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Eine Couch für alle Fälle. Über 1,6 Millionen Mitglieder aus 70 000 Städten sind mittlerweile auf der Internetseite des Gastfreundschaftsnetzwerks registriert. Wer nicht mit einem Schlafplatz aufwarten kann, verabredet sich mit den Reisenden zu einer Stadtrundfahrt oder einem Kaffee. Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

Couchsurfing: Betten, die die Welt bedeuten

Couchsurfer reisen um den Globus, ohne für die Übernachtung zu zahlen. Aber ums Sparen geht’s nicht

Maurizios Gästebett hat in den letzten drei Jahren 425 Besucher gesehen. Die Weltkarte, die oben drüberhängt, sieht aus wie ein Igel, auf ihr sind die Herkunftsländer der Gäste mit Stecknadeln markiert. In den letzten zwei Monaten haben Brasilien, Litauen, Frankreich, Italien und Kalifornien bei Maurizio übernachtet, seit 2007 insgesamt 70 Nationalitäten. Und das kostenlos. „Ich werde immer gefragt, warum ich Fremde nach Hause einlade“, sagt Maurizio. „Aber es sind doch keine Fremden!“ Freunde auf Vorschuss nennt er seine Couchsurfer, Weltenbummler, die er im Netz, bei couchsurfing.org kennengelernt hat.

Die Seite funktioniert wie eine Suchmaschine: Wer Besuch mag und einen Schlafplatz frei hat, bietet Gästezimmer, Couch oder Flurboden zum Isomatteausrollen an. Reisende browsen durch die Profile und schreiben potenzielle Gastgeber an, in der Hoffnung, dass sie jemand für ein paar Nächte adoptiert. Profit ist dabei tabu. Den Gründern war es wichtig, dass ihre Seite nicht der Bereicherung dient, Couchanbieter sollen ihre Gastfreundschaft nicht im Sinne eines lukrativen Nebeneinkommens verstehen. Bei dem Projekt steht ein Gedanke im Vordergrund: Freude an neuen Freundschaften, sonst nichts. Man muss nicht einmal das eigene Sofa anbieten, um auf einem anderen zu surfen. Wer keinen Extraschlafplatz hat, kann beispielsweise mit einer Stadtführung dienen oder sich mit Reisenden auf einen Kaffee treffen.

Das Gastfreundschaftsnetzwerk hat vor kurzem sein Zehnjähriges gefeiert. Ein Insidertipp ist es schon lang nicht mehr. Der Gründermythos geht so: Student Casey Fenton ergattert einen Schnäppchenflug nach Island, da er aber weder Geld noch Lust hat, die Übernachtungen zu bezahlen, schreibt er eine Rundmail an die 1500 Studenten der Uni Reykjavik. „Kann ich auf deiner Couch schlafen?“, fragt er. Beflügelt von den dutzenden Zusagen ruft Fenton zur Jahrtausendwende eine Internetplattform ins Leben, die diese Frage institutionalisiert.

Heute sind 1,6 Millionen Mitglieder aus 70 000 Städten bei couchsurfing.org registriert, die Hälfte gibt in ihren Profilen an, grundsätzlich Reisende aufzunehmen. Die meisten Surfer kommen aus den USA, Deutschland ist das zweitaktivste Land. Der Journalist Daniel Hopkins ist kürzlich von seiner Weltreise zurückgekehrt. Der Osnabrücker hat in 80 Tagen von Couch zu Couch hoppelnd die Erde umrundet, darüber gebloggt und ist nach seiner Rückkehr durch Talkshows gezogen. Seitdem liest man öfter von „der billigsten Art zu reisen“.

Altsurfer wie Maurizio finden das nicht unbedingt gut. Sie befürchten, dass sich viele allein deshalb registrieren, um für Umme zu übernachten – ohne die Philosophie zu teilen. „Wer knapp bei Kasse ist, kommt mit Couchsurfing tatsächlich am weitesten“, sagt Maurizio. „Aber es geht nicht vordergründig ums Sparen, sondern darum, sein Leben mit lieben Menschen zu verknoten, sei es auch nur für eine Nacht“. Inzwischen habe er aber immer öfter das Gefühl, dass die Anfragen nicht an ihn gerichtet sind, sondern an sein Gästezimmer.

Auch Couchsurfing-Anhänger Marcel ist bei Anwerbeversuchen vorsichtig. „Ich finde, Couchsurfing ist die beste Erfindung aller Zeiten“, sagt der Berliner Student, „trotzdem erzähle ich nicht jedem davon.“ Er missioniere nur bei Freunden, von denen er denkt, die seien dafür geeignet. Und wer ist das? „Leute, die gern etwas hergeben und nicht fremdeln“. Vor einem Jahr hat sich Marcel auf der Internetseite registriert. Seither hat er schon zwei Mädchen aus St. Petersburg, ein französisches Pärchen, sowie Surfer aus Budapest und Los Angeles in seiner Wohnung in Wilmersdorf beherbergt. Im Gegenzug ist er auf Sofas in Kyoto, Ljubljana und Zagreb gesurft.

Ein Aspekt, der viele verunsichert, ist die Verfügbarkeit privater Daten im Internet. Marcel sieht das pragmatisch: „Als Couchsurfer kann man nicht anonym bleiben, schließlich will man so viel wie möglich über diejenigen wissen, bei denen man übernachtet.“ Trotzdem: Wer sich registriert, überlässt die Rechte an seinen Daten Couchsurfing Inc. Ein andere Aspekt ist die Sicherheit. Nachdem im März 2009 eine Couchsurferin aus Hongkong in England von ihrem Gastgeber vergewaltigt wurde, entflammte die Diskussion, ob das Gastfreundschaftnetzwerk von einer kuscheligen Altruistengemeinschaft zu einer unüberschaubaren Datenbank geworden ist.

Wenn man die Profile der Registrierten nach gewissen Hinweisen abtastet, sei man auf der sicheren Seite, sagt Maurizio. Ein guter Anhaltspunkt sind die Beurteilungen, die sich die Mitglieder gegenseitig schreiben: War der Gastgeber grantig oder der Gast ein Schmutzfink, kann man es auf der jeweiligen Seite nachlesen. Außerdem gibt es ein ausgeklügeltes System, bei dem nur bewährte Mitglieder für andere bürgen können. Für eine Spende von knapp 15 Dollar kann man sich außerdem offiziell bestätigen lassen, dass man derjenige ist, der man vorgibt zu sein. „Vor Idioten ist man nirgends sicher“, sagt Marcel. „Aber eigentlich hat Couchsurfing ein gutes Idiotenfilterungssystem.“

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