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Elena Senft schaltet nie ab: Flashmob versaut Hochzeitsfeier

Ich habe einen Luftballon gefunden. Ein schlaffes Herz, auf dessen angehängter Postkarte ich aufgefordert wurde, einem mir unbekannten frisch verheirateten Paar namens „Julia und Andi“ die Glückwünsche zur Ehe retour zu schicken. Eine Hochzeitssaison geht zu Ende. Denn alle wollen im Sommer heiraten.

Ungeachtet der Tatsache, dass ein November-Graupel angenehmer ist als die Entgegennahme stundenlanger Glückwünsche bei 40 Grad im Schatten. Das Weiß des Kleides würde mit den Farben des Herbstes besser korrespondieren als mit den lachsfarbenen Gesichtern eines Brautpaares kurz vorm Sonnenstich.

In Sachen Hochzeitsplanung und -optimierung ist das Internet ein Fluch. Trauzeugen gelingt es nun, eine handfeste Profilneurose endgültig zu zementieren. Der Trauzeuge versteht oft nicht, dass er zum heiratenden Paar meist die engste Beziehung von allen Geladenen hat und manche Gäste der Feier nur deswegen beiwohnen, weil die eigene Mutter früher mit der Brautmutter im Geburtsvorbereitungskurs war. Er beschränkt sich nicht mehr darauf, den Bräutigam vor der Hochzeit in einem entwürdigenden Tiertanga durch die Fußgängerzone zu hetzen, sondern bezieht auch alle anderen Hochzeitsgäste in sein Projekt mit ein.

Trauzeugin Tanni ist nun in ihrer Funktion als Trauzeugin eines befreundeten Paares über sich hinausgewachsen. Per Videobotschaft forderte sie die Gäste (alle!) auf, einen Flashmob einzustudieren. Während des Essens sollte die dezente Musik vom Geräusch einer Schulklingel überschattet werden, die als Startsignal fungieren und gleichzeitig darauf hinweisen sollte, dass sich das Brautpaar aus Schultagen kennt. In bestimmter Reihenfolge sollte sich nun die Hochzeitsgesellschaft wie zufällig arrangieren, so dass das verwunderte Brautpaar am Ende allein am Tisch saß und auf die harmonische, uniforme Hochzeitschoreografie ihrer Freunde schaute.

Die Choreografie, die Tanni auf dem Video vormachte, war so kompliziert, dass Michael Jacksons „Thriller“-Video wie der Ententanz wirkt. Man hätte sich problemlos zwei Wochen krankmelden können, um die Zeit zu haben, dieses Koordinationswunder zu „I believe in miracles“ einmal fehlerfrei durchzuexerzieren.

Das Hochzeitsessen verlief steif. Keiner sprach, weil jeder Angst hatte, die Schulglocke zu überhören und den Einsatz zu verpassen. Still probte jeder im Kopf seine Schritte und vermied ablenkendes Gespräch. Gelenkige dehnten sich unter dem Tisch, um sich später beim Radschlag nicht zu zerren. Schließlich ein Fehlalarm, als Tanni eine Glocke hörte, bei der es sich in Wirklichkeit um die Rezeptionsklingel im Hotelfoyer handelte. Der Flashmob schließlich lieferte wieder einmal den Beweis dafür, dass es nicht stimmt, dass eine Sache weniger peinlich ist, wenn alle sie machen. Die Blickkontakte, die ich hatte, während ich mit den Händen ein Herz formte und im Seitgalopp von „Wand A nach Wand B“ diffundierte, werde ich lange nicht vergessen können.

Der Flashmob schließlich freute das Brautpaar nur mittelmäßig, stahl es ihnen doch die Show, die sie für den Hochzeitstanz geplant hatten: Zu „Unchained Melody“ tanzten sie einen verliebten Klammerblues, bis das Lied von einem funkigen Beat unterbrochen wurde und das Brautpaar eine Choreografie hinlegte, die Detlef Soost persönlich nicht besser hinbekommen hätte.

Der unschuldige Gute-Wünsche- Ballon wirkt fast niedlich dagegen. Schäbig verhakt hing er in einem Busch, an den nur wenige Menschen kommen, wenn sie ihrem Hund ins Geäst folgen, um Exkremente aufzusammeln. Ich wünschte höflich eine wunderschöne Zeit, verbunden mit der Hoffnung, dass ihre Hochzeitsfeier ein voller Erfolg gewesen sei.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Esther Kogelboom und Jens Mühling.

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