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Panorama: Als wäre ein Gebirge umgepflügt worden

Die Folgen des Unwetters sind nicht abzuschätzen. Vermutlich starben 25 000 MenschenAlvaro Cabrera Aus der Luft sieht man fast nur Ströme von Schlamm.

Die Folgen des Unwetters sind nicht abzuschätzen. Vermutlich starben 25 000 MenschenAlvaro Cabrera

Aus der Luft sieht man fast nur Ströme von Schlamm. Zwischendurch ragen Antennen oder höhere Dächer aus den braunen Massen, auf denen Menschen teilweise seit Tagen ausharren und auf Rettung warten. Ein Rettungsteam fliegt in einem Hubschrauber über den Bundesstaat Vargas, nördlich der Hauptstadt Caracas gelegen, eines der am schlimmsten von der Katstrophe betroffenen Gebiete am Pazifik. Im gesamten Gebiet an der venezolanischen Pazifikküste ist der Ausnahmezustand ausgerufen worden, vor allem hier, in Caracas und dem östlich der Haupstadt gelegenem Bundesstaat Miranda, wo am Donnerstag der Staudamm brach und 2500 Menschen von der Außenwelt abschloss. Endlich haben die Regenfälle aufgehört. Nun sind ununterbrochen Militärflugzeuge, Rettungshubschrauber und auch Boote im Einsatz, um Menschen aus der von der Außenwelt abgeschlossenen Küste ins Landesinnere zu bringen.

Bei der Unwetterkatastrophe in Venezuela sind weitaus mehr Menschen getötet worden, als zunächst angenommen. Möglicherweise seien bis zu 25 000 Menschen unter den Schlammmassen begraben worden, sagte der Leiter der Zivilverteidigung, Angel Rangel, am Montag in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Die Hilfskräfte versuchten am Montag weiter, Überlebende zu bergen. Nach Angaben von Außenminister José Vicente Rangel wurden bislang 100 000 Menschen aus dem Katastrophengebiet nahe der Küste evakuiert.

Die Sorge um eine bekannte Journalistin, die derzeit in Nacuto lebt, einem Ort in dem am schlimmsten betroffenen Bundesstaat Vargas, treibt den Autor ins Katastrophengebiet. Auch hier ist die Telefon- und Stromversorgung unterbrochen, die Straßen sind einfach nicht mehr da. Es gibt nicht viele Informationen über Nacuto selbst, aber José vom Rettungsteam erklärt mir, es sei wohl nicht der am schlimmsten zerstörte, obwohl man auch hier aus der Luft nur Schlamm, Schlamm, Schlamm sehen kann.

Bei den Sanitätern sind Journalisten, die einen Platz mehr im Rettungshubschrauber wegnehmen, nicht gerade beliebt. Der Hubschruber wird in der Nähe des internationalen Flughafens von Maiquetia - den wichtigsten Venezuelas - landen. Der Flughafen liegt mitten in einem eingeschlossenen Gebiet in Vargas. Er ist für den Flugverkehr geschlossen und dient als Zentrum der Rettungsaktionen für die Menschen aus Vargas. Von dort aus, so José, wird die Gruppe versuchen, zum Badeort La Guaira zu gelangen, in dem mehr als 500 000 Menschen leben und der fast vollständig von bis zu sieben Meter hohen Schlammassen verschüttet ist.

Von den grünen Bergen, die die Hauptstadt von Vargas trennen, ist ein riesiger Kordillerenausläufer - Avila - abgerutscht, eine Lawine aus Wasser, Schlamm und Geröll ergoss sich über die Ortschaften ins Meer, Straßen verschwanden von der Landkarte, der Strand wurde von den Schlammassen verschlungen, unzählige Häuser begraben. Vom Hubschrauber aus sieht das, was die Kordillere war, aus, als hätte jemand mit dem Spaten die grüne Hügelkette umgegraben. Mit am schlimmsten betroffen ist La Guaira, teilweise reichen die Schlammassen bis zum dritten Stockwerk der Häuser.

Die Gruppe landet dann doch direkt auf einem der Jahrmärkte von La Guaira, wo sich sonst die Badegäste vergnügen. Nun kümmern sich auf dem Gelände Ärzte, Pfleger, Soldaten und Freiwillige um die obdachlos Gewordenen, Verletzten und unter Schock stehenden. Alles ist völlig chaotisch. Die Geretteten laufen umher, suchen nach ihren Angehörigen und erzählen Horrorgeschichten über die Lawine, die hunderte von Menschen in ihren Häusern bei lebendigem Leibe unter sich begraben haben. "Das ist schlimmer als die Hölle", versichert die 20-jährige Maria, die eine Plastiktüte, mit dem was sie aus ihrem Haus retten konnte, umklammert. "Viele versuchten die Gegend zu Fuss zu verlassen, am Meer entlang, zwischen Schutt, Baumstämmen, Planken und einem unteräglichen Verwesungsgestank der Toten, die von den Wassermassen wegespült wurden.".

Zahlreiche Menschen aus dem am stärksten betroffenen Bundesstaat Vargas versuchten auf eigene Faust, aus dem Katastrophengebiet in die nahegelegenen Hauptstadt zu fliehen.

100 000 Opfer sind dort bereits in Kirchen, Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden untergebracht. Die Frau des Präsidenten, Marisabel Chvez, wies auf die zahlreichen Kinder hin, die von ihren Eltern getrennt wurden und über deren Verbleib es keinerlei Informationen gibt.

Am Montag wurden die ersten Todesopfer begraben, um dem Ausbruch von Epidemien vorzubeugen. Auf dem Zentralfriedhof der Hauptstadt Caracas wurden 71 identifizierte Tote in Einzelgräbern beigesetzt. Staatspräsident Chavez wollte jedoch nicht ausschließen, dass Opfer der Überschwemmungen auch in Massengräbern beerdigt werden müssen, um so die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern.

Papst Johannes Paul II. sprach den Opfern sein Bedauern aus und rief zur Großzügigkeit bei der Katastrophenhilfe auf. Zahlreiche Staaten, vor allem die USA, Mexiko und Kuba, unterstützen die Hilfsaktion mit Sach- und Geldspenden. Das Auswärtige Amt wollte am Montagnachmittag über weitere Hilfsmaßnahmen entscheiden.

Noch sind die Menschen in Caracas damit beschäftigt, das ganze Ausmaß der Naturkatastrophe zu begreifen. Sie trauern um den Tod von Angehörigen, die nach schweren Regenfällen von Schlamm- und Geröll-Lawinen begraben wurden.

Alvaro Cabrera

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