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Panorama: Außer Kontrolle

Bei der Flugschau-Katastrophe zeigten die Piloten eine Übung in zehn Metern Höhe – stiegen sie zu früh aus?

Von Elke Windisch

und Rainer W. During

Nach dem Inferno bei der Flugschau in Lwiw steht die Ukraine noch unter Schock, da wird bei Militärs, Behörden und Technikern schon über die Schuldfrage spekuliert. Erste Konsequenzen werden bereits gezogen. Präsident Kutschma hat den Generalstabschef der Armee, Tschuliak, gefeuert. Außerdem feuerte Kutschma Luftwaffenchef Strelnikow und den Kommandeur der 14. Flugeinheit, Onischtschneko. Sie und zwei weitere Offiziere wurden zudem festgenommen. Der ukrainische Verteidigungsminister Schkidtschenko hat am Sonntag seinen Rücktritt eingereicht. Allerdings hat Kutschma noch nicht entschieden, ob er das Angebot annehmen wird. Der Verteidigungsminister ist erst seit kurzem im Amt. Sein Vorgänger wurde gefeuert, weil die Luftwabwehr des Landes versehentlich ein ziviles Passagierflugzeug mit 78 Menschen abschoss.

Bei dem Unglück am Samstag in Lwiw (Lemberg) starben 83 Menschen. Die Ursache ist weiterhin ungeklärt. Die Videoaufnahmen geben nur bedingt Aufschluss über das, was sich ereignete: Sie zeigen, wie sich der graue Kampfjet vom Typ Suchoi Su 27 dem Flugfeld im Tiefflug nähert, ehe er hochzieht und nach einer langsamen Rolle den Boden berührt. Nach einem Überschlag schließlich schlägt die Maschine mit dem Heck voran in eine Zuschauergruppe und explodiert.

Es hätte nicht passieren dürfen, meinen Militärexperten. Schließlich waren die beiden Piloten noch zu Sowjetzeiten bestens ausgebildet worden und galten als sehr erfahren. Zudem saßen sie in einer Su 27UB, der Trainingsversion, die auch dem Co-Piloten die Möglichkeit gibt, die Maschine zu steuern.Vorerst wissen nur die beiden Offiziere, was in jenen Sekunden tatsächlich passiert ist. Doch sie liegen unter Bewachung im Luftwaffen-Krankenhaus und werden kaum an die Öffentlichkeit treten.

Raum für Spekulationen

Damit sind Tür und Tor für Spekulationen geöffnet – und die gab es bereits am Sonntag zuhauf. Der Sprecher des Zivilschutzministeriums, Grigori Martschenko, sagte, die Suchoi habe im Tiefflug das Leitwerk einer am Boden stehenden Transportmaschine gestreift. Doch die auf dem Flughafen Skniliw abgestellten Transportflugzeuge ließen auf Fernsehbildern keinen sichtbaren Schaden an den Leitwerken erkennen.

Ein ntlich nicht genannter Hubschrauber-Pilot wiederum erklärte der Agentur Itar-Tass, die Unglücksmaschine habe eine Holztribüne auf dem Flugfeld gestreift. Auch dies ließ sich nicht verifizieren.Waleri Tschkalow, Mitarbeiter der regionalen Flugbehörde, sprach vom Ausfall eines Triebwerks der Suchoi. Als die beiden Piloten das Unterfliegen einer Brücke simulieren wollten, sei direkt über den Köpfen der Zuschauer ein Triebwerk ausgefallen. Auch aus den Reihen der ukrainischen Luftwaffe wurde diese Möglichkeit zunächst bestätigt, danach allerdings zurückgenommen.

Eine Schuldzuweisung ganz anderer Art kam aus Russland, von den Suchoi-Werken. Ein Mitarbeiter erklärte der Agentur Interfax, dass die „verheerenden Missstände“ in der ukrainischen Luftwaffe Ursache seien. Schließlich habe die Ukraine aus Geldmangel seit Jahren keine Ersatzteile mehr bestellt. Ein ehemaliger hoher Offizier der russischen Luftstreitkräfte, der mehrfach Flugschauen bei Moskau organisiert hat, sprach von schweren Sicherheitsmängeln. In Lwiw seien die Kampfjets in knapp zehn Meter Höhe geflogen, was nicht zu verantworten sei. In Russland sei eine Mindesthöhe von 70 Metern bei derartigen Veranstaltungen vorgeschrieben. Kritisch äußerte er sich auch zum Verhalten der Piloten. Zu Sowjetzeiten habe es einen ungeschriebenen Ehrenkodex gegeben, wonach Kampfflieger sich nur aus der Maschine katapultieren durften, wenn sie sicher waren, dass diese über weitgehend menschenleerem Gebiet abstürzt.

Experten: Vorgänge sind dubios

Der deutsche Testpilot und Flugsicherheitsexperte Dieter Thomas erhob schwere Vorwürfe. Die Unglücksmaschine sei viel zu niedrig und viel zu dicht am Publikum geflogen, sagte der Flugbetriebsdirektor der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA, die alle zwei Jahre in Berlin stattfindet. Obwohl den Piloten bei der hohen Geschwindigkeit eines Kampfjets in Bodennähe nur eine Reaktionszeit von Sekundenbruchteilen bleibt, kann ein Systemausfall immer noch durch ein Reservesystem überbrückt werden, sagte Thomas. Derartige Situationen werden von den Besatzungen immer wieder geübt. Lediglich wenn die Steuerung blockiert ist, gibt es keine Korrekturmöglichkeit mehr. Fachleute halten es für unwahrscheinlich, dass beide Triebwerke gleichzeitig ausgefallen sind. Die russischen K36-Schleudersitze gelten als westlichen Modellen weit überlegen, weil sie auch noch in extremer Bodennähe funktionieren. In Fachkreisen gilt der Unfall als „sehr dubios“ sagte Thomas nach Diskussionen mit Kollegen. Es wird darauf verwiesen, dass die beiden Piloten ihre Schleudersitze ziemlich früh betätigten und möglicherweise darauf verzichteten, noch irgendetwas zur Unglücksvermeidung zu unternehmen.

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