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Panorama: Alkoholismus: Ex und hopp

Der Plan, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, schlug fehl. Nach Protesten der Antialkohol-Initiativen verzichtet der Gemeinderat des Londoner Stadtviertels Camden darauf, "Trinkstuben" mit subventioniertem Bier für sozialschwache Säufer einzurichten.

Der Plan, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, schlug fehl. Nach Protesten der Antialkohol-Initiativen verzichtet der Gemeinderat des Londoner Stadtviertels Camden darauf, "Trinkstuben" mit subventioniertem Bier für sozialschwache Säufer einzurichten. "Wir müssen das Problem von Leuten, die auf der Straße trinken und die Öffentlichkeit belästigen, doch ganz praktisch betrachten", verteidigte der Sozialreferent Julian Fulbrook diese Schnapsidee.

Mit drakonischen Gesetzen versucht die britische Regierung hingegen, der alkoholischen Landplage zu begegnen. Soziologen prägten dafür den Begriff "binge culture" (Kultur der Sturztrinker), die besonders von Jugendlichen gepflegt wird. In dieser Altersgruppe sind die Briten Weltmeister im Alkoholkonsum. Eine weltweite Umfrage des "British Council" über die Reiseerinnerungen in England ergab, dass Ausländer im Alter zwischen 24 und 40 Jahren die Briten als "gewalttätig, fremdenfeindlich und häufig besoffen" ansehen. Dieses Vorurteil wird beileibe nicht nur durch die Fußball-Hooligans verstärkt. In der Stunde vor Mitternacht dröhnen die Innenstädte Britanniens im Gegröle der jungen Männer und Frauen, die in Scharen nach einem total durchsoffenen Abend durch die Straßen wanken. Vandalismus, Schlägereien und Sexualdelikte sind die unangenehmen Folgen dieser "Yob Culture" (Rabauken-Kultur), die Kriminologen als Hauptursache für den steilen Anstieg jugendlicher Straftaten ansehen.

In der Altersgruppe von 16 bis 24 Jahren überschreiten 35 Prozent der Männer und 17 Prozent der Frauen regelmäßig eine von britischen Ärzten als unbedenklich angesehene Alkoholdosis. 44 Prozent aller Gewaltverbrechen werden im betrunkenen Zustand verübt. Seit den frühen 80er Jahren ist die Zahl der Todesfälle durch alkoholbedingte Krankheiten um ein Drittel gestiegen.

Um die kriminellen Aspekte des Alkoholismus zu bekämpfen, verkündete die Regierung ein Gesetz, durch das die Polizei öffentliche Trunkenheit auf der Stelle durch Geldstrafen ahnden kann. Peinlicherweise wurde Tony Blairs 15-jähriger Sohn Euan eines der ersten Opfer dieser Maßnahme, als er nach einer Examensfeier mit Schulkameraden seinen Vollrausch auf dem Pflaster in der Londoner Innenstadt ausschlief. An den illegalen Alkoholkonsum halbwüchsiger Jugendlicher könnte auch die Änderung der Polizeistunde in den Kneipen nichts ändern.

Die lang geplante Gesetzesreform wurde nach der herben Kritik der antialkoholischen Interessensverbände wieder einmal verschoben. Doch die mit den Ausschankzeiten verbundenen Beschränkungen sind für andere Beobachter der britischen Bierunseligkeit ein Grund für den wilden Alkoholkonsum. In den Pubs nämlich ist um 23 Uhr der Zapfhahn zu. Wenn kurz davor die Glocke am Thresen schellt und der Wirt mit Donnerstimme "Last Orders" (Letzte Bestellungen) brüllt, ist dies für viele Gäste das Signal, in Windeseile noch einige Gläser hinunter zu stürzen. Da außer Erdnüssen, gesalzener Schweineschwarte und Kartoffelchips am Abend kaum etwas in Kneipen zum Essen angeboten wird, erhöht das hektische Saufen in den letzten 15 Minuten vor Zapfenstreich beträchtlich die Wirkung des Alkohols.

Die Ausschankzeiten stammen noch aus dem Ersten Weltkrieg. Damit sollte verhindert werden, dass Munitionsarbeiter morgens verkatert zur Arbeit erscheinen. Durch eine Verlängerung der Sperrstunde hoffen die Reformer, dass damit die Briten bedächtiger und maßvoller trinken. Für Touristen ist die frühe Sperrstunde so seltsam, wie die Gepflogenheit, dass jedes Bier persönlich am Tresen abgeholt und sofort bezahlt werden muss. Dabei gilt es, die Aufmerksamkeit des Wirtes durch einen wedelnden Geldschein oder durch den flehenden Blick über ein leeres Glas zu wecken. Gewohnheitsbedürftig ist auch das Ritual der "Männerrunden". Wer am Tresen in eine Gruppe gerät, kommt nicht eher davon weg, bis er mit jedem Mitglied ein Bier getrunken hat.

Die größte Hoffnung auf zivilisierte Trinksitten liegt jedoch nicht bei britischen Gesetzen, sondern in einer Europäisierung der Kneipenkultur. So wie die Mitgliedschaft in der EU das einst ungenießbare britische Essen revolutionierte, so finden sich zwischen Edinburgh und London immer mehr "Bistros" und "Cafés", in denen gemächlich geschlürfter Espresso und ein kleines Edelpils eine willkommene Alternative zu den schnell hinunter gestürzten Drinks bilden.

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