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Einst wurde sie als Befreiung überhöht, heute sieht man sie eher pragmatisch – die Pille. Foto: ullstein bild/Posselt

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50 Jahre: Wechseljahre einer Pille

Heute vor 50 Jahren wurde in den USA die erste Antibabypille zugelassen – mit Folgen für die Libido.

Das ist ein runder Geburtstag heute, der gar nicht so recht zum Muttertag zu passen scheint: Heute wird die Pille 50. Am 9. Mai 1960 hatten die Behörden der USA zum ersten Mal ein Arzneimittel zugelassen, das Empfängnisverhütung zum Einnehmen möglich machte. Sexualität und Mutterschaft lassen sich seitdem so deutlich trennen wie niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit.

Den Nachkriegs-Jahrgängen der „Babyboomer“ folgte denn auch schon bald der legendäre „Pillenknick“. Heute verhüten nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Deutschland 55 Prozent der 20- bis 44-Jährigen mit der Pille, bei den 20- bis 29-Jährigen sind es sogar 72 Prozent. Der Lebensplan der Frauen, die sie einnehmen, ist dabei meist nicht so radikal „kinderfrei“, wie die Bezeichnung Antibabypille es nahelegt. Sichere Verhütung wird eher als Methode betrachtet, um den Wunsch nach Kindern in jungen Jahren aufzuschieben und ihre Anzahl später zu begrenzen. „Die Pille hat den Menschen erstmals die Möglichkeit gebracht, die Fortpflanzung wirklich zu ordnen, ohne auf das Glück der Sexualität zu verzichten“, sagt der Berliner Gynäkologe Horst Lübbert, der seit Jahrzehnten an der Charité über weibliche Hormone forscht. Das Quäntchen Pathos, das in seiner Formulierung mitschwingt, mag Jüngere verwundern, die sich eine Welt ohne sichere Verhütungsmittel kaum mehr vorstellen können. Längst müssen Deutschlehrer bei der Besprechung von Goethes „Faust“ darauf hinweisen, dass es die Pille noch nicht gab, als Gretchen aus Verzweiflung zur Kindsmörderin wurde.

Heute würde sie wahrscheinlich ihrer Mutter von ihrer ersten Liebe berichten, und die würde sie in die Jugend-Sprechstunde der Gynäkologin begleiten. Ein Alterslimit für den Einsatz der hormonellen Verhütungsmittel gibt es kaum mehr. Vom jungen Mädchen, bei dem sich der Monatszyklus einigermaßen eingependelt hat, bis zur reiferen Frau kurz vor den Wechseljahren können alle die Pille verordnet bekommen, die zu Beginn übrigens verheirateten Frauen vorbehalten blieb. Medizinische Voraussetzung ist allerdings, dass man nicht zu Thrombosen neigt, kein genetisch erhöhtes Brustkrebsrisiko trägt und auf das Rauchen verzichtet.

Es gibt inzwischen viele Varianten. „Das Spektrum der hormonellen Kontrazeptiva insgesamt hat sich in letzten Jahrzehnten sehr erweitert“, sagt Lübbert. Alle Pillen enthalten deutlich weniger Östrogene und Gestagene als die „Hormonbomben“ zu Beginn der 60er Jahre. Die Minipille kommt gar allein mit einem Gestagen aus, ist dafür aber häufiger mit Zwischenblutungen verbunden. Andere Präparate werden auch gegen Akne oder Haarausfall verordnet. Pillen, die einen gleichmäßigen Hormonspiegel garantieren, können vor bestimmten Formen von Migräne schützen. Man kann die Pille durchgehend nehmen und dadurch die Monatsblutung verschieben oder ganz ausfallen lassen – auch das eine kleine Revolution. Statt täglich geschluckt zu werden, können die Hormone, die dem Körper gewissermaßen eine Schwangerschaft „vorgaukeln“, auch von einem in den Oberarm implantierten Kunststoffstäbchen, von einem Ring in der Scheide oder von einem Pflaster abgegeben werden. Und dann ist da noch die „Pille danach“ – noch 72 Stunden nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr wirksam.

In der nunmehr 50-jährigen Geschichte des Verhütungsmittels wurde aber auch immer wieder die Frage beleuchtet, ob uns die Pille zugleich anderweitig ärmer machen könnte. In der umstrittenen Enzyklika „Humanae Vitae“ erhob Papst Paul VI. im Jahr 1968 aus der Sicht der katholischen Morallehre Einspruch. Und schon im Jahr 1970, lange bevor der Begriff „Pillenmüdigkeit“ die Runde machte, warnte der Sozialphilosoph Max Horkheimer in einem „Spiegel“-Gespräch: „Die Pille bezahlen wir mit dem Tod der Erotik.“

Eine Studie, die erst vor wenigen Tagen im „Journal of Sexual Medicine“ veröffentlicht wurde, scheint dem Mitautor der „Dialektik der Aufklärung“ recht zu geben. Wissenschaftler der Unis in Heidelberg, Tübingen und Basel haben dafür 1086 Medizinstudentinnen zu Verhütung und Sexualleben befragt. Dabei kam heraus, dass Studentinnen, die mit der Pille verhüten, ihr Liebesleben im Schnitt schlechter bewerten als ihre Mitstudentinnen, die sich auf nicht-hormonelle Verhütung verlassen. „Es ist schon eine Ironie, dass ausgerechnet die Frauen, die Medikamente nehmen, um aller reproduktiven Sorgen enthoben zu sein, nicht darüber informiert werden, welche negativen Folgen für ihre Sexualität daraus entstehen könnten”, heißt es in einem Kommentar der Zeitschriften-Herausgeber. Ein möglicher Grund für die Lust-Einbuße ist der Abfall der männlichen Hormone, der mit der Einnahme der künstlichen Östrogene und Gestagene einhergeht. Dass die Pille die Lustminderung wirklich verursacht, ist mit der neuen Studie allerdings nicht bewiesen. Andere Faktoren könnten das Bild verfälscht haben. So ist der Einsatz von Kondomen eher für kurze oder frische Beziehungen typisch – die ganz unabhängig von der Art der Verhütung als aufregender empfunden werden könnten. In einer festen Beziehung dagegen wird die Pille möglicherweise irgendwann zum Hemmschuh für einen (uneingestandenen) Kinderwunsch – und ist deshalb der Libido nicht förderlich. Wer dagegen auf sichere Verhütung setzt, sieht die Pille womöglich positiver. „Nichts hemmt Erotik so wirkungsvoll wie Angst“, gibt jedenfalls Lübbert zu bedenken.

Wäre sie eine Frau, dann würde die Pille nun bald in die Wechseljahre kommen. Wie wird es mit der Verhütung nach ihrem 50. weitergehen? Lübbert ist davon überzeugt, dass es über viele weitere Jahrzehnte keine Alternative geben wird. „Kein Medikament wurde jemals an so vielen jungen, gesunden Personen erprobt und in der Zusammensetzung im Lauf der Zeit dermaßen verfeinert wie die Pille.“ Zwar wird seit Jahrzehnten auch an der hormonellen Verhütung für den Mann gearbeitet. Und pünktlich zum Pillen-Jubiläum vermelden Forscher vom Zentrum für Reproduktionsmedizin der Uni Münster, eine Spritze könne schon in fünf Jahren marktreif sein (siehe Infokasten). Doch selbst wenn es bis zum Vatertag 2015 mit der Zulassung eines Präparats klappen sollte, dürfte der Erfahrungsvorsprung noch geraume Zeit für die Pille sprechen.

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