Heimat seltener Vögel und turmhoher Waldriesen, den Kauribäumen. Unter ihnen ist „Tane Mahuta“ – mit 51 Metern der höchste Kauribaum von allen.

Ein magischer Ort. Tagsüber strömen Touristen hierher, nachts dagegen ist man fast alleine mit dem „Gott des Waldes“, der kerzengerade in den Himmel ragt und vermutlich älter als 2000 Jahre ist. Sein Stamm ist so gewaltig dick, dass mindestens elf Erwachsene nötig sind, um ihn zu umarmen. Und welcher Baum trägt schon einen Vornamen?

Wie alle Kauribäume hat auch Tane Mahuta im Lauf der Jahrhunderte die unteren Zweige verloren. Daher bietet sein Unterholz reichlich Lebensraum für kleinere Bäume, Büsche, Farne oder Moose.

Eine Dämmerungswanderung mit „Footprints Waipoua“ ist einzigartig: Einheimische Maori-Guides begleiten die Besucher und berichten von Sagen aus der Vergangenheit. Während es auf dem Wanderweg vorbei an sattgrünen Farnen und uralten Kauribäumen geht, erfährt man, dass die Maori in präkolonialer Zeit ihre Kanus aus Kauristämmen bauten.

Eine Verbindung zur spirituellen Welt

Unser Reiseführer heute ist Koro Carman. Es ist kühl, das Zwielicht lässt die Riesen nur schemenhaft erkennen. Plötzlich bleibt der Maori stehen und beginnt zu singen. Seine tiefe Stimme klingt melancholisch, als er um Vergebung bittet, die Ruhe des Waldes zu stören.

Es ist ein Gefühl der Zeitlosigkeit, das jeden ergreift, der hier ist. Was Menschen vor 100 Jahren sahen, erblicken heutige Augen fast unverändert. Es ist ein Ort, an dem all der Wandel, den die Menschheit über den Planeten Erde gebracht hat, scheinbar spurlos vorbeigegangen ist. Zumal ein Kauribaum extrem langsam wächst. So dauert es zwei Jahre, bis sich ein weiblicher Zapfen bildet. Wird dieser bestäubt, so benötigt der Samen 20 Monate bis zur Reife.

Weibliche Zapfen eines Kauribaums sind rundlich mit vielen ovalen Zapfenschuppen und brauchen von der Bestäubung bis zur Reife zwei Jahre.
Weibliche Zapfen eines Kauribaums sind rundlich mit vielen ovalen Zapfenschuppen und brauchen von der Bestäubung bis zur Reife zwei Jahre.

© Wikipedia

Für die Maori stellen die Kauribäume eine Verbindung zur spirituellen Welt ihrer Vorfahren her. Die Entstehung der Welt basiert auf einer überlieferten Sage. Die geht so: Ranginui, der Himmelsvater, und Papatuanuku, die Erdmutter, verharrten in einer innigen Umarmung. Ihre Kinder mussten die Enge der Verschmelzung erdulden. Das stärkste Kind, Tane Mahuta, befreite sich aus dieser Dunkelheit, indem er sich gegen die Schultern seiner Mutter stemmte und sich ans Licht schob. Auf diese Weise trennte er seine Eltern, Licht konnte zwischen sie fallen. Es drang zur Erde und brachte alles Leben hervor.

Auch der Tod, das glauben die Maori, steht in unmittelbaren Zusammenhang mit den Bäumen. Wenn ein Baum fällt, stirbt ein Mensch, heißt es der Überlieferung nach.

Winzige Krankheitserreger verursachen ein Massensterben

Wir gehen weiter, der Wanderweg entlang des Waipoua Forest führt zumeist auf Holzbohlen. Diese sind nicht nur praktisch für Touristen, die nicht mehr gut zu Fuß sind, sondern überlebenswichtig für den Fortbestand der Kauriwälder. Denn die Bäume sind durch einen winzigen, pilzähnlichen Krankheitserreger bedroht, über den wenig bekannt ist und der als „Kauri Dieback Disease“ bezeichnet wird. Manchmal dauert es Jahre, bis man erkennen kann, dass ein Baum erkrankt ist. Dann ist es häufig zu spät. Die Krankheit macht aus den gewaltigen Bäumen kahle, verhungerte Gerippe und lässt die direkt unter der Oberfläche liegenden Wurzeln verfaulen. Sie sind der empfindlichste Schwachpunkt der Baumriesen. Über die Wurzeln kann der gefürchtete Pilz aufgenommen werden. Die Sporen übertragen sich leicht durch Wanderschuhe, Fahrräder, Pferdehufe und Kleintiere. Zum Schutz haben die Ranger im Waipoua Forest Reinigungsstationen mit Bürsten und Desinfektionsmitteln eingerichtet, die jeder benutzen muss, der in den Wald will.

Vor Betreten des Waldes müssen sich Touristen in diesem Häuschen gründlich reinigen.
Vor Betreten des Waldes müssen sich Touristen in diesem Häuschen gründlich reinigen.

© Michael Marek

Der Zustand der Riesen hat sich dramatisch verschlimmert. Mindestens ein Fünftel dieser Nadelbäume, die einzige Spezies der Araukarien in Neuseeland, ist befallen. Innerhalb von fünf Jahren ist die Infektionsrate von acht auf 19 Prozent gestiegen – vor allem dort, wo Menschen auf Wanderwegen durch die Kauriwälder marschieren. In der Gegend um Neuseelands größter Stadt Auckland sind es sogar 60 Prozent. Kürzlich ist dort der erste Park für Besucher bis auf Weiteres geschlossen worden, um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern – eine Maßnahme, die mit der Kommune und dem Maori-Stammesrat abgestimmt wurde, allerdings auf heftige Kritik des örtlichen Tourismusverbandes gestoßen ist. Ein Heilmittel ist bis heute nicht gefunden worden, um das Massensterben aufzuhalten.

Lange waren Holzfäller hinter den Bäumen her

Auch im Waipoua Forest geht die Angst um. Dabei war Tane Mahuta schon groß und mächtig, bevor Captain James Cook 1769 die Nordinsel entdeckte. Der britische Seefahrer und Entdecker ließ damals Teile seines Schiffes mit dem haltbaren und ebenmäßig gewachsenen Holz der Kauribäume ausbessern. Bis heute gehören die ebenmäßigen Kauris zu den besten Holzarten der Welt.

Nach Cook folgten immer mehr Bootsbauer seinem Beispiel. Die Stämme eigneten sich aufgrund ihres enorm geraden Wuchses hervorragend als Mastbäume für die Segelschiffe der englischen Flotte. Und sie wurden wegen der feinen Maserung gern für die Herstellung von Möbeln verwendet. Schiffsladung um Schiffsladung von Kauriholz wurde exportiert.

Doch nicht nur die Holzfäller waren hinter den Bäumen her, sondern auch die „Gum Digger“. Vor der Erfindung synthetischer Alternativen wurden aus dem bernsteinähnlichen Harz der Nadelbäume vor allem Farben, Lacke und Linoleum hergestellt. 93 Prozent der mythischen Bäume fielen der Holzindustrie zum Opfer. Erst 1972 wurde dem Kaurifällen ein Ende bereitet.

Drei Besucher vor einem Kauribaum.
Drei Besucher vor einem Kauribaum.

© Getty Images/iStockphoto

Im Kaurimuseum von Matakohe hat man versucht, diese ganze Kaurilebenswelt zu rekonstruieren. Die Maori nutzten das Kauriharz zum Kochen und Feuermachen, da es sehr leicht brennt. Die Asche diente als Farbpigment für ihre Tätowierungen. Frisches Harz wurde auch als eine Art Kaugummi verwendet. „Gum“ wurde auch verbrannt, um Schädlinge von den Feldern fernzuhalten.

Die Wiege des modernen Neuseelands

Heute stehen die besonders alten Bäume im Waipoua Forest unter Naturschutz. Sie erinnern auch an den britischen Kolonialismus Anfang des 19. Jahrhunderts. Das Schlüsseldatum für die Beziehungen zwischen den Maori und den britischen Invasoren war das Jahr 1840. Am 6. Februar wurde der Vertrag in Waitangi unterzeichnet. Die englische Krone hatte Kapitän William Hobson beauftragt, mit den Maori einen Vertrag auszuhandeln, der sie und ihr Land zwar unter die Souveränität von Königin Victoria stellen sollte, ihnen gleichzeitig aber das Recht auf ihre Ländereien und Ressourcen zugestand.

Im Museum steht auch das größte Boot der Maori: Das Kriegswaka aus Kauriholz kann bis zu 30 Mann beherbergen. Auch Prinz Harry ruderte 2015 anlässlich eines Besuchs mit den Kriegern.

Der kleine Ort Matakohe mit dem lehrreichen Museum an der Bay of Islands gilt als die Wiege des modernen Neuseelands. Neben dem Treaty House liegt ein zum hundertjährigen Vertragsjubiläum errichtetes Versammlungshaus der Maori aus Kauribäumen. Dort haben Künstler aus ganz Neuseeland die Geschichte und Mythen ihrer Stämme in Schnitzereien verewigt.

Vielleicht haben die Maori nicht nur hier etwas bewahrt, was andere verloren haben, sagt uns der Reiseführer Koro Carman zum Abschied: zu wissen, woher man kommt, um sich zu vergewissern, wohin man geht.

Saskia Guntermann, Michael Marek

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