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Panorama: Bäcker, die die goldene Mitte treffen

Viele alte Handwerksbäckereien sind verschwunden. Doch jene, die es noch gibt, arbeiten mit neuem Elan an der Perfektionierung ihrer Produkte. Unsere Probierrunde suchte nach dem besten Roggenbrot

Brot lacht nicht. Vielmehr ist es ein überaus ernstes Lebensmittel. Brot darf nicht weggeworfen werden – das lernen Kinder früh. Gerade weil es mit Bedeutung aufgeladen ist, weist es über sein schlichtes Äußeres hinaus. Als Bestandteil biblischer Texte kommt ihm eine Bedeutung zu, die es über die anderen Dinge des Alltags hinaus hebt. Nicht zuletzt das verleiht dem alltäglichen Getreideerzeugnis etwas Unwandelbares.

Trotz des häufig beklagten Verschwindens des Bäcker-Handwerks hat das Brotgewerbe in Berlin einen Aufschwung genommen. Denn viele der Brote, die jetzt wortreich vermisst werden, waren kaum eine Träne wert. In die Lücken sind Hersteller gestoßen, die auf Grund ihrer Kapazitäten und Varietäten genauer auf Kundenwünsche einzugehen wissen. Und die robusten Qualitätsbäcker, von denen es noch rund zwei Dutzend in der Stadt gibt, sind auch deshalb im Markt geblieben, weil sie ihre Stärken mit Leidenschaft zur Geltung bringen. Verwandt sind sie darin einem Küchen chef wie Stephan Garkisch. In seinem „Bieberbau“ versammelte sich die monatliche Testrunde, um roggenbetontes Sauerteigbrot näher zu betrachten.

Gleich beim ersten Kandidaten von Kaisers „Naturkind“ fiel ihm auf, wie nahrhaft dieser Brottyp bereits nach ein paar Bissen wirken kann. Das lag vor allem an der eingebundenen Feuchtigkeit, die in diesem Fall auch die Tünche aus einer Gewürzmischung in den Vordergrund drängte. Beim Krustenbrot von Butter- Lindner bedarf es keines Räuchergeschmacks, denn die braune Hülle dominiert den Eindruck so stark, dass die grob porige, rasch trocknende Krume völlig ins Hintertreffen gerät. Jurymitglied Eberhard Päller von der Confiserie Mélanie nannte es ein Malzbrot ohne Malz. Wie man es besser macht, bewies die im Auftritt rustikale Urzeitkruste von Wiedemann, die der herzhaften Kante nach kräftigen Kauen eine muntere Säure entgegen setzt, so dass nur der Getreidegeschmack des Steinmetz-Mehls ein wenig darunter zu leiden hat. Beim täglichen Brot der Bäckerei Mälzer handelt es sich um einen so genannten Schaufensterlaib: Der hübsche Anblick bestätigte sich jedenfalls nicht im Mund. Vielmehr fällt dort eine zunächst deutliche Säure in sich zusammen und überlässt einem mehligen Eindruck den Vortritt.

Die ungleichmäßige Beschaffenheit des Sauerteigbrots von Genenz, das sowohl nasse als auch trockene Stellen aufweist, deutet auf einen ungenügend gekneteten Teig hin, in dem sich der Kornkleber nicht richtig entwickeln konnte. Der optisch verlockenden Landkruste von Salzmann entströmte dagegen ein charakteristischer Duft, den man von Trockenhefe kennt. Unter Druck begann die Krume zu klumpen, und neben der schrundigen, bittersüßen Kruste kam die Säure nicht recht zum Zug.

In einen Backkasten kann der Teig relativ flüssig gefüllt werden, was die Lagerfähigkeit erhöht. Das Risiko besteht allerdings darin, dass der Charakter im Ungefähren verschwindet wie beim Roggenbrot von Höhn, das auf dem Stand am Winterfeldtmarkt gekauft wurde. Doch eine säuerliche Frische ist ihm nicht abzusprechen. Viel deutlicher tritt sie aus dem Steinofenbrot der selben Bäckerei hervor, dessen beinahe haferartiger Geruch sofort Erinnerungen an wogende Felder weckt. Im Mund legt die Säure zu und bekommt von der dicken, angenehm bitteren Bodenkruste einen Widerpart, dem zum Beispiel normannische Butter genügen kann. Vom Vorkamp-Stand des Schöneberger Marktes stammte ein exemplarisches Kompromissbrot, das weder hell noch dunkel sein möchte. Vom appetitlichen Aussehen der Südtiroler Kruste sollte man sich jedoch nicht täuschen lassen, denn über eine lasche Gefälligkeit gelangt sie genauso wenig hinaus wie das Ökokrustenbrot von Terra Luna eine Marktgasse weiter. Nur nichts falsch machen, lautet scheinbar die Devise. Die recht dunklen Brote von Balzer und Siebert aus dem Ostteil der Stadt kamen der Runde altmodisch vor, was aber nicht altbacken bedeuten soll. Eher zeugen beide von einem nicht ganz zu Ende entwickelten Hausfrauenrezept, das Kruste und Dichte ins Zentrum stellt. In abgeschwächter Form gilt das auch für das Brot von Seitz, das Ausgewogenheit über Aufregung stellt.

Seit einer Woche stellt der Dortmunder Bäcker Hohoff sein Brot in der Schaubäckerei von „Manufaktum“ her. Frisch aufgeschnitten steigt einem der Hobelspangeruch einer Tischlerei in die Nase. Auf den ersten Biss spielt sich eine dominante Süße nach vorne, der eine frische Säure Kontur verleiht. In Verbindung mit dem spürbaren Salz ergibt sich ein irreführender Volumeneindruck, der von einer knackigen Kruste nicht in Zaum gehalten wird. Garkisch kam dieses typische Bauernbrot wie Heuriger vor, der noch kein Wein ist, sich aber auf dem Weg dahin befindet.

Überhaupt hat ein Sauerteigbrot drei Leben. Am ersten Tag atmet die Kruste noch, am zweiten herrscht das Getreide und vom dritten Tag an hat die Säure ihre volle Reife entwickelt. Doch auch nach Tagen wartet die Öko-Sonne aus dem Steinofen der Münchner Paradebäckerei „Pfister“, die jeden Donnerstag bei Tillmann eintrifft, trotz grandiosen Dufts innen mit einer gewissen Leere auf, die von einer stark heraus gearbeiteten Kruste nicht aufgewogen wird.

Berlins größter Biobäcker „Märkisches Landbrot“ überzeugt vor allem mit Harmonie der Geschmackskomponenten. Beim Roggenbrot, das unter anderem bei Bio Company angeboten wird, lenkt präsente Säure im mürben Teig den Gedanken auf Parmaschinken und Mortadella. Deutlich deutscher sind die Assoziationen beim märkischen Brodowiner aus fein vermahlenem Vollkorn-Roggen. Das Paradepferd des Backbetriebs nennt sich Paderborner und glänzt wie ein gestriegeltes Fohlen. Es hält noch nach mehreren Tagen eine resche Saftigkeit, die das Geschmacksspektrum des Mehls – darunter 20 Prozent Dinkel – auslotet. Man freut sich schon nach dem Abendbrot auf den nächsten Morgen: Das beste Indiz für ein gelungenes Brot.

Ein ebenbürtiger Prätendent um den Platz auf dem Thron erwuchs dem Ziegel im Ringenwalder Rundling von „Soluna“, der auf dem Donnerstagsmarkt auf dem Wittenbergplatz und bei Markt Pur vorrätig gehalten wird. Ohne langweilig zu sein, wird hier die goldene Mitte getroffen. Das Röstaroma der schwarzen Kruste geht bruchlos über in einen fein gesäuerten Körper, der mit einem Minimum von Salz auskommt, um ein Maximum von Kornauszug zu bieten.

Bei vielen Krustenbroten stammt die charakteristische Würze nicht vom Korn allein. Das Roggen-Weizen von Berlins erstem Biobäcker Weichardt, der grundsätzlich leicht verdaulicheres Backferment anstelle von Sauerteig verwendet, wird durch aufgequollene Körner ebenso interessant wie Tillmanns Roggen-Sonne, dem Sonnenblumenkörner einen Anflug von Krokant geben. Für Liebhaber ist das Gewürzbrot der Bäckerei Schuler aus Bamberg, das im KaDeWe auch scheibenweise verkauft wird. Anis und Kardamon machen aus ihm eine Art Schüttelbrot, dessen luftige Konsistenz zum Zubeißen verführt, zumal, wenn auf den gleichmäßig feinen Poren die wunderbaren Connetable-Jahrgangssardinen aus der Fischabteilung liegen. So gesehen könnte sogar ein Schmachten bei Wasser und Brot etwas Köstliches sein…

BackHaus, Wilmersdorf, Nassauische Str. 16a.

Balzer, Mitte, Sophienstr. 30-31.

Seitz, Schöneberg, Hochkirchstr. 10

Siebert, Prenzlauer Berg, Schönfließer Str. 12.

Wiedemann, Mitte, Pariser Platz 4a

Bio Company Shop, Charlottenburg, Wilmersdorfer Str. 102

Genenz, Wilmersdorf, Brandenburgische Str. 32.

Mälzer, Steglitz, Ahornstr. 16a

Manufactum Brot & Butter, Charlottenburg, Hardenbergstr. 4-5

Markt Pur, Halensee, Westfälische Strasse 27.

Salzmann, Halensee, Hubertusallee 10

Soluna Brot & Oel, Kreuzberg, Gneisenaustraße 58

Tillmann, Wilmersdorf, Ludwigkirchstr. 14

Weichardt, Wilmersdorf, Mehlitzstr. 7

Bieberbau“, Wilmersdorf, Durlacher Str. 15, Tel. 853 23 90.

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