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Panorama: Der berechnete Tod

In China sterben jedes Jahr tausende Bergleute – weil Peking viel und billige Energie braucht

„Sicherheit ist der Himmel, Qualität die Basis“, steht in roten Schriftzeichen am Schachteingang. Doch für die 238 Kumpel, die am Montagnachmittag unter Tage arbeiteten, wurde die Sunjiawan-Kohlengrube in der nordostchinesischen Stadt Fuxin zur tödlichen Falle. Offenbar durch eine Gasexplosion stürzten in 242 Meter Tiefe die Kohlenschächte ein. Die meisten der Arbeiter waren sofort tot.

„Wir haben noch nie ein solches Unglück gesehen“, sagte ein Beamter des Büros für Kohlenminensicherheit der Stadt Fuxin in der Provinz Liaoning. Mit Hochdruck arbeiteten Rettungsteams bis in die Nacht zum Mittwoch daran, die verschütteten Kumpel aus den Gesteinsmassen zu befreien. Fast 24 Stunden nach dem Unglück wurde ein Arbeiter lebend aus der Grube gerettet, zwölf weitere waren noch eingeschlossen. 203 Tote wurden nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua gezählt. 22 Arbeiter seien mit Verletzungen in Krankenhäuser gebracht worden. Es war das schlimmste Grubenunglück in China seit 1942. Damals waren bei einer Explosion in der mandschurischen Honkeiko-Mine 1549 Arbeiter gestorben.

Staatspräsident Hu Jintao und Regierungschef Wen Jiabao riefen dazu auf, „alle erdenklichen Maßnahmen“ zur Rettung der Verschütteten zu unternehmen. Nach Angaben der Staatsmedien beteiligten sich 180 Bergmleute aus der Region an der Rettungsaktion. „Wir überprüfen derzeit noch den Zustand der verschütteten Arbeiter“, erklärte ein Beamter vor Ort. Über die Ursache der Gasexplosion wurden zunächst keine Angaben gemacht. Überlebende Bergleute berichteten jedoch, dass sie kurz vor der Explosion ein kleineres Grubenbeben gespürt hätten.

Schwere Unglücke gehören zu der traurigen Realität des chinesischen Bergbaus. Erst im November waren nach einer Gasexplosion 166 Kumpel in Shaanxi ums Leben gekommen. Einen Monat zuvor waren in der Provinz Henan 148 Kumpel ebenfalls nach einer Explosion getötet worden. Offiziellen Statistiken zufolge sterben jedes Jahr mehr als 5000 Bergarbeiter durch Grubenunglücke. Experten schätzten die wahre Zahl der Toten jedoch auf das Doppelte. In den meisten chinesischen Gruben gibt es keine oder nur veraltete Sicherheitsvorkehrungen. Jetzt im Winter sind viele der Staatsbetriebe zudem unter Druck, die Kohlenproduktion zu erhöhen.

Die staatliche Sunjiawan-Zeche, in der 3100 Arbeiter beschäftigt sind, ist für eine Produktion von 1,5 Millionen Tonnen im Jahr ausgelegt. Aufgrund der Feiertage zum chinesischen Neujahr sei am Montag jedoch nicht voll gearbeitet worden, meldete Xinhua. Die Mine sei wegen ihres hohen Gasgehalts als besonders gefährdet registriert gewesen.

Chinas Staatsmedien, die zunächst nur von einem kleinen Unglück gesprochen hatten, durften auch am Dienstag nur stark zensiert über die Katastrophe berichten. Peking fürchtet offenbar den Unmut der Bevölkerung, die der Regierung Versagen beim Schutz der Bergarbeiter vorwirft. Erst vor einem Monat hatte Premier Wen Jiabao eine Inspektionstour durch die nordwestlichen Kohlegebiete unternommen.

Nach früheren Bergwerksunglücken hatte Peking stets eine Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen angekündigt. Getan wurde jedoch nichts. Auch jetzt kündigte die Regierung eine landesweite Überprüfung der Sicherheit in den Minen an. Die Staatsführung in Peking nimmt die hohe Sterberate in den Minen stillschweigend in Kauf. Chinas Kohlenindustrie, die größte der Erde, liefert zwei Drittel der Energie des Landes. Bessere Sicherheitsvorkehrungen in den staatlichen Großminen würden Geld kosten und die Energie teurer machen, was Peking aus politischen Gründen nicht will. „Dies ist ein Kampf zwischen Geld und Leben“, kommentierte ein chinesischer Internetsurfer das Grubenunglück: „Und am Ende gewinnt das Geld.“

Harald Maass[Peking]

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