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Panorama: Eines Tages ist es einfach passiert

Ratlosigkeit wegen der großen Zahl - Viele möchten die Babys bekommenJohannes Keienburg Nein, bereuen würde sie es nicht. Das betont Sam immer wieder.

Ratlosigkeit wegen der großen Zahl - Viele möchten die Babys bekommenJohannes Keienburg

Nein, bereuen würde sie es nicht. Das betont Sam immer wieder. Heute ist die Engländerin 32, gute 16 Jahre ist es jetzt her, seit dem sie schwanger wurde. Ein Mädchen wäre sie damals gewesen, erinnert sich Sam, oder vielleicht auch schon eine junge Frau. Kurz vor dem Abschluss der Schule, ohne eigenes Geld und völlig abhängig von ihrer Mutter. Eines Tages war es einfach passiert. Verhütet hatten sie und ihr Freund nicht, das Thema Schwangerschaft war nie eines gewesen: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich wirklich schwanger werden könnte", denkt sie heute zurück. "Wir waren eben jung."

Nächtelang habe ihr die eigene Mutter zugeredet, den Jungen zu bekommen. Notwendig wäre das nicht gewesen. Denn schon längst hatte sich Sam entschieden. Ein Abtreibung kam für sie nie in Frage. Knappe neun Monate später hielt sie den kleinen Nick im Arm.

16 Jahre alt und Mutter. Sam war schon damals kein Einzelfall und sie wäre es auch heute nicht. Seit Jahren hat Großbritannien ein Problem mit der "teenage pregnancy" - der Schwangerschaft unter Teenagern. Von 1000 Mädchen unter 16 werden Jahr für Jahr neun schwanger. Deutlich zu nimmt die Rate bei den unter 18-Jährigen, wo es bei 45 von 1000 Mädchen zu Schwangerschaften kommt - rund 40 Prozent treiben ab. Dennoch ist die Rate weit höher als in Deutschland: Hierzulande bringen jährlich 7 von 1000 der unter 18-Jährigen ein Baby zur Welt, in England sind es rund 18. Ob Ärzte oder Psychologen, Lehrer oder Politiker - viele spekulieren über die möglichen Ursachen und Gründe der ungewöhnlich hohen Rate. Am Ende finden sie dann die immer gleichen Antworten - nur über die Konsequenzen herrscht Uneinigkeit. Klar ist: Natürlich haben alle Mädchen und Frauen schon einmal davon gehört, in der Schule zum Beispiel oder von den Eltern; sie lesen es in Zeitschriften und sehen es im Fernsehen: Was ungeschützter Geschlechtsverkehr bedeuten kann, das haben sie nahezu alle verstanden. Dass sie deshalb auf ein Kondom bestehen oder die Pille nehmen, heisst das aber noch lange nicht. Es mangele am Bewusstsein, am Verständnisvermögen - die Aufklärung versage. So sieht es zumindest die Labour-Regierung und daher setzt man hier auf verstärkte Information der Jugendlichen gerade in den Schulen. Die furchtsamen Konservativen warnen davor, die Mädchen durch zu detaillierte Aufklärungsarbeit förmlich zum Geschlechtsverkehr anzustacheln.

Über den Umgang mit der "teenage pregnancy" ist in Großbritannien ein heftiger Streit entbrannt. Ein Streit zwischen links und rechts, der fast so alt ist wie das Problem selbst. Jetzt gab es neuen Argumentations-Stoff: Seit drei Monaten läuft in Manchester ein Projekt der Labour-Regierung, bei dem Frauen ab 16 erstmals die "Pille danach" ohne Rezept und Aufsuchen eines Arztes in der nächsten Drogerie bekommen - die Konservativen sind entsetzt: So liege die Hemmschwelle ja noch niedriger, wettern die Anhänger der Partei.

Einig sind sich die beiden Seiten nur auf einem Gebiet: Die Vergangenheit hat gezeigt, es sind zu einem großen Teil Mädchen aus bestimmten Gruppen, die schon als Teenager schwanger werden. Die meisten von ihnen kommen aus ärmlichen Verhältnissen. So steht es in einer Studie des britischen Gesundheitsministeriums. Rund 40 Prozent fehle es an jeglichem Schulabschluss, viele der Mädchen wurden in ihrer Kindheit missbraucht. Experten haben einen Verdacht: Die Schwangerschaft ist ein Mittel zum Zweck, sie ist ein Hilfeschrei der Mädchen, ein Hilfeschrei nach Aufmerksamkeit und Annerkennung.

Kaum von Interesse schien in der Vergangenheit die Rolle der Jungen zu sein. Das stieß auf Kritik und soll sich jetzt ändern. Ein Londonder Fußballclub hat schon damit begonnen. Zwischen Dusche und Vereinslokal müssen die Jungs vorbei an zahlreichen Informationsbroschüren. Und auch Sam will sich nichts vormachen: Der Vater ihres Sohnes hat sie nach drei Monaten sitzen lassen. Nick hat ihn nie kennengelernt. Dennoch hat sich der Bursche gut gemacht, erst kürzlich feierte er 16. Geburtstag. Auf dem Gabentisch lag eine riesige Packung Kondome.

Johannes Keienburg

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