zum Hauptinhalt
326495_0_7d614fa5.jpg

© dpa

Poker-Turnier: Das Geräusch des Geldes

1000 Spieler pokern beim großen Turnier im Hyatt um den Sieg – einer von ihnen ist Boris Becker.

Das Geräusch fällt sofort auf. Es ist nicht besonders laut, aber doch gut hörbar. Ein Klickern, so regelmäßig oder unregelmäßig wie Meeresrauschen. Ansonsten herrscht Stille. Thomas Bichon ist einer von denen, die den Sound produzieren. Immer wieder lässt der Franzose Plastikchips zwischen seinen Fingern aufeinanderrasseln. So wie die meisten anderen hier. Es sind 500 Pokerspieler an den großen weißen Tischen im Berliner Hotel Hyatt am Potsdamer Platz. Bichon ist 32, er trägt Glatze, Jeans und ein weißes Sweatshirt. Er sieht sportlich aus. Als der Mann im Anzug ihm zwei Karten zuteilt, sieht der Franzose kurz hinein. Anschließend wirft er das Blatt zurück zum Kartengeber. Ohne Kommentar. Ohne Regung. So geht das ein paar Mal. „Man muss geduldig sein“, sagt Thomas Bichon bei einem Gespräch in der Pause.

Fast 1000 Spieler haben sich für das Turnier angemeldet, aus Platzgründen musste es in zwei Staffeln mit je 500 Zockern gestartet werden. Es hat am Dienstag begonnen und endet am Sonntag. 5300 Euro beträgt die Startgebühr. 5300 Euro für zwei Hände voll Chips aus Plastik und die Aussicht auf ziemlich viel Nichtstun. „Das ist schon irgendwie irrational“, sagt Bichon. Er selbst musste die Turniergebühr nicht aufbringen, Bichon ist mit einem Sponsorvertrag ausgerüstet, das Logo eines Internetportals für Poker prangt auf seiner Brust. Die Motivation der Spieler sei sehr unterschiedlich, glaubt er. Es gebe Sportler, die den Wettkampf lieben und Süchtige, die nicht anders können. Rechthaber, die es den anderen zeigen wollen. Und Träumer, die sich das Startgeld eigentlich gar nicht leisten könnten, aber an diese eine Chance glauben. Am Potsdamer Platz gibt es eine Million Euro zu gewinnen.

Welcher Spielertyp ist eigentlich Boris Becker? Der ehemalige Tennisstar sitzt breitbeinig auf einem der weißen Stühle, auf seiner Lederjacke und der Schirmmütze sind Poker-Logos aufgenäht, auch er hat einen Sponsorenvertrag. Die 5300 Euro für das Turnier in Berlin musste der 42-Jährige trotzdem selbst bezahlen. Becker redet auffällig viel. Ein Scherz hier, ein Handshake dort. Man kennt ihn in der Szene. Bei den wichtigen Entscheidungen aber ist es vorbei mit der Lockerheit. Soeben hat Becker seine Plastikchips in die Mitte des Tisches geschoben. Er ist „All-in“, wie es im Pokerjargon heißt. Entscheidet sich sein Gegner mitzugehen und Becker verliert die Hand, ist das Turnier für ihn beendet. Sein Gegner überlegt. Er trägt Kopfhörer, Sonnenbrille und einen Kapuzenpullover. Die Klischees eines modernen Pokerspielers hat er alle erfüllt. Becker starrt ihn an. Den Oberkörper hat er nach vorn gebeugt, seine Augen treten hervor. Will Becker seinen Gegner einschüchtern? Alles ist jetzt ruhig. Nur das Klackern der Plastikchips füllt die Leere. Nach zwei oder drei Minuten Bedenkzeit legt Beckers Gegenüber seine Hand beiseite. „Fold“, sagt er. Becker gewinnt, ohne sein Blatt offenlegen zu müssen. „Ich liebe den Wettkampf“, hat er am Tag zuvor im Interview gesagt. Und dass er sich den Respekt der Poker-Community erarbeitet habe.

Die Community, das sind diejenigen Spieler, die immer dabei sind. Sie jetten um die Welt. Las Vegas, Barcelona, Prag. Immer den lukrativsten Turnieren hinterher. „Viele von ihnen finanzieren sich mit Gewinnen aus dem Internet-Poker, sie machen gut ein Drittel des Teilnehmerfeldes aus“, sagt Andreas Fuchs, der Marketing-Leiter des Turnier-Sponsors. Online-Poker boomt, weltweit spielen mehrere Millionen Menschen im Internet, allein in Deutschland sollen es über 500 000 sein. Genaue Erhebungen gibt es nicht. Fuchs’ Anzug sitzt perfekt, er lächelt. Ob es nicht ein großes Problem gebe mit Süchtigen und solchen, die ihren letzten Euro verzocken? „Bei diesen Turnieren auf jeden Fall nicht. Sehen Sie sich um, viele der Spieler hier sind wohlhabend.“ Seine Hand deutet Richtung Saal im Hyatt. Statussymbole tragen die Spieler dort jedenfalls gern. Goldkettchen, iPhones und teure Kleidung.

Der Profi Thomas Bichon sieht es kritischer. „Es gibt viele, die daran kaputt gehen“, sagt er. Wenn nicht materiell, dann geistig. „Abhängig kann man schnell werden, vielleicht bin ich es auch“, sagt er. Es habe schon Phasen gegeben, in denen er sechs Tage hintereinander gespielt habe – mit wenigen Pausen. Bichon ist einer aus der Community, er ist immer dabei. Im September 2009 hat er 579 165 Dollar gewonnen bei einem Turnier auf Zypern. Die Ortsangabe fügt Bichon eher beiläufig hinzu. Ob auf Zypern oder in Berlin – viel zu sehen bekommen die Spieler meist ohnehin nicht von der Stadt, außer ihrem Hotel und dem Flughafen. Ein Turniertag beginnt normalerweise gegen 12 Uhr und endet nach Mitternacht.

Für einige Profis ist Poker kein Spiel, sondern Mathematik. Sie wollen dem Unwägbaren ein rationales Konzept entgegensetzen, mit ihrer Intelligenz ein System schlagen. Sie begrenzen streng ihre Verluste. Ist ein bestimmter Teil ihres Spielvermögens weg, steigen sie aus. Sie ähneln darin Tradern in Banken und Fonds. Immer häufiger werden solche Spieler von Banken und Unternehmen eingeladen. Die wollen wissen, wie man mit Geld umgeht, wenn der Wellengang rau wird an den Finanzmärkten.

Tobias ist noch nie auf einem großen Turnier gewesen. Der 22-Jährige Berliner hat sich beim Pokern im Internet für das Turnier am Potsdamer Platz qualifiziert. Weil die rechtliche Situation von Online-Poker in Deutschland noch immer ungeklärt ist, will er seinen Nachnamen lieber nicht verraten. Der Informatik-Student ist hager, die obligatorische Sonnenbrille hat er tief in seine langen Haare geschoben. Was er denn mit der Million Euro machen würde, wenn er sie gewänne? „Das verdammte Studium schmeißen und mit meiner Freundin nach Jamaika ziehen.“ Ob er sich Chancen ausrechnet? „Ich spiele erst seit zwei Jahren und bin deshalb wohl ein Außenseiter“, sagt er. Von der Mathematik beim Pokern verstehe er viel, aber in Sachen Psychologie gebe es noch Nachholbedarf. Dabei sagt der Profi Bichon: „Poker ist psychologischer Krieg.“

An den Tischen im Hyatt geht es für einen Krieg ziemlich gelassen zu. Auf jeden Fall wirkt es so. Ganz selten schimpft mal jemand über sein Pech oder brüllt seine Freude über einen Gewinn heraus. Das beherrschende Geräusch ist das Rauschen der Chips. Emotional seien die Pokerspieler schon, die meisten aber hätten sich ganz gut im Griff, sagt Nicolas Sattler, einer der Kartengeber. Sattler ist bereits ein paar Jahre dabei, aber bald will der Österreicher seinen Job kündigen. Die Szene habe sich sehr verjüngt in der letzten Zeit, eben durch Internet-Poker oder Filme wie „Casino Royal“. „Die vielen jungen Spieler gehen einfach sehr schlecht mit ihrem Geld um“, sagt Sattler.

Boris Becker gehört zu den älteren Spielern. Als am Donnerstagabend feststeht, dass er draußen ist, steht Becker auf und verlässt den Saal. Keine Shakehands, kein Smalltalk mehr auf dem Weg nach draußen. Becker drückt eine der schweren Holztüren auf und verschwindet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false