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Panorama: Das Risiko abwägen

Eine Operation solcher Zwillinge wirft ethische Fragen auf

Schon einmal musste der Chirurg Benjamin Carson erleben, wie durch eine nicht rechtzeitig gestoppte Operation ein Zwillingspaar unter den Händen der Ärzte verblutete. Carson leitete damals neben dem Chirurgen Keith Goh den Trennungsversuch der bereits 29 Jahre alten Frauen Laleh und Ladan Bijani aus dem Iran. Die Trennung, die im vergangenen Jahr die ganze Welt in Atem hielt, war unter Neurochirurgen stark umstritten. Kurz vor der endgültigen Trennung der Köpfe war der Blutverlust dann so enorm, dass die Frauen starben.

Carson gab in einer nachfolgenden Untersuchung an, die Operation wäre noch rechtzeitig zu stoppen gewesen. Zwar wurden die Chirurgen von jeglicher Haftung frei gesprochen, doch die Erfahrung einer möglicherweise falschen Entscheidung bleibt. Eine Erfahrung, die Lea und Tabea vielleicht gestern Nacht zunächst das Leben gerettet hat.

Die Trennung am Kopf zusammengewachsener siamesischer Zwillinge stellt Ärzte auch vor ethisch-moralische Probleme: Darf ein Arzt eine Operation durchführen, bei der die Überlebenschancen kaum mehr als 50 Prozent, vielleicht weniger betragen? Waren nicht die Iranerinnen Laleh und Ladan der Beweis dafür, dass ein gemeinsames Leben möglich ist? Immerhin hatten die beiden Frauen studiert, waren gereist und aktiv. Doch letztlich war es der dringende Wunsch dieser Frauen, nach einem eigenständigen Leben, der die Ärzte überzeugte. Die Unfreiheit, so begründete Carson damals seine Entscheidung, könne für zwei so intelligente Menschen ein schlimmeres Schicksal sein als der Tod. Zweifellos ist die Trennung am Kopf miteinander verbundener Zwillinge hochriskant. Dennoch verliefen viele dieser Eingriffe in den vergangenen Jahren durchaus erfolgreich.

Statistisch gesehen werden 78 Prozent der am Schädel verbundenen Zwillinge nicht einmal ein Jahr alt, wenn sie nicht operiert werden, 90 Prozent erleben ihren 10. Geburtstag nicht. Wie würde es Tabea und Lea ergehen, würden sie jetzt nicht weiter operiert? Sie hätten in ihrem vermutlich kurzen Leben niemals laufen oder sitzen können, ihr Leben in Spezialliegen und -betten verbracht. Kann man Kindern ein solches Leben zumuten? Die Eltern entschieden: Nein.

Julia Thurau

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