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Panorama: Auf der Jagd nach dem sechsten 007

Wird Dougray Scott als neuer James Bond die Welt retten? Seine Mutter weiß jedenfalls nichts davon

Pierce Brosnan wollte offenbar nicht mehr. Oder hatte man ihm schlicht gesagt, er dürfe nun nicht mehr wollen? Weil er noch mehr Geld wollte? Jedenfalls gilt es seit Mitte Juli als sehr wahrscheinlich, dass ein neuer James-Bond-Darsteller übernehmen soll. Die Liste der Kandidaten wurde länger und länger, die Lage zunehmend unübersichtlich. Millionen Britinnen hoffen inständig auf Robbie Williams. Mr. Williams jedoch lehnte dankend ab. Obwohl ihn ohnehin niemand gefragt hatte. Favoritenstatus erlangten daher in rascher Folge Orlando Bloom aus „Der Herr der Ringe“und „Star Wars“-Akteur Ewan McGregor. Auch der Australier Hugh Jackmann („Van Helsing“) war zwischendurch im Gespräch. Parallel wurde fieberhaft erörtert, ob es denn – rein theoretisch – statthaft sei, schwule Schauspieler in die Auswahl einzubeziehen. Die Antwort war meist ein klares Jein.

Bis vor kurzem sah es so aus, als habe Eric Bana, der einst grün bemalt den „schrecklichen Hulk“ markiert hatte, die besten Aussichten. Doch auch er fiel letztlich durchs Raster. Die Agentenfindungskommission unter dem Vorsitz von Produzentin Barbara Broccoli grübelte angestrengt weiter. Die britischen Medien brachten beinahe jeden halbwegs attraktiven Einwohner des Commonwealth ins Spiel, der jemals in eine Kamera geblickt hatte. Nun wird auf der Insel wohl ein krasser Außenseiter mit ungeheurer Verantwortung beladen. Laut überraschend einhelligen Berichten des „Sunday Mirror“ und diverser Fernsehstationen erhält die Lizenz zum Töten der Schauspieler Dougray Scott.

Die offizielle Bestätigung allerdings steht noch immer aus. Allzu leicht verliert man im Gewirr der Mutmaßungen den Durchblick. Selbst Scotts Mutter weigert sich vorerst, ihrem Sohn zu gratulieren. Der aber hat sie bereits mehrfach überrascht, so als er seinen eigentlichen Vornamen Stephen zugunsten jener seltsamen Lautkombination ablegte. Diese sollte ihm fortan helfen, allen Verwechslungen zu entgehen. Angeblich spricht man Dougray „Du-gräi“ aus.

Ob der Mann das Zeug hätte, mit der gebotenen Eleganz die Welt zu retten, weiß bislang niemand. Dabei lassen sich dem 38-jährigen Vater von Zwillingen zweifellos gewisse Vorzüge attestieren. Zu diesen zählt in den Augen vieler Fans, dass er in Schottland geboren wurde – wie Dekaden vor ihm Sean Connery, der noch immer der mit Abstand beliebteste Agent Ihrer Majestät. Scott selbst sind Vergleiche mit dem an sich unvergleichlichen Sir Sean peinlich. Trotzdem bleibt die Sehnsucht des Publikums, die Wiedergeburt einer ruhmreichen Ära erleben zu dürfen. Gleichzeitig erwarten Fans in aller Welt einen modernen 007, der aktuelle Heroen wie die der „Matrix“-Filme mit vollendeter Lässigkeit übertrifft. Aber warum sollte Scott dem Druck nicht standhalten können? Was sein Äußeres anbelangt, braucht er sich hinter keinem der bisherigen Bonds zu verstecken. Man kann sich ohne weiteres vorstellen, dass er im weißen Bademantel und weißen Smoking eine gleichermaßen gute Figur macht.

Allerdings genügt es im Dienste des MI6 nicht, in Situationen zu brillieren, die sich mit einem Martiniglas in der Hand bewältigen lassen. Ebenso sehr kommt es auf den versierten Gebrauch der Walther P-99 an und auf die Fähigkeit, sich ohne jedes Zaudern in halsbrecherischer Manier aus Wolkenkratzern und Flugzeugen zu stürzen. Doch im Action-Genre hat Scott hinlänglich Erfahrungen gesammelt – wenn auch als Schurke. Die lustvolle und mehr als ausgiebige Klopperei, die er sich in „Mission Impossible 2“ mit Tom Cruise lieferte, blieb im Gedächtnis.

Und noch eine relevante Agentendiziplin beherrscht er mit Leichtigkeit: In „Enigma“ mimte Scott einen Kryptoanalytiker, der während des Zweiten Weltkriegs den U-Boot-Code der Deutschen knackt. Regisseur war damals Michael Apted, der zuvor „Die Welt ist nicht genug“ gedreht hatte. Besonders gentlemanlike wirkte Scott allerdings nicht: Er verkörperte einen schrulligen Nerd, einen verschrobenen Anti-Helden. Und auch Filmpartnerin Kate Winslet bereitete ihn nicht unbedingt auf den sicher einigermaßen aufregenden Umgang mit glamourösen Bond-Girls vor. Die nämlich tragen eher selten, wie Winslet in „Enigma“, Glasbausteinbrillen.

Das dunkelste Kapitel in Scotts bisheriger Filmographie jedoch ist ein anderes. Einst war er an der Seite Drew Barrymores in der obskuren Schmonzette „Auf immer und ewig“ zu sehen, einer „Aschenputtel“-Verfilmung. Natürlich als Prinz. Schämen muss er sich deswegen aber nicht. Sogar Sean Connery galoppierte mehrfach auf Gäulen über die Leinwand. Schließlich gibt es wohl niemanden, der sich sein Leben lang nur im Aston Martin oder BMW fortbewegt.

Scott könnte also die richtige Wahl sein. Lediglich seine Working-Class-Herkunft, von der er in Interviews nicht ohne Stolz erzählt, müsste Scott als 007 gut verstecken müssen. Denn was wir von diesem verlangen, ist nicht bloß, dass er den Planeten vor dem Untergang bewahrt. Wir wollen, dass er es mit überlegenem Stil tut. Auch beim nächsten Mal, wenn – so spekulieren die Experten – ein Killervirus unser Leben bedrohen wird.

Stefan Hermes

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