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Panorama: Der letzte Soul-Man kehrt zurück

Der Sänger Bobby Womack bringt nach Krankheit und Schicksalsschlägen ein neues Album heraus.

Von Jörg Wunder

Schmerz und Trauer schwingen mit in dieser geschundenen Stimme. „The Bravest Man in the Universe“ sind die ersten, nur von einem sanft gestrichenen Cello begleiteten Worte auf Bobby Womacks gleichnamigem Album – nach fast 20 Jahren die erste wirklich neue Platte dieses großen, in Vergessenheit geratenen Soulsängers. Womacks Klage ist der trotzige Ruf eines Überlebenden, der fast mehr ertragen hat, als in ein Menschendasein passen dürfte. Seht her, scheint diese Stimme, die wie eine zerkratzte Schallplatte klingt, zu sagen, ich bin immer noch da. All das hat mich nicht kleingekriegt.

Bobby Womack wird 1944 in Cleveland als dritter von fünf Söhnen des Stahlarbeiters Friendly Womack und seiner Frau Naomi geboren. Schon früh entdeckt der Vater, selbst Gospelsänger, das Talent seiner Söhne und schweißt sie zu einer Boygroup zusammen. Die Womack Brothers haben mit Gospel lokale Erfolge, doch erst als sich der Soul-Star Sam Cooke ihrer annimmt, bahnt sich Größeres an. Cooke schiebt die in „The Valentinos“ umbenannte Band in Richtung des weltlichen Rhythm&Blues und nimmt sie Anfang der 60er unter Vertrag. Bobby wird Cookes Protegé, seine frühreife Stimme und sein versiertes Gitarrenspiel begeistern den King of Soul.

Doch bald nimmt das Schicksal seinen Lauf: 1963 ertrinkt der 18 Monate alte Sohn von Sam und Barbara Cooke im Pool der eigenen Villa. Das Ereignis zerrüttet die durch Affären angeschlagene Ehe vollends. Am 11. Dezember 1964 wird Sam unter ungeklärten Umständen von einer Motelbesitzerin in L.A. erschossen. Nur drei Monate später heiratet seine Frau wieder – und zwar Bobby Womack. Die skandalöse Verbindung zwischen dem 21-Jährigen und der deutlich älteren Witwe macht Womack in der Black-Music-Gemeinde unmöglich und bremst seine Karriere aus.

Statt unter eigenem Namen Platten zu veröffentlichen, geht Bobby Womack auf Tournee mit Ray Charles und James Brown, schreibt Hits für Wilson Pickett und Janis Joplin und spielt auf bahnbrechenden Platten von Aretha Franklin und Sly Stone. Sein Fleiß und sein Talent rehabilitieren ihn: Nach mehreren Labelwechseln landet er 1971 bei United Artists, wo er seine erfolgreichsten Platten veröffentlichen wird. Womack ist kein stimmgewaltiger Liebesprediger wie Al Green, kein stilbildender Revoluzzer wie Sly Stone, kein extrovertiertes Genie wie Marvin Gaye – aber von allem etwas.

Auf dem Höhepunkt seines Könnens ist Womack ein emphatischer Soul- Songwriter, begnadeter Sänger und Gitarrist. Er erntet die Früchte von 20 Jahren Arbeit, hat Hits wie „Woman’s Gotta Have It“, „Lookin’ For A Love“ oder das hymnische „Across 110th Street“, das von Quentin Tarantino für den Film „Jackie Brown“ ausgegraben wird. Obwohl Bobby der Star ist, stehen die Womack-Brüder in gutem Kontakt zueinander. Als Harry, der zweitjüngste, in einer Beziehungskrise steckt, bietet ihm Bobby an, in sein Apartment zu ziehen. Dort wird Harry im Frühjahr 1974 von seiner Freundin erstochen. Sie hatte Frauenunterwäsche gefunden, die einer Geliebten von Bobby gehörte. 1976 stirbt der Sohn aus Bobbys zweiter Ehe als Kleinkind. Bobby Womack gibt seinem von Drogen- und Sexexzessen geprägten Lebenswandel die Schuld an der Tragödie, wie er in seiner Biografie „Midnight Mover“ von 2007 bekennt.

Womacks Stern verblasst in der zweiten Hälfte der 70er, er unternimmt unbeholfene Ausflüge Richtung Disco und Country – und kommt mit starken Platten wie „The Poet“ zurück. In den 80ern gilt er in England als einer der größten Soulhelden, aber der Tod ist ihm weiter auf den Fersen: Vincent, sein Sohn aus der 1970 geschiedenen Ehe mit Barbara, nimmt sich 1986 mit 21 Jahren das Leben. Nun wird es still um den „Last Soul Man“, Platten mit aufgewärmten Weihnachts- oder Gospelhits sind nur matter Abglanz einstiger Größe.

In einer Zeit, die viel für vergessene Helden übrig hat, standen die Chancen nicht schlecht, dass einer wie Bobby Womack wiederentdeckt würde. Dass er aber das Glück haben würde, einen klugen Mentor wie Damon Albarn zu finden, war in Anbetracht Womacks epischer Pechsträhne – zu der im fortgeschrittenen Alter schwere Erkrankungen hinzukamen – nicht absehbar. Der Brite Albarn, ein Universalgenie der zeitgenössischen Popmusik, hatte Womack als Gastsänger für das dritte Album seiner Comic-Band Gorillaz geladen und war nun an „The Bravest Man in the Universe“ (XL Recordings) maßgeblich beteiligt. Der zweite Helfer ist Richard Russell, Produzent und Chef der Plattenfirma XL, der mit Adeles „21“ das erfolgreichste Album der letzten Jahre verlegen durfte und vor zwei Jahren der Soul-Rap-Legende Gil Scott-Heron ein spätes, zu spätes Comeback ermöglichte – Scott-Heron starb 2011.

Albarn und Russell haben Womacks unverwechselbare Stimme nicht in ein Retro-Soul-Instrumentarium gebettet. Die melancholisch grundierten Songs sind zerklüftet und perkussiv, die Arrangements von spröder Eleganz, aber ohne angestrengte Modernismen. Pointierte Streichersätze erinnern an die elegischen Trip-Hop-Klangwelten von Massive Attack. Es gibt seltsame Duette, unter anderem mit Lana Del Rey, deren Ennui auf Womacks Altersvitalität trifft – ein spannender Kontrast. Und es gibt ein überdrehtes Finale, das klingt, als würde der 68-Jährige in New Orleans einen Leichenzug auf Speed anführen.

„The Bravest Man in the Universe“ ist nicht nur die Karriereabrundung für einen verdienten Veteranen geworden. Es ist eine grandiose Platte aus dem Hier und Jetzt, ein triumphales Comeback. Und hoffentlich mehr Anfang als Abschied.

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