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Panorama: Ästhetik ist kein Schulfach

Nach dem Streit um die bauchfreien Tops von Schülerinnen kritisieren jetzt Eltern das Outfit von Lehrern

Von Andreas Oswald

Nachdem Lehrer und Schulleiter die bauchfreien Tops von Schülerinnen kritisiert haben, werfen jetzt Eltern den Lehrern vor, ihrerseits unangemessen gekleidet zu sein. „Lehrer sind für Schüler keine Vorbilder, wenn sie im Unterricht Schlabberpullis, ausgewaschene Jeans oder Ökoschlappen tragen“, sagt die Vorsitzende des Bundeselternrates, Renate Hendricks. „Einige Lehrer kleiden sich so schlecht, dass sie dafür in manch einer Firma entlassen würden.“ Anzug und Krawatte verdeutlichten Achtung vor der Schule. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält dagegen Mathematik- oder Geschichtsunterricht mit Schlips und Kragen für übertrieben. Trotzdem sollten die Lehrer auf gute Kleidung achten: „So erweisen die Lehrer den Schülern Respekt“, sagte Gewerkschaftssprecher Ulf Rödde der Nachrichtenagentur dpa. Es gebe zwar nur wenige Lehrer, die sich schlecht kleideten. Aber, meint er, „sie prägen das Bild“.

Vorher hatte es harsche Lehrer-Kritik an Schülern gegeben. Seit Helga Akkermann, Schulleiterin einer Kooperativen Gesamtschule, ihre niedersächsische Kleinstadt Sehnde ( www.sehnde.de ) bekannt machte, weil sie in ihrer Schule keine Schülerinnen mit bauchfreien Tops sehen will, hat Deutschland ein Thema, das nicht nur dem Sommer geschuldet ist. Landauf, landab melden sich Schulleiter, Bildungssenatoren und andere Politiker zu Wort. Der Hamburger CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Hesse will es dabei nicht bewenden lassen. Er will die Kleidung in der Schule zum Thema auf dem nächsten Parteitag machen. Er will, dass seine Partei sich dafür stark macht, dass einheitliche Schuluniformen eingeführt werden.

Zeichen der Jungfräulichkeit

Warum erregen sich Erwachsene so über die Schülerinnen? Nicht wenige glauben, dass diejenigen, die als Schüler von ihren Lehrern schief angesehen wurden, weil sie Schlabberpulli und Parka trugen – und noch heute solche Pullover lieben – nun die bauchfreien Tops verbieten wollen. Aber es ist wohl kaum nur die immer wiederkehrende Frage der Generationen. Es ist der freie Bauch, der erregt. Und hier haben die Jugendlichen endlich wieder etwas gefunden, womit sie die Erwachsenen provozieren können. Das war in den vergangenen Jahren nicht so leicht.

Und was bedeutet der Bauchnabel? Wie kommt es, dass so viele Schülerinnen ihn zur Schau stellen? Wie kommt es, dass alle weiblichen Musikstars ihren Bauch zeigen, allen voran die beiden pseudo-lesbischen Schülerinnen des Popduos t.A.T.u., die mit Schuluniformen kokettieren? Der Bauch scheint die provozierende Rolle eingenommen zu haben, die in den 60er Jahren lange nackte Beine und kurze Röcke spielten. Der nackte Bauch sagt zunächst einmal, dass die Mädchen nicht mit Busen oder Beinen Aufmerksamkeit erregen wollen.

In der Wissenschaft gibt es verschiedene Theorien. So weist Stephen Beckerman, Anthropologe an der Pennsylvania State University, darauf hin, dass der Bauch ein Symbol der Jungfräulichkeit sei. Der „New York Times“ sagte er, der flache Bauch teile mit, dass hier eine Frau ist, die noch nie ein Kind geboren hat und noch alle Jahre der Fruchtbarkeit vor sich hat. So gesehen, grenzen sich Mädchen mit nacktem Bauchnabel von erwachsenen Frauen ab – vor allem von ihren Müttern.

Der Evolutionspsychologe Devendra Singh von der University of Texas sagt, dass der flache Bauch auch als Lockmittel gedeutet werden kann. Demnach gilt es als erwiesen, dass ein bestimmtes Maßverhältnis von Hüfte und Taille die Paarungschancen erhöht. Ideal sei, wenn die Taille 70 Prozent des Umfangs der Hüfte misst. Dies wird durch das Zurschaustellen des Bauchs mit hüftbetonenden low-riding Jeans verstärkt.

Andere Wissenschaftler weisen darauf hin, dass im Zeitalter der Magersucht der flache Bauch den Sieg über den Appetit signalisiere.

Aber denkt eine 13-Jährige über das nach, was Wissenschaftler über den Bauch sagen? Sie hat vielleicht eine schlanke Figur, freut sich über ihren flachen Bauch, findet die kurzen Tops schön und zeigt sich so in der Öffentlichkeit. Vielleicht auch deshalb, weil ihre Freundinnen es machen. Und dann findet sie es vielleicht auch ganz interessant, zu testen, wann jemand sich aufregt .

Der nackte Bauch – also ein Zeichen der Selbstbehauptung? Wenn auch eines, das schwer zu verstehen ist? Jetzt dürfen die Erwachsenen nur nicht den Fehler machen und tolerant sein. Sonst müssen sich die Schülerinnen etwas Neues überlegen.

Und werden sich die kritisierten Lehrer ein neues Outfit zulegen? Wahrscheinlich nicht. Wer lässt sich schon von Eltern reinreden.

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