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Blutüberströmt. Lokführer Francisco Jose G. nach dem Unglück.

© AFP

Panorama: Alles in Trümmern

Nach dem schweren Zugunglück in Spanien steht Lokführer Francisco Jose G. im Zentrum der Ermittlungen.

„Ich habe alles vermasselt, ich will sterben“, rief der Lokführer Francisco Jose G. entsetzt, Sekunden nachdem sein Schnellzug gegen die Schutzwand gekracht, entgleist und umgestürzt war. Die Aufzeichnung der Funksprüche aus dem Führerstand scheinen zu bestätigen, dass der Zug viel zu schnell in eine enge Kurve gerast war. „Es war nur Tempo 80 erlaubt, und ich bin mit 190 gefahren“, sagte der geschockte Lokführer in seinem Notruf.

Am Freitag wurde er von der Polizei der „Fahrlässigkeit“ beschuldigt. Er habe möglicherweise ein „kriminelles Delikt“ begangen, das den Unfall herbeigeführt habe, sagte Polizeichef Jaime Iglesias. Francisco Jose G., der verletzt im Krankenhaus liegt und dort von der Polizei bewacht wird, muss sich nun vor einem Untersuchungsrichter verantworten, der über eine Anklage wegen „fahrlässiger Tötung“ entscheiden muss.

Das schwere Eisenbahn-Unglück am Mittwochabend nahe der nordspanischen Pilgerstadt Santiago de Compostela war eine der schlimmsten Zug-Katastrophen der spanischen wie europäischen Geschichte. Die Zahl der Toten ist nach der Identifizierung der meisten sterblichen Überreste von ursprünglich 80 auf 78 korrigiert worden. Die meisten Toten sind Spanier, aber es gibt auch einige Opfer aus den USA, Lateinamerika und Nordafrika. Insgesamt 168 Menschen wurden verletzt, davon schweben noch 30 in Lebensgefahr.

Die Tragödie gilt als schwerer Schlag für das Image des spanischen Hochgeschwindigkeitsnetzes, zu dem die Unfallstrecke gehört. Auch wenn es sich beim Unglückszug nicht um den „fliegenden“ Superschnellzug AVE handelte.

Der Maschinist soll angeblich noch, als er die viel zu hohe Geschwindigkeit seines Zuges bemerkte, eine Notbremsung eingeleitet haben. Auch Zeugenaussagen deuten auf diese Vermutung der Ermittler hin. „Er war viel zu schnell“, erinnert sich ein junger Reisender namens David, der sich im Krankenhaus von seinen Verletzungen erholt. „Er versuchte zu bremsen, aber es half nichts mehr.“ Nun untersuchen die Ermittler, warum Francisco Jose G. nicht rechtzeitig die Geschwindigkeit verringerte. Und auch, ob es vielleicht technische Pannen wie etwa einen Fehler im Bremssystem und Sicherheitsmängel gab.

Die meisten Experten, die sich zu Wort meldeten, gehen freilich davon aus, dass der Unfall vor allem durch „menschliches Versagen“ verursacht wurde, aber möglicherweise durch eine nicht ausreichende Sicherheitstechnik begünstigt worden war. Die Unglückskurve war nicht mit dem modernen Zugleitsystem ERTMS ausgestattet, das auf Hochgeschwindigkeitsstrecken üblich ist und für eine automatische Bremsung sorgt, wenn Tempolimits überschritten werden. Auf der geraden Strecke vor der Biegung war der Zug mit 200 km/h herangedonnert, in der Kurve galt Tempo 80. Die Eisenbahnergewerkschaft warnte davor, dem Maschinisten vorschnell die Schuld zuzuschieben. Auch die staatliche Bahngesellschaft Renfe nahm ihren Lokführer zunächst in Schutz. Der 52-Jährige sei erfahren gewesen und habe die Strecke, auf der er seit einem Jahr eingesetzt war, gut gekannt.

Nach dem Unglück gingen Fotos von Lokführer Francisco Jose G. um die Welt, auf denen er mit blutüberströmtem Gesicht zu sehen ist. Er hält ein Handy in der Hand, über das er in diesem Moment der Bahnzentrale Bericht erstattet.

Möglicherweise hatte Francisco Jose G. es aber auch genossen, mit seinen Zügen möglichst schnell über die Gleise zu rasen. Inzwischen tauchte ein Eintrag aus seinem Facebook-Account vom März 2012 auf, in dem prahlt, im Führerstand gerne Vollgas zu geben. „Ich bin am Limit“, schrieb er, „schneller geht nicht, wenn ich nicht bestraft werden will“. Der Eintrag ist mit einem Foto garniert, auf dem die Tachonadel Tempo 200 markiert, das auf gerader Gleisstrecke ja durchaus erlaubt ist. Es folgen Kommentare der Facebook-Freunde. „Junge, brems mal. Wenn die Polizei dich erwischt ...“ Und dann die Antwort des Lokführers: „Es wäre ein Vergnügen, die Radarkamera in die Luft zu jagen.“ Einige Kommentatoren bezweifeln allerdings, dass der Eintrag von ihm stammt.

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